»Nein. So war es nicht.«
Er seufzte vor verstohlener Erleichterung.
Sie verzog die Lippen. »Ich war es nicht, die Lutez auf diese Weise liebte. Es war Ias. Dy Lutez hätte lieber ein Laienbruder Eurer Kirche werden sollen, würde ich sagen, und nicht Großmeister vom Orden des Sohnes.«
Neben den unehelichen Kindern, Gelegenheitskünstlern und gestrandeten Existenzen bot die Kirche des Bastards auch denjenigen eine Zuflucht, die ihre Befriedigung nicht in der fruchtbaren Verbindung zwischen Mann und Frau fanden, wie sie in der Obhut der großen vier lag, sondern die dem eigenen Geschlecht zugetan waren. Für Ista lag diese Erkenntnis lange zurück, und Zeit, Raum und Schuld hatten eine Distanz geschaffen, aus der sie es beinahe als belustigend empfand, wie dy Cabons Gesicht sich veränderte, während er ihre höfliche Umschreibung entschlüsselte.
»Das muss … schwierig für Euch gewesen sein, als junge Braut.«
»Damals, ja«, räumte sie ein. »Inzwischen …« Sie streckte die Hand aus und öffnete sie, als würde Sand zwischen den Fingern hindurchrinnen. »Aber darum geht es überhaupt nicht. Es wurde viel schwerer für mich, als ich feststellen musste, dass seit dem schrecklichen Tod von Ias’ Vater, König Fonsa, ein schlimmer und seltsamer Fluch auf dem Königshaus von Chalion lastete. Und dass ich meine Kinder unwissentlich diesem Fluch ausgesetzt hatte. Niemand hatte mir etwas gesagt, keiner hatte mich gewarnt.«
Dy Cabon blickte erstaunt.
»Ich hatte prophetische Träume. Albträume. Eine Zeit lang glaubte ich, den Verstand zu verlieren.« Tatsächlich hatten Ias und dy Lutez sie eine ganze Weile in diesem Grauen gelassen, allein und ohne Trost. Damals und auch heute noch schien ihr dies ein schlimmerer Verrat zu sein, als irgendwelche schlüpfrigen Umarmungen unter einer Bettdecke jemals sein konnten. »Immer wieder habe ich zu den Göttern gebetet. Und ich bekam eine Antwort auf meine Gebete, dy Cabon. Ich sprach mit der Mutter, von Angesicht zu Angesicht, so wie ich jetzt mit Euch spreche.« Noch immer zitterte sie bei der Erinnerung an dieses überwältigende Strahlen.
»Ein großer Segen«, hauchte er ehrfürchtig.
Sie schüttelte den Kopf. »Ein großes Unglück. Auf Grund des göttlichen Ratschlags, der mir zuteil geworden war, ersannen wir — dy Lutez, Ias und ich — ein gefährliches Ritual, mit dem wir den Fluch zu brechen gedachten. Wir wollten ihn zurück in die Hände der Götter legen, von denen er einst ausgegangen war. Dann aber machten wir — machte ich in meiner Sorge und Furcht einen Fehler, einen schlimmen, mutwilligen Fehler, der unmittelbar dy Lutez’ Tod herbeiführte. Zauberei, ein Wunder … nennt es, wie Ihr wollt. Jedenfalls scheiterte das Ritual, und die Götter wandten sich von mir ab. In seiner schrecklichen Angst streute Ias das Gerücht von Hochverrat aus, um den Todesfall zu erklären. Der strahlende Stern seines Hofes, sein Geliebter, ermordet und beigesetzt — und dann verleumdet, was nichts anderes bedeutete, als dass er ein zweites Mal ermordet wurde, denn dy Lutez hatte seine Ehre stets höher geschätzt als sein Leben.«
Dy Cabon kniff die Brauen zusammen. »Aber … war diese posthume Verleumdung des Lord dy Lutez nicht zugleich eine üble Nachrede gegen Euch, Majestät?«
Diese bisher nicht bedachte Sichtweise ließ Ista einen Augenblick stocken. »Ias kannte die Wahrheit. Wessen Meinung sonst zählte? Dass die Welt mich fälschlich als Ehebrecherin zeihen mochte, schien weit weniger scheußlich, als hätte man mich zu Recht eine Mörderin geheißen. Aber Ias starb bald darauf vor Leid, und er ließ mich allein, ließ mich zurück, sodass ich vor den Trümmern unserer gescheiterten Bemühungen trauerte, mit getrübtem Verstand und immer noch unter dem Fluch leidend.«
»Wie alt wart Ihr damals?«
»Neunzehn war ich, als es begann. Zweiundzwanzig, als alles vorüber war.«
»Dann wart Ihr sehr jung für eine solche Last«, warf er hilfreich ein und sprach damit beinahe ihre eigenen Gedanken aus.
Sie kniff die Lippen zusammen. »Ritter wie Ferda und Foix werden in die Schlacht geschickt und dem Tod ausgeliefert, und sie sind auch nicht älter. Ich war damals älter als Iselle heute, und auf ihren schmalen Schultern ruht die ganze Last des Königreichs von Chalion, nicht nur die Hälfte, die einer Frau zukommt.«
»Aber sie trägt diese Last nicht allein. Sie hat fähige Gefolgsleute, und sie hat Prinzgemahl Bergon.«
»Ias hatte dy Lutez.«
»Doch wen hattet Ihr, Majestät?«
Ista verstummte. Sie konnte sich nicht erinnern. War sie tatsächlich so allein gewesen? Sie schüttelte den Kopf und holte tief Luft. »Eine neue Generation brachte einen neuen Mann hervor, der bescheidener und größer war als dy Lutez, und der mehr Weisheit besaß und der Aufgabe eher gewachsen war. Der Fluch wurde gebrochen, aber nicht von mir. Und auch nicht, bevor mein Sohn Teidez ihm zum Opfer fiel — dem Fluch oder meinem Scheitern, diesen Fluch abzuschütteln, solange er noch ein Kind war; einem Verrat all derjenigen, die ihn hätten beschützen und anleiten sollen. Vor drei Jahren wurde ich von den Ketten befreit, die mich so lange gefangen hielten, durch die Mühen und Opfer anderer. Ich wurde befreit und dem ruhigen Leben in Valenda überlassen. Einem unerträglich ruhigen Leben. Ich bin noch nicht alt …«
Abwehrend wedelte dy Cabon mit seinen kräftigen Händen. »Keinesfalls, Majestät, natürlich nicht! Ihr seht noch immer bezaubernd aus, und …«
Mit einer scharfen Geste unterbrach sie seine fehlgeleiteten Beteuerungen. »Meine Mutter war vierzig Jahre alt, als ich zur Welt kam. Ihr letztes Kind. In diesem unglücklichen Frühling ist sie gestorben, und nun bin ich selbst vierzig. Die Hälfte meines Lebens liegt hinter mir, und die Hälfte davon wurde mir durch Fonsas großen Fluch geraubt. Die andere Hälfte liegt noch vor mir. Sollte ich nicht mehr davon erwarten als ein langes und langsames Dahinsiechen?«
»Ganz gewiss, Majestät«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich lege dieses Geständnis nun zum zweiten Male ab. Vielleicht wird das dritte Mal mich ja von meinen Sünden befreien.«
»Die Götter können vieles vergeben, wenn man aufrichtig bereut.«
Ihr Lächeln wurde so bitter wie ungeweinte Tränen. »Die Götter können Ista so oft vergeben wie sie wollen. Solange Ista sich selbst nicht vergeben kann, können die Götter sich zur Hölle scheren.«
»Oh«, machte er leise, doch treu und aufrichtig, wie er war, wagte er einen weiteren Anlauf: »Aber wenn Ihr Euch auf diese Weise abwendet, Majestät, verratet Ihr die Gaben, die Euch zuteil wurden!«
Sie beugte sich nach vorn und senkte die Stimme zu einem rauen Flüstern: »Nein. dy Cabon. Das dürft Ihr nicht wagen.«
Er lehnte sich zurück und blieb eine ganze Weile still. Schließlich verzog er wieder das Gesicht. »Also, wie geht es nun mit Eurer Pilgerfahrt weiter, Majestät?«
Sie winkte ab. »Wenn Ihr wollt, könnt Ihr den Weg nach den besten Mahlzeiten auswählen. Zieht, wohin Ihr wollt, solange es nicht zurück nach Valenda geht.« Solange ich nicht wieder Ista dy Chalion sein muss.
»Irgendwann müsst Ihr nach Hause zurück.«
»Lieber würde ich mich in einen Abgrund stürzen … aber dann würde ich erst recht in den Händen der Götter landen, und die will ich gewiss nicht wieder sehen. Dieser Fluchtweg ist mir versperrt. Ich muss weiterleben. Und weiter, immer weiter …« Ihre Stimme wurde schriller. »Alles in der Welt ist nur Staub, und die Götter sind mir ein Gräuel. Sagt, dy Cabon, an welchen anderen Ort könnte ich entkommen?«
Er schüttelte den Kopf, die Augen weit aufgerissen. Nun hatte sie ihn in Angst und Schrecken versetzt, und das tat ihr Leid. Zerknirscht tätschelte sie ihm die Hand. »Wenn ich ehrlich sein soll, haben die drei Tage unserer Reise mir mehr Trost gebracht als die letzten drei Jahre des Müßiggangs. Meine Flucht aus Valenda war zu Anfang eher … eher unwillkürlich, so wie ein Ertrinkender versucht, nach oben zu kommen, an die Luft. Doch ich glaube, ich habe wieder zu atmen angefangen. Diese Pilgerfahrt mag sich als heilsam erweisen, trotz allem, was ich bin.«
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