Die einzelnen Fдden waren kaum dicker als ein Haar, aber sie schienen unzerreiЯbar zu sein, und sie brannten wie Sдure, dort, wo sie ihre bloЯe Haut berьhrten. Irgendwo hinter und ьber ihr erscholl ein dьnner Pfeifton, gefolgt von einem metallenen Klicken, als die Panzertьr aufsprang. Zu spдt, dachte sie bitter. Zehn Sekunden zu spдt. Verdammt, sie hatte einen Moment lang durchgehalten, hatte sich quer durch die Hцlle bis hierher durchgekдmpft – und das alles, um zehn verdammte Sekunden zu spдt zu kommen! Der Zorn, mit dem sie dieser Gedanke erfьllte, gab ihr noch einmal die Kraft, sich herumzuwдlzen und die Hand nach der Waffe auszustrecken. Verzweifelt versuchte sie, das Brennen und Schneiden der дtzenden Fдden auf der Haut zu ignorieren, zog die Knie an den Kцrper und bewegte sich rhythmisch, um auf die Seite zu rollen und sich so der Smith & Wesson zu nдhern. Die Waffe war ihr entglitten, aber sie konnte nicht weit sein, nur ein Stьck, vielleicht einen halben Meter, nahe genug, um sie trotz des wьrgenden Netzes zu – Charity erstarrte, als sie ihre Drehung so weit vollendet hatte, dass sie die Waffe erkennen konnte. Sie lag da, wo sie sie vermutet hatte, sogar noch ein bisschen nдher, und die Spinne hockte mit weit ausgebreiteten Beinen darьber!! Charity starrte das Ungeheuer an, und die Bestie starrte sie an. Sie war jetzt sicher, sich das spцttische Glitzern in den Augen des gewaltigen Spinnentieres nicht nur einzubilden. Das Monster spielte mit ihr, so wie es die ganze Zeit ьber nur mit ihr gespielt hatte, ein gnadenloses Katz-und-Maus-Spiel, bei dem der Verlierer von Anfang an festgestanden hatte. Und es war auch jetzt noch nicht zu Ende, dachte Charity dьster. Sie war hilflos, bewegungs– und fluchtunfдhig eingewickelt in dieses verdammte Netz, und es wдre dem Tier ein leichtes gewesen, jetzt ьber sie herzufallen und sie zu tцten. Aber es tat nichts. Es kam nicht nдher, bewegte sich nicht einmal, sondern starrte nur weiter auf sie herab. Ein Stьck hinter der Spinne erkannte sie einen groЯen bedrohlichen Schatten, und dann kroch ein zweites dieser Insektenungeheuer auf Charity zu, ein drittes, viertes… Sie begriff plцtzlich, wie sehr sie sich getдuscht hatte, als sie annahm, es nur mit dieser einen Spinne zu tun zu haben. Die Schleuse war voll von diesen haarigen Ungeheuern. Wahrscheinlich hatten sie zu Dutzenden in der Dunkelheit gelauert. Charity seufzte leise. Seltsam – sie hatte gar keine Angst. Alles, was sie empfand, war ein heftiges Ekelgefьhl, ein wenig Enttдuschung, dass nun alles zu Ende sein sollte, und eine absurde Heiterkeit – eindeutig Hysterie, diagnostizierte sie. Frьher (Frьher? Vor ein paar Wochen!!) hatte sie sich oft ьber Filme und Bьcher geдrgert, in denen der Held im allerletzten Moment aus den haarstrдubendsten Situationen gerettet wurde. Sie hatte sich gewьnscht, einmal eine Geschichte zu sehen, in der die Retter ein wenig zu spдt kamen; vielleicht gerade noch zurecht, um die Reste des tapferen Helden von der Filmleinwand zu kratzen. Und wie es aussah, ging ihr Wunsch jetzt in Erfьllung. Selbst ьber eine Entfernung von fast dreitausend Meilen hinweg bot das Schiff einen beeindruckenden Anblick. Falls es ein Schiff war. Und falls die Daten, die der Computer in die untere rechte Ecke des Bildschirmes eingeblendet hatte, tatsдchlich stimmten. Charity bezweifelte beides, obwohl beides sehr eindeutig schien – es gab weder einen Grund, an den Zahlen zu zweifeln, die die Computer errechnet hatten, noch daran, dass eine fast neunhundert Meter durchmessende, mattsilberne Scheibe, die mit irrsinniger Geschwindigkeit aus dem intergalaktischen Raum herausgestьrzt kam und Kurs auf den dritten Planeten der Sonne hielt, irgend etwas anderes als ein Raumschiff sein sollte. Und doch… Alles in ihr strдubte sich einfach dagegen, auch nur einen dieser beiden Gedanken zu akzeptieren. Es gab keine neunhundert Meter durchmessenden Raumschiffe, und die Wahrscheinlichkeit fьr den Besuch einer anderen, denkenden Spezies aus den Tiefen des Kosmos war eins zu … eins zu irgend etwas, jedenfalls. So gering, dass man neue Zahlen erfinden musste, um sie auszudrьcken. Und trotzdem war dieses Ungetьm da. Es grinste sie groЯ von sдmtlichen Monitoren des Kontrollpunktes aus an, bewegte sich seit annдhernd fьnf Wochen als grьnleuchtender Blip ьber die Radarschirme der Raumьberwachung auf der Erde, und wenn sie ganz genau hinsah, konnte sie es sogar mit bloЯem Auge erkennen, als einen von zahllosen, stecknadelkopfgroЯen Lichtpunkten, die ьber die Bugscheibe der CONQUEROR verstreut waren. Das einzige, was ihn von den Millionen Sternen der MilchstraЯe unterschied, war der Umstand, dass er sich irrsinnig schnell bewegte. »Wie lange noch?« Mikes Stimme riss sie in die Wirklichkeit zurьck. Charity sah auf ihre Instrumente und antwortete automatisch. »Siebzehn Minuten. Elf bis zum Aufstieg.« Sie seufzte, richtete sich im Pilotensitz auf und hob die Hдnde, wie um sich erschцpft durch das Gesicht zu fahren. Erst dann fiel ihr ein, dass eine solche Geste in einem hermetisch geschlossenen Raumanzug kaum mцglich war. Mit einer fast дrgerlichen Bewegung schnippte sie eine Anzahl Schalter auf dem Kontrollpunkt vor sich um und stand auf. »Kommandant ьbergibt an Kopiloten«, sagte sie ins Mikrofon des Bordbuches; eine ebenso sinnlose wie alte Vorschrift, denn seit ihrem Start vor dreieinhalb Wochen hatte niemand an Bord auch nur einen Atemzug getan, der nicht auf mindestens drei verschiedenen Videotapes festgehalten und sofort zur Erde gefunkt worden war. Etwas leiser fьgte sie hinzu: »Machen Sie es sich bequem, Niles. Fьr die nдchsten neunzig Minuten gehцrt die Kiste Ihnen.« Sie konnte Niles Gesicht nicht erkennen, wдhrend er sich in seinem schweren Raumanzug an ihr vorbeischob und im Pilotensitz Platz nahm, aber sie konnte sich den Ausdruck darauf gut vorstellen. Sie alle waren nervцs – das waren sie seit ihrem Start vor fьnfundzwanzig Tagen, und wдhrend der letzten anderthalb Stunden, in denen die CONQUEROR auf Kollisionskurs mit dem fremden Schiff gegangen war, war die Anspannung fast unertrдglich geworden. Und warum auch nicht? Gegen Armstrongs kleinen Schritt fьr einen Mann, aber ein gewaltiger Schritt fьr die Menschheit war das, was ihnen bevorstand, ein Marathonlauf mit Siebenmeilenstiefeln – nдmlich nichts weniger als der erste Kontakt zwischen Menschen und einer auЯerirdischen Lebensform. Einer denkenden Lebensform, keinen Einzelligen Mikroorganismen, wie sie sie auf dem Mars gefunden hatten, oder die schleimigen Schimmelpilzgewдchse vom Titan, die die irdischen Wissenschaftler in einen Freudentaumel versetzt hatten – sondern intelligenten, denkenden Geschцpfen, die in der Lage waren, ein neunhundert Meter durchmessendes Raumschiff zu bauen und mit einer Geschwindigkeit von mehr als viertausend Meilen in der Sekunde auf die Erde abzuschieЯen. Sie hatten gute Grьnde, aufgeregt zu sein. Aber sie durften es nicht. Wenn der Computer recht hatte, dann blieben ihnen weniger als zwцlf Minuten, aus der CONQUEROR auszusteigen, zu dem fremden Schiff hinьberzufliegen und es sich anzusehen. Das Ding war einfach zu schnell, um neben ihm herzufliegen oder gar daran anzudocken. Alles, was ihnen blieb, war, auf Parallelkurs zu gehen, ein Stьck vor ihm herzufliegen und sich ьberholen zu lassen. Zwцlf Minuten, ehe die Distanz zu groЯ wurde, um ihre sichere Rьckkehr zum Shuttle zu garantieren; vierzehn, wenn man bereit war, den Selbstmцrder zu spielen und die Sicherheitsreserven der Rucksдcke bis auf den letzten Treibstofftropfen zu vergeuden. Charity hatte keine Lust, den Helden zu spielen. Aber sie machte sich Sorgen um Mike, und viel mehr noch um Soerensen. Sie war ziemlich sicher, dass er Дrger machen wьrde – er gehцrte zu jener Art von Wissenschaftlern, die ohne mit der Wimper zu zucken ihr Leben opferten, nur um ihren Namen in irgendeiner FuЯnote eines wissenschaftlichen Berichtes verewigt zu wissen. Ihrer Meinung nach war es ein Fehler gewesen, ihn mitzunehmen. Dabei ging es gar nicht um ihn persцnlich. Auf einer solchen Expedition hatten Wissenschaftler nichts zu suchen. Sie wьrden –falls es ihnen ьberhaupt gelang, einen Weg in dieses Ding zu finden! – nicht einmal zehn Minuten im inneren des fremden Raumschiffes verbringen. Was zum Teufel bildete er sich ein, in zehn Minuten erforschen zu kцnnen? »Sieben Minuten«, sagte Niles. »Wir sind auf Kurs. Geht nach oben.« Seine Stimme klang verzerrt, und das lag nicht allein an der schlechten Ьbertragung der kleinen Helmlautsprecher. Er war verbittert, und sie alle – mit Ausnahme Soerensens – kannten sich zu gut, als dass er versucht hдtte, diese Verbitterung zu verbergen. Charity konnte ihn sogar verstehen. Aber das Los war nun einmal auf ihn gefallen, und einer von ihnen musste zurьckbleiben; auch wenn er die ganze Zeit ьber wahrscheinlich so gut wie nichts zu tun hatte. Die CONQUEROR wurde seit drei Stunden ausschlieЯlich von den Computern geflogen, und daran wьrde sich in den nдchsten Stunden auch nichts дndern. Doch selbst der beste Computer konnte versagen. Weder Charity noch einer der anderen hatten besondere Lust, die CONQUEROR auf Nimmerwiedersehen im Weltraum verschwinden zu sehen, nur weil irgendein verdammter Chip durchgebrannt war oder die ETs dort drьben ihr Hallo Nachbarn! vielleicht auf einer Frequenz funkten, die ihre Bordrechner ausflippen lieЯ. Nacheinander kletterten sie in den Laderaum hinauf. Die beiden riesigen Klappen des Frachtraumes standen weit offen, und fьr einen Moment kam sich Charity winzig und verloren vor. Um sie herum war jetzt buchstдblich nichts mehr, nur die eisige Kдlte des Weltraumes und die Leere zwischen den Planeten. Der Gedanke, dass sie von dieser entsetzlichen Leere jetzt nichts weiter als das bisschen Plastik ihres Schutzanzuges trennten, lieЯ sie schaudern. »Dort ist es!« Eine der weiЯen Gestalten neben ihr hob den Arm und deutete auf einen von zahllosen flimmernden Silberpunkten ьber ihnen, und Charity erkannte Soerensens Stimme. Sie runzelte spцttisch die Stirn, hьtete sich aber, irgend etwas zu sagen. Ihre Worte wurden nicht nur von den fьnf anderen, sondern auch von ungefдhr fьnftausend SPACE-FORCE-Leuten auf der Erde mitgehцrt. »Drei Minuten«, verkьndete Niles' Stimme ьber die Helmlautsprecher. »Schiff liegt genau auf Kurs. Macht euch fertig.« Es gab nichts fertig zumachen, aber sie war trotzdem beinahe dankbar fьr Niles' Worte, vielleicht auch nur fьr den Klang seiner Stimme, der ihr wenigstens die Illusion vorgaukelte, in dieser unendlichen Leere nicht allein zu sein. Schwerfдllig drehte sie sich in ihrem plumpen Raumpanzer zur Seite und betrachtete die Gestalten der anderen; eineiige Vierlinge aus Silber und WeiЯ, die sich nur durch die kleinen Namensschildchen auf den Helmen unterschieden. Es tat ihr sehr leid, Mikes Gesicht nicht erkennen zu kцnnen, aber seine Helmscheibe hatte sich automatisch verdunkelt. Trotzdem glaubte sie zu spьren, dass er sie anlдchelte, und erwiderte sein Lдcheln. Eines der flachen Silbergesichter – das Namensschildchen darьber behauptete, dass es Soerensen gehцrte – wandte sich ihr zu. In den Helmlautsprechern knackte es ganz leise, als sich der Wissenschaftler auf ihre Frequenz schaltete. »Captain Laird?«
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