»Nun, das war's. Noch Fragen?«
Harry schüttelte den Kopf. Er hatte begriffen, wie das Spiel ging, und nun mußte er es in die Tat umsetzen.
»Wir üben heute noch nicht mit dem Schnatz«, sagte Wood und verstaute ihn sorgfältig wieder in der Kiste. »Es ist zu dunkel, er könnte verloren gehen. Am besten fängst du mit ein paar von denen an.«
Er zog einen Beutel mit gewöhnlichen Golfbällen aus der Tasche und ein paar Minuten später waren die beiden oben in den Lüften. Wood warf die Golfbälle, so weit er konnte, in alle Himmelsrichtungen und Harry mußte sie Auffangen.
Harry fing jeden Ball, bevor er den Boden berührte, was Wood ungemein freute. Nach einer halben Stunde war die Nacht hereingebrochen, und sie mußten aufhören.
»Der Quidditch-Pokal wird dieses Jahr unseren Namen tragen«, sagte Wood glücklich, als sie zum Schloß zurück schlenderten. »Würde mich nicht wundern, wenn du besser bist als Charlie Weasley, und der hätte für England spielen können, wenn er nicht Drachenjagen gegangen wäre.«
Vielleicht war Harry so beschäftigt mit dem Quidditchtraining drei Abende die Woche und dazu noch mit all den Hausaufgaben jedenfalls konnte er es kaum fassen, als ihm klar wurde, daß er schon seit zwei Monaten in Hogwarts war. Im Schloß fühlte er sich mehr zu Hause als jemals im Ligusterweg. Auch der Unterricht wurde nun, da er die Grundlagen beherrschte, immer interessanter.
Als sie am Morgen von Halloween aufwachten, wehte der köstliche Geruch gebackener Kürbisse durch die Gänge. Und es kam noch besser: Professor Flitwick verkündete im Zauberunterricht, sie seien nun so weit, Gegenstände fliegen zu lassen, und danach hatten sie sich alle gesehnt, seit sie erlebt hatten, wie er Nevilles Kröte im Klassenzimmer umherschwirren ließ. Für die Übungen stellte Professor Flitwick die Schüler paarweise zusammen. Harrys Partner war Seamus Finnigan (worüber er froh war, denn Neville hatte schon zu ihm herübergespäht). Ron sollte jedoch mit Hermine Granger arbeiten. Es war schwer zu sagen, wer von den beiden deshalb mißmutiger war. Seit Harrys Besen gekommen war, hatte sie nicht mehr mit ihnen gesprochen.
»Also, vergeßt nicht diese flinke Bewegung mit dem Handgelenk, die wir geübt haben!«, quiekte Professor Flitwick, wie üblich auf seinem Stapel Bücher stehend. »Wutschen und schnipsen, denkt daran, wutschen und schnipsen. Und die Zauberworte richtig herzusagen ist auch sehr wichtig – denkt immer an Zauberer Baruffio, der ›r‹ statt ›w‹ gesagt hat und plötzlich auf dem Boden lag – mit einem Büffel auf der Brust.«
Es war sehr schwierig. Harry und Seamus wutschten und schnipsten, doch die Feder, die sie himmelwärts schicken sollten, blieb einfach auf dem Tisch liegen. Seamus wurde so ungeduldig, daß er sie mit seinem Zauberstab anstachelte, worauf sie anfing zu brennen – Harry mußte das Feuer mit seinem Hut ersticken.
Ron, am Tisch nebenan, erging es auch nicht viel besser.
»Wingardium Leviosa!«, rief er und ließ seine langen Arme wie Windmühlenflügel kreisen.
»Du sagst es falsch«, hörte Harry Hermine meckern. »Es heißt Wing-gar-dium Levi-o-sa, mach das ›gar‹ schön und lang.«
»Dann mach's doch selber, wenn du alles besser weißt«, knurrte Ron.
Hermine rollte die Ärmel ihres Kleids hoch, knallte kurz mit dem Zauberstab auf den Tisch und sagte »Wingardium Leviosa!«.
Die Feder erhob sich vom Tisch und blieb gut einen Meter über ihren Köpfen in der Luft schweben.
»Oh, gut gemacht!«, rief Professor Flitwick und klatschte in die Hände. »Alle mal hersehen, Miss Granger hat es geschafft!«
Am Ende der Stunde hatte Ron eine hundsmiserable Laune.
»Kein Wunder, daß niemand sie ausstehen kann«, sagte er zu Harry, als sie hinaus in den belebten Korridor drängten,»ehrlich gesagt ist sie ein Alptraum.«
Jemand stieß im Vorbeigehen Harry an. Es war Hermine. Für einen Augenblick sah er ihr Gesicht – und war Überrascht, daß sie weinte.
»Ich glaube, sie hat dich gehört.«
»So?«, sagte Ron und schaute allerdings etwas unbehaglich drein. »Ihr muß selbst schon aufgefallen sein, daß sie keine Freunde hat.«
Hermine erschien nicht zur nächsten Stunde und blieb den ganzen Nachmittag lang verschwunden. Auf ihrem Weg hinunter in die Große Halle zum Halloween-Festessen hörten Harry und Ron, wie Parvati Patil ihrer Freundin Lavender sagte, Hermine sitze heulend im Mädchenklo und wolle allein gelassen werden. Daraufhin machte Ron einen noch verlegeneren Eindruck, doch nun betraten Sie die Große Halle, die für Halloween ausgeschmückt war, und vergaßen Hermine.
Tausend echte Fledermäuse flatterten an den Wänden und an der Decke, und noch einmal tausend fegten in langen schwarzen Wolken über die Tische und ließen die Kerzen in den Kürbissen flackern. Auf einen Schlag, genau wie beim Bankett zum Schuljahresbeginn, waren die goldenen Platten mit dem Festessen gefüllt.
Harry nahm sich gerade eine Pellkartoffel, als Professor Quirrell mit verrutschtem Turban und angstverzerrtem Gesicht in die Halle gerannt kam. Aller Blicke richteten sich auf ihn, als er Professor Dumbledores Platz erreichte, gegen den Tisch rempelte und nach Luft schnappend hervorstieß:»Troll – im Kerker – dachte, Sie sollten es wissen.«
Dann sank er ohnmächtig auf den Boden.
Mit einem Mal herrschte heilloser Aufruhr. Etliche purpurrote Knallfrösche aus Professor Dumbledores Zauberstab waren nötig, um den Saal zur Ruhe zu bringen.
»Vertrauensschüler«, polterte er, #führt eure Häuser sofort zurück in die Schlafsäle!«
Percy war in seinem Element.
»Folgt mir! Bleibt zusammen, Erstkläßler! Kein Grund zur Angst vor dem Troll, wenn ihr meinen Anweisungen folgt! Bleibt jetzt dicht hinter mir. Platz machen bitte für die Erstkläßler. Pardon, ich bin Vertrauensschüler!«
»Wie konnte ein Troll reinkommen«, fragte Harry, während sie die Treppen hochstiegen.
»Frag mich nicht, angeblich sollen sie ziemlich dumm sein«, sagte Ron.
Wielleicht hat ihn Peeves hereingelassen, als Streich zu Halloween.«
Unterwegs trafen sie immer wieder auf andere Häufchen von Schülern, die in verschiedene Richtungen eilten. Als sie sich ihren Weg durch eine Gruppe verwirrter Hufflepuffs bahnten, packte Harry Ron plötzlich am Arm.
»Da fällt mir ein – Hermine.«
»Was ist mit ihr?«
»Sie weiß nichts von dem Troll.«
Ron biß sich auf die Lippe.
»Von mir aus«, knurrte er. »Aber Percy sollte uns lieber nicht sehen.«
Sie duckten ihre Köpfe in der Menge und folgten den Hufflepuffs, die in die andere Richtung unterwegs waren, huschten dann einen verlassenen Korridor entlang und rannten weiter in Richtung der Mädchenklos. Gerade waren sie um die Ecke gebogen, als sie hinter sich schnelle Schritte hörten.
»Percy!«, zischte Ron und zog Harry hinter einen großen steinernen Greifen.
Als sie um die Ecke spähten, sahen sie nicht Percy, sondern Snape. Er ging den Korridor entlang und entschwand ihren Blicken.
»Was macht der hier?«, flüsterte Harry. »Warum ist er nicht unten in den Kerkern mit den anderen Lehrern?«
»Keine Ahnung.«
So vorsichtig wie möglich schlichen sie den nächsten Gang entlang, Snapes leiser werdenden Schritten nach.
»Er ist auf dem Weg in den dritten Stock«, sagte Harry, doch Ron hielt die Hand hoch.
»Riechst du was?«
Harry schnüffelte und ein übler Gestank drang ihm in die Nase, eine Mischung aus getragenen Socken und der Sorte öffentlicher Toiletten, die niemand je zu putzen scheint.
Und dann hörten sie es – ein leises Grunzen und das Schleifen gigantischer Füße. Ron deutete nach links – vom Ende eines Ganges her bewegte sich etwas Riesiges auf sie zu. Sie drängten sich in die Dunkelheit der Schatten und sahen, wie das Etwas in einem Fleck Mondlicht Gestalt annahm.
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