Sie hörten Schritte. Filch rannte, so schnell er konnte, den Rufen von Peeves nach.
»Ach, geh mal beiseite«, fauchte Hermine. Sie packte Harrys Zauberstab, klopfte auf das Türschloß und flüsterte:»Alohomora!«
Das Schloß klickte und die Tür ging auf – sie stürzten sich alle auf einmal hindurch, verschlossen sie rasch hinter sich und drückten die Ohren dagegen, um zu lauschen.
»In welche Richtung sind sie gelaufen, Peeves?«, hörten sie Filch fragen. »Schnell, sag's mir.«
»Sag ›bitte‹.«
»Keine blöden Mätzchen jetzt, Peeves, wo sind sie hingegangen?«
»Ich sag dir nichts, wenn du nicht ›bitte‹ sagst«, antwortete Peeves mit einer nervigen Singsangstimme.
»Na gut – bitte.«
»NICHTS! Hahaaa! Hab dir gesagt, daß ich nichts sagen würde, wenn du nicht bitte sagst! Haha! Haaaaa« Und sie hörten Peeves fortrauschen und Filch wütend fluchen.
»Er glaubt, daß diese Tür verschlossen ist«, flüsterte
Harry,»ich glaube, wir haben's geschafft – laß los, Neville!«
Denn Neville zupfte schon seit einer Minute ständig an
Harrys Ärmel. »Was?«
Harry wandte sich um und sah, ganz deutlich, was. Einen
Moment lang glaubte er, in einen Alptraum geschlittert zu sein – das war einfach zu viel, nach dem, was bisher schon passiert war.
Sie waren nicht in einem Zimmer, wie er gedacht hatte.
Sie waren in einem Gang. In dem verbotenen Gang im dritten Stock. Und jetzt wußten sie auch, warum er verboten war.
Sie sahen direkt in die Augen eines Ungeheuers von Hund, eines Hundes, der den ganzen Raum zwischen Decke und Fußboden einnahm. Er hatte drei Köpfe. Drei Paar rollender, irrsinniger Augen; drei Nasen, die in ihre Richtung zuckten und zitterten; drei sabbernde Mäuler, Aus denen von gelblichen Fangzähnen in glitschigen Fäden der Speichel herunterhing.
Er stand ganz ruhig da, alle sechs Augen auf sie gerichtet, und Harry wußte, daß der einzige Grund, warum sie nicht schon tot waren, ihr plötzliches Erscheinen war, das ihn überrascht hatte. Doch darüber kam er jetzt schnell hinweg, denn es war unmißverständlich, was dieses Donnergrollen bedeutete.
Harry griff nach der Türklinke – wenn er zwischen Filch und dem Tod wählen mußte, dann nahm er lieber Filch.
Sie liefen rückwärts. Harry schlug die Tür hinter ihnen zu, und sie rannten, flogen fast, den Gang entlang zurück. Filch war nirgends zu sehen, er mußte fortgeeilt sein, um anderswo nach ihnen zu suchen, doch das kümmerte sie nicht. Alles, was sie wollten, war, das Ungeheuer so weit
wie möglich hinter sich zu lassen. Sie hörten erst auf zu rennen, als sie das Porträt der fetten Dame im siebten Stock erreicht hatten.
»Wo um Himmels willen seid ihr alle gewesen?«, fragte sie und musterte ihre Morgenmäntel, die ihnen von den Schultern hingen, und ihre erhitzten, schweißüberströmten Gesichter.
»Das ist jetzt egal – Schweineschnauze, Schweineschnauze«, keuchte Harry, und das Porträt schwang zur Seite. Sie drängten sich in den Aufenthaltsraum und ließen sich zitternd in die Sessel fallen.
Es dauerte eine Weile, bis einer von ihnen ein Wort sagte. Neville sah tatsächlich so aus, als ob er nie mehr den Mund aufmachen würde.
»Was denken die sich eigentlich, wenn sie so ein Ding hier in der Schule eingesperrt halten?«, sagte Ron schließlich. »Wenn es einen Hund gibt, der mal Auslauf braucht, dann der da unten.«
Hermine hatte inzwischen wieder Atem geschöpft und auch ihre schlechte Laune zurückgewonnen.
»Ihr benutzt wohl eure Augen nicht, keiner von euch?«, fauchte sie. »Habt ihr nicht gesehen, worauf er stand?«
»Auf dem Boden?«, war der Beitrag Harrys zu dieser Frage. »Ich habe nicht auf seine Pfoten geschaut, ich war zu beschäftigt mit den Köpfen.«
»Nein, nicht auf dem Boden. Er stand auf einer Falltür. Offensichtlich bewacht er etwas.«
Sie stand auf und sah sie entrüstet an.
»Ich hoffe, ihr seid zufrieden mit euch. Wir hätten alle sterben können – oder noch schlimmer, von der Schule verwiesen werden. Und jetzt, wenn es euch nichts ausmacht, gehe ich zu Bett.«
Ron starrte ihr mit offenem Mund nach.
»Nein, es macht uns nichts aus«, sagte er. »Du könntest
glatt meinen, wir hätten sie mitgeschleift, oder?«
Doch Hermine hatte Harry etwas anderes zum Nachdenken gegeben, bevor sie ins Bett ging. Der Hund bewachte etwas… Was hatte Hagrid gesagt? Gringotts war der sicherste Ort auf der Welt, mit Ausnahme vielleicht von Hogwarts.
Es sah so aus, als hätte Harry herausgefunden, wo das schmutzige kleine Päckchen aus dem Verlies siebenhundertundneunzehn steckte.
Malfoy wollte seinen Augen nicht trauen, als er am nächsten Tag sah, daß Harry und Ron immer noch in Hogwarts waren, müde zwar, doch glänzend gelaunt. Tatsächlich hielten die beiden, als sie darüber geschlafen hatten, ihre Begegnung mit dem dreiköpfigen Hund für ein tolles Abenteuer und waren ganz erpicht auf ein neues. Unterdessen erzählte Harry Ron von dem Päckchen, das offenbar von Gringotts nach Hogwarts gebracht worden war, und sie zerbrachen sich die Köpfe darüber, was denn mit so viel Aufwand geschützt werden mußte.
»Entweder ist es sehr wertvoll oder sehr gefährlich«, sagte Ron.
»Oder beides«, sagte Harry.
Doch weil sie über das geheimnisvolle Ding nicht mehr wußten, als daß es gut fünf Zentimeter lang war, hatten sie ohne nähere Anhaltspunkte keine große Chance zu erraten, was in dem Päckchen war.
Weder Neville noch Hermine zeigten das geringste Interesse an der Frage, was wohl unter dem Hund und der Falltür liegen könnte. Neville interessierte nur eines, nämlich nie mehr in die Nähe des Hundes zu kommen.
Hermine weigerte sich von nun an, mit Harry und Ron zu sprechen, doch sie war eine so aufdringliche Besserwisserin, daß die beiden dies als Zusatzpunkt für sich verbuchten. Was sie jetzt wirklich wollten, war eine Gelegenheit, es Malfoy heimzuzahlen, und zu ihrem großen Vergnügen kam sie eine Woche später per Post.
Die Eulen flogen wie immer in einem langen Strom durch die Große Halle, doch diesmal schauten alle sogleich auf das lange, schmale Paket, das von sechs großen Schleiereulen getragen wurde. Harry war genauso neugierig darauf wie alle andern, was wohl in diesem großen Paket stecken mochte, und war sprachlos, als die Eulen herabstießen und es vor seiner Nase fallen ließen, so daß sein Schinkenbrot vom Tisch rutschte. Kaum waren die sechs Schleiereulen davongeflattert, als eine siebte heranschwebte und (,MM Brief auf das Paket warf
Harry riß als Erstes den Brief auf und das war ein Glück, denn er lautete:
ÖFFNEN SIE DAS PAKET NICHT BEI TISCH.
es enthält Ihren neuen Nimbus Zweitausend, doch ich möchte nicht, daß die andern von Ihrem Besen erfahren, denn dann wollen sie alle einen. Oliver Wood erwartet Sie heute Abend um sieben Uhr auf dem Quidditch-Feld zu ihrer ersten Trainingsstunde.
Professor M. McGonagall
Harry fiel es schwer, seine Genugtuung zu verbergen, als er Ron den Brief zu lesen gab.
»Einen Nimbus Zweitausend«, stöhnte Ron neidisch. »Ich hab noch nicht mal einen berührt.«
Sie verließen rasch die Halle, um den Besen zu zweit noch vor der ersten Stunde auszupacken, doch in der Eingangshalle sahen sie, daß Crabbe und Goyle ihnen an der Treppe den Weg versperrten. Malfoy riß Harry das Paket aus den Händen und betastete es.
»Das ist ein Besen«, sagte er und warf ihn Harry zurück, eine Mischung aus Eifersucht und Häme im Gesicht. »Diesmal bist du dran, Potter, Erstkläßler dürfen keinen haben.«
Ron konnte nicht widerstehen.
»Es ist nicht irgendein blöder Besen«, sagte er,»es ist ein Nimbus Zweitausend. Was sagtest du, was für einen du daheim hast, einen Komet Zwei-Sechzig?« Ron grinste Harry an. »Ein Komet sieht ganz protzig aus, aber der Nimbus spielt in einer ganz anderen Liga.«
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