Jemand begann heftig zu husten. Huma fragte sich, ob der Drache vielleicht beschlossen hatte, den arroganten Wortschwall des Zauberers zu unterbrechen. Einen Augenblick später hörte er, wie Cyan Blutgeißel sich eilends entschuldigte.
»Meister Galan ist allmächtig! Nicht noch mal! Bitte!«
»Dein nach Chlor stinkender Atem verpestet die Luft. Raus mit dir! Ich werde dich rufen, wenn ich deine Anwesenheit wieder wünsche.«
»Meister!« Flügelschlagen. Huma erkannte, daß der Raum weiter oben eine Verbindung nach draußen haben mußte.
Der Klang von Schritten sagte ihm, daß Drakos fort ging. Huma wagte es, nochmals um die Ecke zu spähen, und sah gerade noch den Rücken des Zauberers, bevor dieser durch einen weiteren Torbogen verschwand. Die Fackeln in der Kammer schienen schwächer zu leuchten, nachdem er gegangen war.
Huma machte einen vorsichtigen Schritt in den Raum. Eigentlich rechnete er mit einer Zauberfalle, aber es flackerte noch nicht einmal etwas auf.
Mit sorgfältig bemessenen Schritten ging er zu der schwarzen Kristallplattform und starrte die große Kugel an. Vielleicht, dachte er, war es das, was seinen kleinen Führer angezogen hatte. Vielleicht versteckte Drakos damit das Schloß vor der Außenwelt – oder vielleicht…
Eine Woge der Ablehnung traf ihn, die ihn taumeln ließ, wobei er fast sein Schwert fallen gelassen hätte. Wie er mühsam erkannte, kam sie aus der Kugel selbst. Huma schloß kurz die Augen und konzentrierte sich.
Der Haß verschwand, um durch Verachtung und Belustigung ersetzt zu werden, weil jemand ihn verspottete, seine ganze Existenz verhöhnte. Huma öffnete gewaltsam wieder die Augen, obwohl er wußte, was er sehen würde, und weil er nicht verzagen wollte.
Sie war da, starrte ihn von irgendwoher an, starrte ihn durch die Kugel an.
Takhisis.
Humas erster Gedanke drehte sich komischerweise darum, ob Galan Drakos wußte, daß sie in diese Kammer gelangen konnte. Ahnte sie – wie Huma gerade zu begreifen begann –, daß Drakos etwas gegen sie ausheckte, wie man aus seinen Befehlen an den hypnotisierten Diener entnehmen konnte? Bestimmt ahnte sie, daß jemand, der so ehrgeizig war wie der Abtrünnige, nie zufrieden sein würde, bevor er alles beherrschte. War das etwa der Grund für ihr Lächeln?
Lächeln? Zuerst war kein echtes Gesicht dagewesen. Aber das hier waren die fein gemeißelten Züge einer Königin der Königinnen, einer wahrhaft Unsterblichen. Ein Mann konnte sich an eine solche Schönheit durchaus verlieren – für alle Ewigkeit. Um so einen geringen Preis. Hatte ihm die Ritterschaft denn etwas anderes gegeben als Leid? Ihretwegen hatte er seine Eltern verloren, dazu Rennard und zahllose Kameraden, einschließlich Buoron. Selbst seine Liebe war ihm genommen worden –
Lügen! Der Nebel um seinen Verstand lichtete sich, und er sah die Lügen hinter der angeblichen Wahrheit. Rennard war schon lange vor seiner Ritterschaft verloren gewesen. Humas Vater, Durak, war gestorben, als er für etwas kämpfte, an das er mit aller Inbrunst glaubte, etwas, für das er den Tod in Kauf nahm. Was Gwyneth anging – dieser Gedanke blieb offen.
Anstatt ihn niederzustrecken, lächelte die Dunkle Königin nur.
Das Gesicht verschwand. Nur ein Hauch der Bosheit, die die Drachenkönigin verkörperte, blieb zurück, um ihn daran zu erinnern, was er gerade erlebt hatte.
»Ich finde, es wird Zeit, dieses Spiel zu beenden«, bemerkte Galan Drakos plötzlich.
Galan Drakos starrte den Ritter mit verschränkten Armen an. Seine dünnen Lippen waren zu einem raubtierhaften Lächeln verzogen.
Der abtrünnige Zauberer zog die Kapuze seiner Robe zurück, so daß sein Gesicht ganz sichtbar wurde. Sein dünnes Haar klebte ihm strähnig am Kopf. Der spitze Haaransatz reichte bis in die Stirn. Der Kopf an sich war lang gezogen, fast unmenschlich. Der Zauberer griff hinunter und tätschelte den knochenweißen Kopf des einen von zwei Schreckenswölfen, die ihn flankierten; diese Bewegung enthüllte lange, knochige Finger, die in Klauen endeten.
»Und so kommen wir zum Ende. Ich hätte es mir nicht anders wünschen können. Du mußtest hier sein, um meinen Sieg zu sehen – den endgültigen Sieg.«
»Du wußtest, daß ich hier war?«
»Die Anhänger Nuitaris machen ihrem Gott keine Ehre. Sie sind so von ihrer eigenen Wichtigkeit überzeugt, daß sie nicht erkennen, was einer vermag, der nicht von den Gesetzen eingeschränkt wird, die von diesen Obertrotteln der Versammlung der Zauberer erlassen werden.«
Während Drakos sprach, ging Huma seine Möglichkeiten durch – und das waren nicht viele. Ein Plan, den nur die Verzweiflung gebären konnte, fuhr ihm durch den Kopf. Huma ging einen Schritt zurück und hielt seine freie Hand über die große Kugel, von der der Ritter nur Augenblicke zuvor die Vision der Drachenkönigin empfangen hatte. »Keine Bewegung, sonst zertrümmere ich sie. Was dann mit deinen Träumen?«
»Sie würden buchstäblich zu Staub zerfallen – wenn du es wirklich schaffst, die Kugel zu zerbrechen. Ich gebe dir Gelegenheit zu einem Versuch.«
Huma schlug, so fest er konnte, auf die Oberfläche der Smaragdkugel. Sein Handschuh prallte ab. Auf der Kugel war nicht einmal ein Kratzer zu sehen.
»Siehst du?«
Huma nickte und ließ seine freie Hand wie beiläufig zum Gürtel sinken.
»Ich finde – «, konnte Galan Drakos gerade noch sagen, bevor Huma einen scharfen Dolch herauszog und ihn direkt auf den Zauberer warf.
Der Dolch war gut geworfen. Doch der Abtrünnige hob bloß einen Finger, da wurde die Klinge langsamer, drehte sich – und zischte auf Huma zu. Der Ritter warf sich hin und kullerte die Stufen der Kristallplattform hinunter. Das Messer prallte von der riesigen, grünen Kugel ab und fiel klirrend zu Boden.
»Schlapp. Ich hatte eigentlich mehr von dir erwartet.« Bevor Huma wieder richtig stand, schnipste Drakos mit den Fingern. Plötzlich wurde der Ritter von festen, anscheinend steinernen Händen von hinten gepackt. Er wand sich, um den dicken, monsterhaften Fingern zu entkommen. Das bedrohliche Wesen, das er übersehen hatte, ließ nicht locker. Humas Rüstung begann, in sein Fleisch einzuschneiden.
»An diese Wand«, zeigte Drakos.
Huma wurde umgedreht und hochgehoben. Etwas Kaltes, Steinernes hielt seine Handgelenke und dann die Knöchel fest. Der Ritter saß in der Falle.
Die schnellen, gezielten Bewegungen hatten Huma keine Zeit gelassen, einen Blick auf den Diener des Zauberers zu werfen. Jetzt merkte Huma zu seinem Entsetzen, daß sein Gegner tatsächlich einer der Gargyle an den Wänden war. Unter Humas Augen kehrte der Gargyl langsam zu seiner Nische zurück. Über die Schulter blickend, sah Huma, daß ein anderer Gargyl, der eigentlich nur aus Armen bestand, ihn an der Wand festhielt.
»Ich sehe, daß du meine Kunstwerke bewunderst.« Drakos trat näher, und der gefangene Ritter sah, daß sein Gesicht von einer dünnen Schuppenschicht bedeckt war. Der Abtrünnige war dem Aussehen nach fast ein Reptil, und Huma fragte sich, wieviel von seiner Menschlichkeit der Zauberer wohl für Macht hingegeben hatte.
»Um gerecht zu sein, ich habe dich anfangs unterschätzt. Ich dachte, du wärst nur ein Lakai von Magus, ein alter Freund, der ihm mal wieder nützlich erschien. Stell dir vor, wie überrascht ich war, als ich merkte, daß du nicht nur kein Lakai warst, sondern daß unser beider Freund dir tatsächlich vertraute.«
Das Gerede über Magus ließ Huma wieder wütend zappeln, doch die Pranken des Gargyls ließen nicht locker. Hilflos funkelte er den Abtrünnigen an, der nur noch befriedigter dreinschaute.
»Er hat sich von allem losgesagt, was er je getan hat, weißt du. Ich glaube kaum, daß es in seinen letzten paar Tagen auf ganz Krynn eine weißere Robe gab. Schade. Du hättest seine Schreie hören müssen. Meine – Assistenten – können phantasievoll sein. Einen mußte ich wegen seines Übereifers bestrafen. Er hätte unseren Freund fast getötet.« Der Abtrünnige kicherte. »Ich hasse es allerdings, Ideenreichtum zu unterbinden. Nicht, daß es da noch etwas ausgemacht hätte. Ich fürchte, danach war Magus nicht mehr richtig bei uns. Er begann, mit sich selber zu reden – Sachen aus der Kindheit, vermute ich. Das hat meine Leute furchtbar geärgert. Eigentlich hat er überhaupt nicht mehr richtig gesprochen, bis ich mich mit dir getroffen habe. Du mußt ihm sehr viel bedeutet haben, wenn er dafür von jenem sicheren Hafen zurückgekehrt ist, in dem er seinen Geist in Sicherheit gebracht hatte.«
Читать дальше