Eine Lampe ging flackernd an. Es war Hermine Granger, die einen rosa Morgenmantel trug und auf der Stirn eine tiefe Sorgenfalte.
»Du!«, sagte Ron zornig. »Geb. wieder ins Bett!«
»Ich hätte es fast deinem Bruder erzählt«, sagte Hermine spitz,»Percy, er ist Vertrauensschüler, und er hätte das hier nicht zugelassen.«
Harry konnte es nicht fassen, daß sich jemand auf so unverschämte Weise einmischte.
»Los, weiter«, sagte er zu Ron. Er schob das Porträt der fetten Dame beiseite und kletterte durch das Loch.
So schnell gab Hermine jedoch nicht auf Sie folgte Ron durch das Loch hinter dem Bild und fauchte wie eine wütende Gans.
»Ihr schert euch überhaupt nicht um Gryffindor, sondern nur um euch selbst. Ich jedenfalls will nicht, daß Slytherin den Hauspokal gewinnt und ihr sämtliche Punkte wieder verliert, die ich von Professor McGonagall gekriegt habe, weil ich alles über die Verwandlungssprüche wußte.«
»Hau ab.«
»Na gut, aber ich warne euch, erinnert euch an das, was ich gesagt habe, wenn ihr morgen im Zug nach Hause sitzt, ihr seid ja so was von -«
Doch was sie waren, erfuhren sie nicht mehr. Hermine hatte sich zu dem Porträt der fetten Dame umgedreht, um zurückzukehren, doch das Bild war leer. Die fette Dame war zu einem nächtlichen Besuch ausgegangen und Hermine war aus dem Gryffindor-Turm ausgesperrt.
»Was soll ich jetzt tun?«, fragte sie mit schriller Stimme.
»Das ist dein Problem«, sagte Ron. »Wir müssen weiter, sonst kommen wir noch zu spät.«
Sie hatten noch nicht einmal das Ende des Ganges erreicht, als Hermine sie einholte.
»Ich komme mit«, sagte sie.
»Das tust du nicht.«
»Glaubt ihr, ich warte hier draußen, bis Filch mich erwischt? Wenn er uns alle drei erwischt, sage ich ihm die Wahrheit, nämlich daß ich euch aufhalten wollte, und ihr könnt es ja bestätigen.«
»Du hast vielleicht Nerven _«, stöhnte Ron.
»Seid still, beide!«, zischte Harry. »Ich hab etwas gehört.«
Es hörte sich an wie ein Schnüffeln.
»Mrs. Norris?«, flüsterte Ron und spähte durch die Dunkelheit.
Es war nicht Mrs. Norris. Es war Neville. Er lag zusammengekauert auf dem Boden und schlief, doch als sie sich näherten, schreckte er hoch.
»Gott sei Dank, daß ihr mich gefunden habt! Ich bin schon seit Stunden hier draußen. Ich hab das Paßwort vergessen und bin nicht reingekommen.«
»Sprich leise, Neville. Das Paßwort ist ›Schweineschnauze‹, aber das wird dir nicht weiterhelfen, die fette Dame ist nämlich ausgeflogen.«
»Was macht dein Arm?«, fragte Harry.
»Wieder in Ordnung«, sagte Neville und zeigte ihn vor. »Madam Pomfrey hat ihn in einer Minute heil gemacht.«
»Gut. Nun hör mal zu, Neville, wir müssen noch weiter, wir sehen uns später -«
»Laßt mich nicht allein!«, rief Neville und rappelte sich hoch. »Ich will nicht alleine hier bleiben, der Blutige Baron ist schon zweimal vorbeigekommen.«
Ron sah auf die Uhr und blickte dann Hermine und Neville wütend an.
»Wenn wir wegen euch erwischt werden, ruhe ich nicht (-her, bis ich diesen Fluch der Popel gelernt habe, von dem uns Quirrell erzählt hat, und ihn euch auf den Hals gejagt habe.«
Hermine öffnete den Mund, vielleicht um Ron genau zu erklären, wie der Fluch der Popel funktionierte, doch mit einem Zischen gebot ihr Harry zu schweigen und scheuchte sie alle weiter.
Sie huschten Gänge entlang, in die der Mond Lichtstreifen durch die hohen Fenster warf. Nach jeder Ecke erwartete Harry, sie würden auf Filch oder Mrs. Norris stoßen, doch sie hatten Glück. Sie rannten eine Treppe zum dritten Stock empor und gingen auf Zehenspitzen in Richtung Pokalzimmer.
Malfoy und Crabbe waren noch nicht da. Die Vitrinen aus Kristallglas schimmerten im Mondlicht. Pokale, Schilder, Teller und Statuen blinkten silbern und golden durch die Dunkelheit. Sie drückten sich leise an den Wänden entlang und behielten dabei die Türen auf beiden Seiten des Raumes im Auge. Harry nahm seinen Zauberstab heraus für den Fall, daß Malfoy hereinsprang und sofort loslegte. Die Minuten krochen vorbei.
»Er kommt zu spät, vielleicht hat er Muffensausen gekriegt«, flüsterte Ron.
Ein Geräusch im Zimmer nebenan ließ sie zusammenschrecken. Harry hatte gerade den Zauberstab erhoben, als sie jemanden sprechen hörten – und es war nicht Malfoy.
»Schnüffel ein wenig herum, meine Süße, vielleicht lauern sie in einer Ecke.«
Es war Filch, der mit Mrs. Norris sprach. Harry, den ein fürchterlicher Schreck gepackt hatte, ruderte wild mit den Armen, um den anderen zu bedeuten, sie sollten ihm so schnell wie möglich folgen. Sie tasteten sich zur Tür, die von Filchs Stimme wegführte. Kaum war Nevilles Umhang um die Ecke gewischt, als sie Filch das Pokalzimmer betreten hörten.
»Sie sind irgendwo hier drin«, hörten sie ihn murmeln,»wahrscheinlich verstecken sie sich.«
»Hier entlang!«, bedeutete Harry den andern mit einer Mundbewegung, und mit entsetzensstarren Gliedern schlichen sie eine endlose Galerie voller Rüstungen entlang. Sie konnten Filch näher kommen hören. Neville gab plötzlich ein ängstliches Quieken von sich und rannte los, er stolperte, klammerte seine Arme um Rons Hüfte und beide stürzten mitten in eine Rüstung.
Das Klingen und Klirren reichte aus, um das ganze Schloß aufzuwecken.
»LAUFT!«, rief Harry, und die vier rasten die Galerie entlang ohne sich umzusehen, ob Filch folgte. Sie schwangen sich um einen Türpfosten und liefen einen Gang runter und dann noch einen, Harry voran, der jedoch keine Ahnung hatte, wo sie waren oder hinrannten. Schließlich durchrissen sie einen Wandbehang und fanden sich in einen Geheimgang wieder. Immer noch rennend kamen sie in der Nähe des Klassenzimmers heraus, wo sie Zauberkunst hatten und von dem sie wußten, daß es vom Pokalzimmer meilenweit entfernt war.
»Ich glaube, wir haben ihn abgehängt«, stieß Harry außer Atem hervor, lehnte sich gegen die kalte Wand und wischte sich die Stirn. Neville war pfeifend und prustend in sich zusammengesunken.
»Ich – hab's euch – gesagt«, keuchte Hermine und griff sich an die Seite, wo sie ein Stechen spürte,»ich – hab's – euch – doch – gesagt.«
»Wir müssen zurück in den Gryffindor-Turm«, sagte Ron,»so schnell wie möglich.«
»Malfoy hat dich reingelegt«, sagte Hermine zu Harry,»Das siehst du doch auch, oder? Er hat dich nie treffen wollen – Filch wußte, daß im Pokalzimmer etwas vor sich ging, Malfoy muß ihm einen Tipp gegeben haben.«
Sie hat vermutlich Recht, dachte Harry, doch das würde er ihr nicht sagen.
»Gehen wir. «
So einfach war es freilich nicht. Nach kaum einem Dutzend Schritten rüttelte es an einer Türklinke und aus einem Klassenzimmer kam eine Gestalt herausgeschossen.
Es war Peeves. Er bemerkte sie und gab ein freudiges Quietschen von sich.
»Halt den Mund, Peeves, bitte, wegen dir werden wir noch rausgeworfen.«
Peeves lachte gackernd.
»Stromern um Mitternacht im Schloß herum, die kleinen Erstkläßler? Soso, soso. Gar nicht brav, man wird euch erwischen.«
»Nicht, wenn du uns nicht verpetzt, Peeves, bitte.«
»Sollte es Filch sagen, sollte ich wirklich«, sagte Peeves mit sanfter Stimme, doch mit verschlagen glitzernden Augen. »Ist nur zu eurem Besten, wißt ihr.«
»Aus dem Weg«, fuhr ihn Ron an und schlug nach ihm, was ein großer Fehler war.
»SCHÜLER AUS DEM BETT!«, brüllte Peeves,»SCHÜLER AUS DEM BETT, HIER IM ZAUBERKUNSTKORRIDOR«
Sie duckten sich unter Peeves hindurch und rannten wie um ihr Leben bis zum Ende des Gangs, wo sie in eine Tür krachten – und die war verschlossen.
»Das war's«, stöhnte Ron, als sie verzweifelt versuchten die Tür aufzudrücken. »Wir sitzen in der Falle! Das ist das Ende«
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