»Wegen ihm sorge ich mich nicht. Ich bin sicher, dass es dir und Captain Shadowsong gelingen wird, die Armee zusammen zu halten.«
»Mir?« Jarod schüttelte den Kopf. »Meister Krasus, du traust mir zu viel zu. Ich bin nur ein einfacher Wachoffizier. Maiev hat Recht. Das Glück war mir hold. Ich bin ebenso wenig ein Kommandant wie … wie …«
»Stareye?«, fragte Rhonin grinsend.
»Wir müssen uns auf dich verlassen, Jarod Shadowsong. Die Tauren und die anderen spüren den Respekt, mit dem du sie behandelst und respektieren dich daher auch. Vielleicht wirst du wieder in eine Situation kommen, in der du eine Entscheidung fällen musst … zum Wohle deines Volkes, muss ich hinzufügen.«
Die Schultern des Nachtelfs sackten nach unten. »Ich tue, was ich kann, Meister Krasus. Mehr mag ich dazu nicht sagen.«
Der Magier nickte. »Und mehr erbitten wir von dir auch nicht, Captain.«
»Nun, da wir diese Angelegenheit also geklärt hätten«, sagte der Mensch, »fragte ich mich, wie du das Nest erreichen willst?«
»Die Greifen stehen uns nicht mehr länger zur Verfügung. Wir müssen die Nachtsäbler nehmen und hoffen, dass sie sich mit größter Schnelligkeit bewegen.«
»Aber das würde zu lange dauern! Und ihr hättet keinen Schutz vor den Attentätern der Brennenden Legion.«
Archimonde ließ die Armee von Dämonen verfolgen, die nur auf ihre Chance warteten, Krasus und seine Gruppe zu ermorden. Besonders auf Malfurion hatte Archimonde es abgesehen. Schließlich hatte der Druide die Legion schon einmal den Sieg gekostet. Der Drachenmagier bezweifelte jedoch nicht, dass auch er ganz oben auf der Liste stand.
»Es wäre aber auch zu riskant, mit einem Zauber zu Deathwings Versteck zu reisen«, antwortete Krasus. »Auf einen solchen Versuch hat er sich sicherlich vorbereitet. Wir müssen auf konventionellem Wege zu ihm gelangen.«
»Das gefällt mir nicht.«
»Mir auch nicht, aber es geht nicht anders.« Er drehte sich zu seinen Begleitern um. »Seid ihr bereit für diese Reise?«
Malfurion nickte. Brox grunzte ungeduldig. Der Druide und der Magier verfügten zwar über außergewöhnliches magisches Können, doch einen erfahrenen Krieger wie den Orc konnten auch diese Künste nicht ersetzen. Zauberer ließen sich leicht außer Gefecht setzen, das wusste Krasus, und Brox hatte sich immer wieder als vertrauenswürdiger Verbündeter erwiesen.
»Gebt uns eine Stunde Vorsprung, bevor ihr Lord Stareye Bescheid sagt«, bat Krasus, als er sich auf seinen Nachtsäbler schwang.
»Ich gebe euch zwei.«
Der Druide und der Orc stiegen ebenfalls auf. Krasus ließ sein Reittier antraben. Die elegante Katze wurde rasch schneller, die anderen beiden Tiere folgten ihr. Schon bald hatten sie die Armee der Nachtelfen hinter sich gelassen.
Schweigend ritten sie dahin. Dabei achteten sie nicht nur auf ihren Weg, sondern auch auf mögliche Bedrohungen. Die Nacht verstrich jedoch ohne Zwischenfall. Als die Sonne aufging, ließ Krasus die Tiere anhalten.
»Wir werden hier rasten«, verkündete er mit einem Blick auf die leicht bewaldeten Hügel, die vor ihnen lagen. »Wir sollten ausgeruht sein, wenn wir dort hindurch reiten.«
»Glaubst du, dass uns dort Gefahr droht?«, fragte Malfurion.
»Vielleicht. Die Wälder sind nicht groß und auch nicht dicht, aber die Hügel sind voller Senken, in denen sich Feinde verbergen könnten.«
Brox nickte zustimmend. »Würde den Hügel im Norden dafür wählen. Bietet guten Blick auf den Weg. Wir sollten ihn auf unserem Weg umgehen.«
»Dieser Expertenmeinung schließe ich mich an.« Der Magier sah sich um. »Dieses Gebiet dort zwischen den beiden großen Felsen eignet sich für ein Lager. Wir können die Umgebung beobachten, sind aber gleichzeitig vor Blicken geschützt.«
Sie banden die Nachtsäbler an einem krummen Baum fest. Die Katzen, die bereits seit Generationen gezüchtet wurden, hörten auf jeden Befehl und widersetzten sich nie. Brox fütterte die Tiere aus den Vorräten, die sie bei sich trugen. Sie hatten genügend Nahrung für drei Tage. Danach würden die Katzen auf die Jagd gehen müssen. Krasus hoffte, dass sie bis dahin eine Gegend erreicht hatten, in der es mehr Wild gab als hier.
Die drei Reisenden nahmen etwas von ihrem eigenen Proviant zu sich. Für einen Drachen wie Krasus war gepökeltes Fleisch nicht gerade eine Delikatesse, aber er hatte sich längst an solche Umstände gewöhnt. Malfurion aß einige getrocknete Früchte und Nüsse, während Brox herzhaft in sein Pökelfleisch biss. Orcs stellten keine großen Ansprüche, wenn es um Nahrung ging.
»Die Katzen schlafen bereits«, sagte Krasus nach ihrer Mahlzeit. »Wir sollten das Gleiche tun.«
»Ich übernehme die erste Wache«, bot Brox an.
Malfurion meldete sich für die zweite Wache, dann suchten er und Krasus sich Schlafplätze in der Nähe eines der beiden Felsen. Brox, der wesentlich gelenkiger war, als man seinem stämmigen Körper zutraute, kletterte katzengleich auf den anderen Felsen und setzte sich. Die Axt lag auf seinem Schoß, während er die Landschaft wie ein hungriger Raubvogel betrachtete.
Der Drachenmagier wollte eigentlich nur ein wenig dösen, schlief aber bald ein. Er hatte sich völlig überanstrengt, und die wenigen Ruhestunden hatten die Schwächung nicht wettmachen können.
Drachen träumten, und auch Krasus war keine Ausnahme. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als endlich wieder zu fliegen, die Schwingen, die er in dieser Gestalt nicht besaß, zu spreizen und sich in die Lüfte zu erheben. In seinen Träumen war er wieder Korialstrasz. Als Wesen der Lüfte fühlte er sich am Boden mehr als eingeschränkt. Der Drache hatte sich in seiner sterblichen Gestalt stets wohl gefühlt, doch damals hatte ein einzelner Gedanke gereicht, um ihn zurückzuverwandeln. Das konnte er nun nicht mehr, und so spürte er oft Ärger über die Zerbrechlichkeit seines jetzigen Körpers.
Dieser Fluch hielt sogar Einzug in seinen Traum. Das schwächliche, sterbliche Fleisch hing an seinem Körper und presste ihn in eine ständig kleiner werdende Form. Seine Flügel zerbrachen, sein Schwanz verschwand. Seine lange Schnauze wurde in seinen Schädel geschoben und durch eine winzige Nase ersetzt. Aus Korialstrasz wurde Krasus, der Magier. Er stürzte der Erde entgegen …
Und erwachte schweißgebadet.
Es hätte Krasus nicht überrascht, wenn er inmitten eines Angriffs aufgewacht wäre, doch alles war ruhig. Nur Malfurions rhythmischer Atem war zu hören. Krasus erhob sich und sah, dass Brox immer noch Wache hielt. Der Magier blickte zur Sonne, um die Uhrzeit zu schätzen. Die Wache des Orcs dauerte schon viel zu lange. Malfurion hätte seine schon antreten müssen.
Der Zauberer ließ den Druiden schlafen und kletterte wie eine Eidechse den Felsen hinauf. Als er die Spitze erreichte, sprang Brox auf und hob seine Axt.
»Du!«, knurrte der Orc und half Krasus über die letzte Hürde. Dann setzten sich beide. »Ich dachte, du schläfst, Meister Krasus.«
»Das solltest du auch. Du brauchst diese Pause ebenso wie wir.«
Der grünhäutige Krieger hob die Schultern. »Ein Orc-Krieger kann mit offenen Augen und erhobener Axt schlafen. Kein Grund, den Nachtelf zu wecken. Er muss schlafen. Gegen den Drachen wird er wichtiger sein als dieser alte Kämpfer.«
Krasus sah den Orc an. »Ein alter Kämpfer, der zwanzig junge wert ist.«
Der Krieger wirkte erfreut über das Kompliment, sagte jedoch: »Die Tage des Ruhmes sind vorbei für diesen Krieger. Es wird keine weiteren Geschichten über Broxigar, die rote Axt, geben.«
»Ich lebe bereits länger als du, Brox. Ich weiß deshalb, wovon ich spreche. Es stecken noch viele ruhmreiche Taten und glorreiche Schlachten in dir. Es wird neue Geschichten über Broxigar, die rote Axt, geben, und wenn ich sie selbst erzählen muss.«
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