Man sagte, einst hätten drei dunkle Existenzen über ein so gewalttätiges Chaos geherrscht, dass es selbst die Dämonen der Brennenden Legion erschüttert hätte. Sie regierten über diese primitive Ebene, bis die Erschaffer der Welt eintrafen. Es kam zu einem Krieg kosmischen Ausmaßes, und am Ende waren die Alten Götter gefallen. Die Drei waren mit ewiger Gefangenschaft bestraft worden, ihre Kräfte wurden ihnen genommen. Niemand wusste, wo sich ihr Gefängnis befand.
Das hätte das Ende der Geschichte sein sollen, aber Krasus befürchtete, dass es den Alten Göttern irgendwie gelungen war, Kontakt zur Welt der Sterblichen aufzunehmen. Offenbar suchten sie nach einer Möglichkeit, ihrer Gefangenschaft zu entfliehen.
So langsam ergibt alles einen Sinn , dachte der Magier, während er auf der Suche nach seinen Freunden durch die felsige Landschaft schritt. Nozdormu … der Riss in der Zeit, unsere Reise in die Epoche der Nachtelfen und der Brennenden Legion … der Brunnen der Ewigkeit … sogar das Schmieden der Dämonenseele …
Die Alten Götter waren dabei, einen Schlüssel zu erschaffen, der die Tür ihres Kerkers öffnen würde – und falls das geschah, würde selbst Sargeras um die Gnade eines schnellen Todes winseln.
Wenn sie das Gefüge der Zeit auseinander rissen, konnten sie ihre Gefangenschaft ungeschehen machen. Vielleicht planten sie sogar, ihre Niederlage in einen Sieg zu verwandeln. Es fiel ihm schwer, über die Pläne der Alten Götter nachzudenken, denn sie standen so weit über ihm wie er über einem Wurm. Zumindest ihr oberstes Ziel konnte er jedoch nachvollziehen.
Ich muss Alexstrasza warnen , dachte Krasus instinktiv. Die Aspekte waren die mächtigsten Wesen auf sterblicher Ebene. Nur sie hatten eine Chance gegen die Alten Götter. Er verfluchte den Wahnsinn, der Neltharion, den Erdwächter in Deathwing, den Zerstörer verwandelt hatte. Zusammen wären die fünf Aspekte gewiss mächtig genug gewesen, um den Kampf gegen die uralten Wesen zu wagen. Ohne Neltharion jedoch …
Krasus rutschte aus und wäre um ein Haar in die Schlucht gestürzt, an der er gerade vorbei kletterte. Wie komplex waren doch die Pläne der Alten Götter! Sie hatten den Erdwächter verwandelt. Sie hatten Neltharions Geist verwirrt – und zwar aus mehr als nur einem Grund. Die Alten Götter hatten ihn zu einem Sklaven gemacht, der ihnen bei der Flucht helfen würde. Aber sie hatten gleichzeitig ihre einzigen ernstzunehmenden Feinde auseinander gebracht und damit geschwächt. Die übrigen vier Aspekte waren ohne Neltharion weit weniger bedrohlich.
Darüber hinaus hatten sie Nozdormu abgelenkt, was wohl auch Teil ihres Plans war.
Krasus hielt inne und lehnte sich gegen einen Felsen. Die Erkenntnis war niederschmetternd. Die dunklen Götter hatten sehr viel Geduld und Willenskraft in ihr Vorgehen gesteckt. Zu viele Figuren standen bereits an der für sie vorgesehenen Position, zu viele Pläne waren bisher unentdeckt geblieben. Wie sollte man sie jetzt noch aufhalten?
Wie?
Krasus war so tief in seine Gedanken versunken, dass er den gewaltigen schwarzen Schatten erst bemerkte, als er direkt über ihn fiel.
Deathwing füllte den Himmel aus.
»Du!« Der monströse Drache stieß seinen Atem aus.
Hätte ein anderer dort gestanden, wäre dies das Ende der Jagd gewesen und von seinem Körper wäre nichts geblieben außer ein wenig Asche inmitten kochender Lava. Aber hier hieß das Ziel Krasus, der Deathwing seit langer Zeit kannte und deshalb richtig reagierte – wenn auch im letzten Moment.
Als ihm Deathwings Feuerstrahl entgegen schoss, konterte er mit einer Mauer aus goldenem Licht. Der Strahl schmetterte gnadenlos gegen diesen zerbrechlich wirkenden Schutzschild, verpuffte jedoch. Krasus legte alle Kraft in seine Abwehr. Er taumelte und schwitzte. Sein Körper wünschte sich nichts sehnlicher als aufzugeben, doch das ließ er nicht zu.
Schließlich brach das geflügelte Monstrum über ihm den Angriff ab – jedoch nur, um Kraft für einen zweiten Stoß seines Feueratems zu sammeln.
Auf diese Pause hatte Krasus gewartet. Er hob seine Arme – und verschwand.
Allein hatte er gegen den schwarzen Giganten keine Chance. Der Ausgang eines solchen Kampfes hätte von vornherein festgestanden. Krasus war selbst zu seinen besten Zeiten nur der Gefährte eines Aspekts gewesen. Er hatte nie zum Kreis der fünf mächtigsten Drachen gezählt. Mut war zwar eine Tugend, aber nicht, wenn es keine Aussicht auf Erfolg gab.
Der Magier tauchte in der Nähe eines Berges auf, der südlich von jenem lag, den er gerade verlassen hatte. Er lehnte sich an einen Felsen und rang nach Atem. Die Verteidigung gegen den schweren Angriff seines Gegners und die magische Flucht hatten ihn stark mitgenommen. Er hatte eigentlich sogar gehofft, sich weiter entfernt von seinem Feind zu materialisieren.
»Ich kriege dich!«, brüllte der schwarze Drache. Seine Stimme hallte über die Berge. »Du entkommst mir nicht!«
Krasus hatte einen großen Vorteil, denn in seiner Wut dachte Deathwing nicht daran, seine magischen Kräfte optimal einzusetzen. Er durchkämmte zwar seine Umgebung, aber seine Sinne glitten so rasch über die Landschaft hinweg, dass der Magier sich problemlos abschirmen konnte.
Krasus stand mühsam auf und machte sich auf den Weg nach unten. Im Tal war es sicherer als in den Bergen.
Der Magier wusste nicht, was mit seinen Begleitern geschehen war. Er war sich allerdings sicher, dass sie Deathwing hatten entkommen können, sonst hätte der schwarze Drache sich nicht so wütend auf ihn gestürzt. Offenbar suchte er immer noch nach der Scheibe und glaubte nun, dass Krasus sie gestohlen hatte.
Das war gut. Er war bereit, sein Leben zu opfern, wenn er damit den Erfolg der Mission sichern konnte. Rhonin würde schon wissen, was zu tun war.
Er kletterte den Berg hinab. Trotz seiner Erschöpfung bewegte er sich schneller und geschickter als jeder Nachtelf oder Mensch. Die ganze Zeit über suchte Krasus nach Deathwing. Sein exzellentes Gehör achtete auf den Schwingenschlag des wütenden Titanen.
Einmal flog Deathwing direkt über ihn hinweg, aber der Magier verbarg sich unter einer Felsnase und wartete, bis die Gefahr vorbei war. Deathwing blies immer wieder Feuer über die Landschaft und ahnte wohl nicht, dass seine Wut gegen ihn arbeitete.
Dann tat der Drache das, was Krasus die ganze Zeit über befürchtet hatte. Deathwing kam wohl zu dem Schluss, dass er diesen Teil seiner Umgebung umfassend genug abgesucht hatte, denn er wandte sich ab und flog seinem Nest entgegen. Krasus wusste, dass der Schwarze noch nicht aufgegeben hatte. Er wollte seine Jagd nach der Dämonenseele nur an einem anderen Ort fortsetzen.
Krasus machte sich Sorgen um Malfurion und Brox. Er blickte auf den Drachen und konzentrierte sich.
Von allen Seiten schossen Deathwing plötzlich Felsen entgegen. Riesige Steinbrocken trafen seinen Kopf. Deathwing brüllte erschrocken auf, verlor das Gleichgewicht und wäre beinahe gegen einen Berg geprallt, wenn er sich nicht im letzten Moment gefangen hätte.
Krasus drehte sich um und lief los.
Der Schrei, der hinter ihm durch die Berge hallte, bewies ihm, dass Deathwing den Köder geschluckt hatte. Krasus blickte nicht hinter sich, seine Sinne verrieten ihm bereits, dass der Drache die Verfolgung aufgenommen hatte.
Krasus hatte einen Plan, doch dieser konnte nur funktionieren, wenn er den Drachen so nahe an sich heran ließ, dass er dessen fauligen Atem fast schon im Nacken spürte.
»Ich werde dich zu Asche verbrennen!«, brüllte sein monströser Gegner. »Zu Asche!«
Deathwing musste sich keine Gedanken um die Dämonenseele machen, denn sie würde allen Angriffen trotzen. Ironischerweise würde sich eine Schuppe des schwarzen Drachen als die einzige Schwachstelle der Scheibe erweisen … denn nur ein Teil seines eigenen Körpers konnte sie zerstören.
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