So sagte ich. Seid nicht albern! Besser wär’s, Ihr würdet ins Bett gehen, denn Euer Verstand fängt an zu schnarchen.«
Bilbo fühlte sich zermalmt, und da ihm nichts anderes einfiel, ging er zu Bett. Und während die Zwerge noch sangen, schlief er ein und zerbrach sich dabei noch immer seinen kleinen Kopf Beorns wegen, bis er von Hunderten von schwarzen Bären träumte, die draußen im Hof immerzu rund und rund ihre langsamen, schwerfälligen Tänze tanzten. Dann wachte er auf, als jeder andere schlief, und er hörte das gleiche Kratzen, Schnaufen, Scharren und Brummen wie vordem.
Am nächsten Morgen wurden sie durch Beorn selbst geweckt. »So, ihr seid also noch hier«, rief er. Er hob den Hobbit auf und lachte. »Nicht von Riesenwölfen oder Orks oder bösen Bären gefressen, wie ich sehe«, und er klopfte Mister Beutlin höchst respektlos auf die Weste. »Das kleine Kaninchen ist wieder prall und fett von Milch und Honig.« Er lachte. »Komm und hol dir noch mehr!«
So gingen sie alle mit ihm zum Frühstück. Beorn war ganz verändert. Er schien allerbester Laune und brachte sie mit seinen Geschichten zum Lachen. Sie brauchten sich auch nicht lange zu wundern, wo er so lange geblieben und warum er so freundlich zu ihnen geworden war, denn er erzählte es ihnen selbst. Er war über den Fluß gegangen und geradewegs auf das Gebirge zu – woraus ihr schließen könnt, wie rasch er auf den Füßen war; jedenfalls als Bär. Die verbrannte Wolfslichtung bewies ihm, daß dieser Teil ihrer Geschichte wahr sein mußte. Aber er hatte mehr als das gefunden: Er hatte einen Riesenwolf, einen Warg, gefangen und einen Ork dazu, die durch die Wälder streiften. Von diesen erfuhr er allerlei Neuigkeiten: Die Orkpatrouillen jagten noch immer mit den Wargen hinter den Zwergen her, und sie waren schrecklich zornig über den Tod des Großen Ork und weil dem Wolfhauptmann die Nase verbrannt worden und so mancher aus seiner Garde durch das Feuer des Zauberers umgekommen war. Soviel erzählten sie Beorn, als er sie zum Reden zwang. Aber er vermutete, daß da noch mancher böse Streich vorbereitet wurde und daß ein überfall der ganzen Orkarmee und der verbündeten Wölfe zu fürchten war, ein überfall in die Länder im Schatten des Gebirges, um die Zwerge zu erwischen oder Rache an Menschen und allen Wesen zu nehmen, die sie beherbergt haben mochten.
»Eure Geschichte war eine gute Geschichte«, sagte Beorn, »aber jetzt, da ich sicher bin, daß sie wahr ist, gefällt sie mir noch einmal so gut. Ihr müßt schon entschuldigen, daß ich mich nicht auf euer Wort verlassen habe. Wenn ihr selbst am Rand des Nachtwaldes lebtet, würdet ihr keinem trauen, es sei denn, ihr kennt ihn wie euren Bruder oder noch besser als diesen. Wie die Sache steht, so kann ich euch nur sagen, daß ich, so schnell ich konnte, zurückeilte, um mich zu vergewissern, daß ihr sicher seid und euch jede Hilfe, die in meiner Macht steht, zuteil wird. Nach alldem werde ich freundlicher über Zwerge denken. Den Großen Ork erschlagen, wer das bedenkt!« Er lachte zornig in sich hinein.
»Was habt Ihr mit dem Ork und dem Warg gemacht?« fragte Bilbo plötzlich.
»Kommt und seht!« sagte Beorn, und sie folgten ihm um das Haus. Ein Orkkopf stak auf dem Gatter, und ein Wargfell war draußen an einen Baumstamm genagelt. Beorn war ein schrecklicher Feind. Aber jetzt war er ihr Freund, und Gandalf hielt es für klug, ihm ihre ganze Geschichte zu erzählen und den Grund für ihre Reise, so daß sie alle nur mögliche Hilfe von ihm bekommen konnten.
Und dies versprach er für sie zu tun: Er wollte jedem ein Pony geben und Gandalf ein Pferd für den Marsch bis zum Wald. Dazu sollten sie Nahrungsmittel haben, die bei sorgfältigem Gebrauch für Wochen reichen und die so verpackt sein sollten, daß sie so leicht wie irgend möglich zu tragen waren: Nüsse, Mehl, verschlossene Krüge mit getrocknetem Obst, rote, irdene Töpfe mit Honig, Zwieback, der sich lange halten würde und von dem schon eine Handvoll notfalls für einen langen Marsch genügte. Seine Herstellung war eines seiner Geheimnisse. Aber es war Honig darin, wie in den meisten seiner Nahrungsmittel. Sie schmeckten gut, obgleich sie durstig machten. Wasser, so sagte er, brauchten sie auf dieser Seite des Waldes nicht mitzuschleppen, denn es gäbe Bäche und Quellen genug am Weg. »Aber euer Pfad durch den Nachtwald ist dunkel, gefährlich und schwierig«, fügte er hinzu.
»Wasser ist dort nicht leicht zu finden, und Nahrungsmittel schon gar nicht. Die Zeit für Nüsse ist noch nicht gekommen (obgleich sie kommen und sogar vorübergehen kann, ehe ihr die andere Seite erreicht), und Nüsse sind von allem, was dort wächst, das einzige zum Essen. Die Wildnis ist finster und sonderbar und unberechenbar. Ich will euch mit Häuten versorgen, in denen ihr Wasser mitnehmen könnt, auch will ich euch Bogen und Pfeile geben. Aber ich zweifle sehr, ob irgend etwas im Nachtwald wirklich genießbar ist. Einen Fluß gibt es dort, der schwarz und rasch fließend euren Pfad kreuzt. Trinkt ja nicht aus ihm und badet nicht darin, denn ich habe gehört, daß er verzaubert ist und Schlafmüdigkeit und Vergessen bringt. Und in dem trüben Schatten dieses Waldes werdet ihr nichts Genießbares oder Ungenießbares schießen können, ohne den Pfad zu verlieren. Den Pfad aber dürft ihr niemals verlassen, aus keinem noch so wichtigen Grund.
Das ist alles, was ich euch raten kann. Jenseits des Waldrandes kann ich euch so gut wie gar nicht helfen. Ihr müßt euch auf euer Glück, euren Mut und die Lebensmittel verlassen, die ich euch mitgebe. Mein Pferd und meine Ponys müßt ihr am Rand des Waldes, darum muß ich euch bitten, zurückschicken. Ich wünsche euch guten Weg, und mein Haus steht euch offen, wenn ihr je diesen Weg zurückkommt.«
Sie dankten ihm mit vielen Verbeugungen und dem Schwenken ihrer Kapuzen und manchem »zu Euren Diensten, o Herr der großen hölzernen Hallen!« Aber ihr Herz sank ihnen bei diesen ernsten Worten in die Hose, und sie spürten, daß das Abenteuer viel gefährlicher war, als sie angenommen hatten, denn selbst wenn sie alle Gefahren des Weges bestanden, so wartete doch noch der Drache am Ende auf sie.
Den ganzen Morgen waren sie geschäftig bei ihren Vorbereitungen. Am frühen Nachmittag aßen sie zum letztenmal mit Beorn, und nach der Mahlzeit bestiegen sie die Streitrosse, die er ihnen lieh. Sie riefen ihm manchen Abschiedsgruß zu und ritten eilig zum Gatter hinaus.
Als sie die hohen Hecken im Osten von Beorns eingefriedetem Land hinter sich ließen, wandten sie sich nach Norden und später nach Nordwest. Auf seinen Rat hin strebten sie nicht mehr dem Hauptweg quer durch den Wald zu, der südlich seines Landes begann und der Alte Nachtwaldweg genannt wurde. Wären sie dieser Straße gefolgt, so hätte ein kleiner Wasserlauf aus dem Gebirge sie bis zum Gewaltigen Fluß geführt, viele Meilen südlich vom Carrock. An diesem Punkt lag eine tiefe Furt, die sie hätten kreuzen können – wenn sie ihre Ponys noch gehabt hätten. Auf der anderen Seite führte ein schmaler Steig zum Saum des Nachtwaldes und zum Beginn des Alten Nachtwaldweges.
Aber Beorn hatte sie gewarnt, daß sich gerade auf diesem Steig oft Orks herumtrieben, während der Waldweg selbst, wie er gehört hatte, zugewachsen war und am östlichen Ende gar nicht mehr benutzt wurde und in unwegsame Sümpfe führte. Außerdem lag der Ostausgang so weit südlich des Einsamen Berges, daß sie von dort einen langen und schwierigen Marsch nach Norden hätten antreten müssen.
Nördlich des Carrocks schloß sich der Saum des Nachtwaldes dichter an die Ufer des Gewaltigen Flusses an, und obgleich hier auch das Gebirge näher herankam, hatte Beorn ihnen geraten, diesen Weg zu gehen. Denn an einer Stelle, die nur wenige Tagesritte nördlich des Carrocks lag, fand sich der Eingang eines kaum bekannten Pfades quer durch den Nachtwald, der geradewegs auf den Einsamen Berg zulief.
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