Das Elbenvolk reichte Humpen von Hand zu Hand und über die Feuer hinweg. Einige spielten Harfe, und viele sangen. In ihr schimmerndes Haarwaren Blumen gewunden. Grüne und weiße Edelsteine blitzten hell an ihren Kragen und Gürteln, Gesichter und Lieder strahlten Frohsinn aus. Laut und klar klangen ihre Lieder in die Nacht. Da trat Thorin in ihre Mitte.
Plötzlich wurde es totenstill. Alle Lichter verlöschten. Die Feuer gingen in schwarze Rauchschwaden auf. Asche und Ruß wehten den Zwergen in die Augen, und aufs neue schallte der Wald von ihrem Klagen und Geschrei wider.
Bilbo rannte immerzu im Kreis herum (vielmehr dachte er das) und rief unaufhörlich: »Dori, Nori, Ori, Oin, Gloin, Fili, Kili, Bombur, Bifur, Bofur, Dwalin, Balin, Thorin Eichenschild!« Während andere, die er weder sehen noch fühlen konnte, genau das gleiche rings um ihn taten (mit einem gelegentlichen »Bilbo« dazwischen). Aber das Geschrei der anderen trieb immer weiter davon, wurde schwächer, und nach einer Weile, so schien es Bilbo, wurden gellende Hilfeschreie daraus. Das geschah jedoch schon aus großer Entfernung. Der Lärm erstarb schließlich ganz. Bilbo blieb allein in der regungslosen Dunkelheit zurück.
Nach einer Weile sagte sich Bilbo, daß es unsinnig sei, irgend etwas zu unternehmen, ehe der Tag kam und mit ihm ein bißchen Helligkeit, und daß es ganz falsch wäre, jetzt umherzutappen, sich müde zu machen, und das obendrein ohne Hoffnung auf ein gutes Frühstück. So setzte er sich mit dem Rücken an einen Baum, und nicht zum letztenmal wanderten seine Gedanken zu der weit entfernten Hobbithöhle mit ihren wunderbaren Speisekammem zurück. Er war tief in Gedanken an Speck und Eier, geröstetes Brot und Butter versunken, als er etwas seine Haut berühren fühlte. Es war wie ein starker, klebrig zäher Strick, der sich quer über die linke Hand zog; und als er sich bewegen wollte, fand er, daß seine Beine schon von demselben Zeug eingeschnürt waren. So war er noch nicht ganz aufgesprungen und lag schon auf der Nase.
In diesem Augenblick kam die Riesenspinne, die, während er vor sich hin duselte, ihn geschäftig eingewoben hatte, von hinten heran und warf sich auf ihn. Bilbo konnte nur ihre Augen sehen, aber er fühlte ihre haarigen Beine, die sich damit abrackerten, die entsetzlichen Fäden um ihn herumzuwickeln. Welch ein Glück, daß er noch rechtzeitig zu Verstand gekommen war! Bald hätte er sich überhaupt nicht mehr rühren können. Er mußte, wie die Dinge standen, verzweifelt kämpfen, bevor er frei wurde. Er schlug das Tier zuerst einmal mit den Fäusten ab, denn es versuchte, ihn zu vergiften, damit er stillhielt (wie es die kleinen Spinnen mit Fliegen machen). Aber dann erinnerte Bilbo sich an sein Schwert, und er riß es aus der Scheide. Die Spinne sprang zurück, und er fand Zeit, seine Beine zu befreien. Danach war die Reihe an ihm, anzugreifen. Die Spinne war augenscheinlich nicht mit Wesen vertraut, die solch einen Stachel an der Seite trugen, sonst würde sie rascher zurückgesprungen sein. Bilbo kam ihr zuvor, ehe sie ausweichen konnte, und er traf sie mit seinem Schwert mitten zwischen die Augen. Da wurde sie irre und sprang und tanzte und warf ihre Beine in schrecklichen Zuckungen, bis Bilbo sie mit einem zweiten Streich tötete. Doch dann stürzte Bilbo selbst vornüber und erinnerte sich für eine lange Weile an nichts mehr.
Als er wieder zu sich kam, herrschte um ihn das gewöhnliche düstergraue Licht des Waldtages. Die Spinne lag tot neben ihm, und seine Schwertklinge war schwarz gefleckt. Aber irgendwie hatte der Tod der Riesenspinne, die er in der Finsternis ganz allein ohne die Hilfe des Zauberers oder der Zwerge besiegt hatte, aus Mister Beutlin einen anderen Hobbit gemacht. Er spürte, daß er ein anderer geworden war, wilder und kühner, trotz eines leeren Magens. Sein Schwert wischte er am Gras ab und steckte es zurück in die Scheide. »Ich will dir einen Namen geben«, sagte Bilbo zu seinem Schwert. »Du sollst Stachel heißen.«
Dann machte er einen Erkundungsstreifzug. Der Wald war stumm und grimmig. Bilbo mußte zu allererst einmal seine Freunde suchen, die wahrscheinlich nicht weit waren, falls sie nicht von den Elben (oder von schlimmeren Wesen) gefangen worden waren. Bilbo spürte, daß es gefährlich war zu rufen, und überlegte eine lange Zeit, in welcher Richtung wohl der Pfad lag und in welcher Richtung er zuerst nach den Zwergen fahnden sollte.
»Oh, warum erinnerten wir uns nicht an Beorns und Gandalfs Rat!« klagte er. »Jetzt stecken wir in der Klemme. Ich wünschte bloß, wir wären zusammen, denn es ist furchtbar, ganz allein zu sein.«
Am Ende legte er sich, so gut es ging, die Richtung zurecht, aus der in der Nacht die Hilferufe gekommen waren – und mit gutem Glück (er hatte schon von Geburt her eine ordentliche Portion davon) riet er mehr oder weniger richtig, wie ihr gleich sehen werdet.
Nachdem er sich also entschieden hatte, schlich er mit äußerster Vorsicht los. Hobbits verstehen sich besonders in Wäldern auf lautloses Pirschen, wie ich euch schon gesagt habe. Außerdem hatte Bilbo, ehe er aufbrach, den Ring an den Finger gesteckt. Und deshalb konnten die Spinnen ihn weder sehen noch kommen hören.
In aller Heimlichkeit hatte er schon ein Stück Wegs hinter sich gebracht, als er voraus einen dichten schwarzen Fleck ausmachte, pechschwarz selbst in diesem Wald noch, wie ein Streif Mitternacht, den der Tag nicht aufhellen konnte. Als er näher herankam, sah er, daß die Schwärze von Spinnweben herrührte, eine dicht hinter und über der anderen. Und plötzlich sah er auch die riesigen, schrecklichen Spinnen dort in den Zweigen über ihm hocken, und – Ring hin und Ring her – er zitterte vor Angst, daß sie ihn entdecken könnten. Hinter einem Baum stehend, beobachtete er eine Zeitlang eine Gruppe von Spinnen, und in der lautlosen Stille des Waldes entdeckte er, daß diese widerwärtigen Geschöpfe miteinander sprachen. Ihre Stimmen klangen wie ein Knirschen und Zischen, aber Bilbo konnte vieles, was sie sagten, aufschnappen. Sie sprachen über die Zwerge!
»Das war ein scharfer Kampf. Aber er war die Sache wert«, sagte eine. »Sie haben ohne Frage ein ekelhaft dickes Fell. Aber ich wette, es ist innen ein guter Saft drin.«
»Klar, die schmecken gut, wenn sie ein bißchen abgehangen sind«, bemerkte eine andere.
»Laßt sie nicht zu lange hängen«, fügte eine dritte hinzu.
»Sie sind nicht so fett, wie sie sein sollten. Ich glaube, sie haben in letzter Zeit nicht gut genug zu fressen bekommen.«
»Tötet sie, sage ich euch«, zischte eine vierte, »tötet sie gleich und hängt sie danach noch eine Weile auf.«
»Die sind jetzt garantiert tot«, fing die erste wieder an.
»Das sind sie nicht. Ich sah den einen eben noch strampeln. Sie kommen gerade zu sich, würde ich sagen, nach einem wunderbaren Schlaf Ich werde es euch zeigen.«
Damit rannte die fette Spinne ein Tau entlang, bis sie zu einem Dutzend Bündeln gelangte. Sie hingen in einer Reihe von einem hohen Ast herab. Bilbo war entsetzt, als er sie so zum erstenmal im Dämmerschatten baumeln sah. Aus manchen Bündeln ragte ein Zwergenfuß heraus, oder hier und da kam eine Nasenspitze, ein Endchen Bart oder der Zipfel einer Kapuze zum Vorschein.
Die Spinne rannte zum dicksten Paket (ich wette, es ist der arme alte Bombur, dachte Bilbo) und zwickte fest in die herausragende Nase. Ein unterdrückter Schrei drang aus dem Bündel, ein Fuß zuckte und trat der Spinne hart in den Bauches war also noch Leben in Bombur! Der Tritt klang, als ob einer einen schlaffen Fußball getreten hätte, und die wütende Spinne fiel vom Zweig herab, konnte sich jedoch gerade noch rechtzeitig mit ihrem eigenen Faden fangen.
Die anderen lachten. »Du hast vollkommen recht!« riefen sie. »Das Fleisch lebt noch und keilt aus.«
»Dem werde ich gleich ein Ende machen«, zischte die Spinne und kletterte auf den Ast zurück.
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