Das war nicht die übliche Formel gewesen. In den meisten Gebeten wurde nur der Wunsch geäußert, man möge von der Aufmerksamkeit des Bastards verschont bleiben; schließlich war er der Herr über alle außergewöhnlichen Unglücke, die sich ereignen mochten. Der Geistliche schlug hastig das heilige Zeichen, berührte sich an der Stirn, an der Lippe, dem Nabel, der Leiste und dem Herzen, wobei die Hand schließlich weit ausgebreitet auf der Brust liegen blieb, gleich über seinem fetten, vorstehenden Wanst. Dann wiederholte er die Geste noch einmal in der Luft, um den Segen auf alle herabzurufen, die hier versammelt waren. Erleichtert regte die Gesellschaft sich wieder, reckte sich, und einige stimmten geflüsterte Unterhaltungen an, während andere davongingen und sich wieder ihren alltäglichen Pflichten zuwandten. Dy Cabon schritt auf Ista zu. Er rieb sich die Hände und lächelte besorgt.
»Ich danke Euch, Hochwürden«, sagte Ista, »für diesen guten Anfang.«
Auf diese Anerkennung hin verbeugte er sich erleichtert. »Es war mir eine Freude, Majestät.« Seine Stimmung wurde noch besser, als die Dienstboten des Gasthauses herbeieilten und für ein überaus reichhaltiges Frühstück sorgten. Er gab sich sehr viel Mühe, und Ista schämte sich ein wenig, dass sie ihn auf eine vorgetäuschte Pilgerreise gelockt hatte. Dass er seine Arbeit so offensichtlich genießen konnte, munterte sie jedoch ein wenig auf.
Westlich von Palma war die Landschaft flach und karg. Der weite, eintönige Ausblick wurde nur von vereinzelten Baumgruppen aufgelockert, die in der Nähe der Wasserläufe wuchsen. Entlang der kaum genutzten Straße fanden sich in weiten Abständen alte, befestigte Gehöfte, deren Bewohner hauptsächlich von der Viehzucht lebten, nicht vom Ackerbau. Jungen und Hunde hüteten Schafe und Rinder; Mensch und Tier dösten gemeinsam an den wenigen Stellen, an denen es Schatten gab. Der warme Nachmittag schien von einer endlosen Stille erfüllt, die zum Schlafen einlud, nicht zur Reise. Doch wegen ihres späten Aufbruchs bewegte Istas Gruppe sich rasch durch diese träge, schläfrige Atmosphäre.
Als die Straße breiter wurde, ritt Ista zwischen dy Cabons unerschütterlichem Maultier auf der einen Seite und Liss’ hoch gewachsener Fuchsstute auf der anderen. Um dy Cabons ansteckendem Gähnen entgegenzuwirken, fragte Ista ihn: »Erzählt mir doch, dy Cabon, was geschah mit jenem kleinen Dämon, den Ihr bei unserer ersten Begegnung bei Euch hattet?«
Liss ritt mit hängenden Zügeln neben ihnen, ohne die Steigbügel zu benutzen. Bei Istas Worten wandte sie interessiert den Kopf.
»Oh, es ist alles gut gegangen. Ich habe den Dämon dem Erzprälaten von Taryoon übergeben, und wir waren beide zugegen, als er gebannt wurde. Nun ist er aus der Welt geschafft. Tatsächlich war ich gerade auf dem Rückweg von dieser Unternehmung, als ich in Valenda übernachtet habe, wo ich dann …« Mit einer Kopfbewegung in Richtung der hinter ihnen aufgereihten Reiterschar verwies er auf seine unerwarteten neuen Pflichten im Dienste der Königin.
»Ein Dämon? Ihr hattet einen Dämon?«, warf Liss mit verwunderter Stimme ein.
» Ich hatte keinen Dämon«, berichtigte der Geistliche. »Er war in ein Frettchen gefahren. Zum Glück ein Tier, mit dem man leicht fertig wird, verglichen mit einem Wolf oder einem Stier, zum Beispiel. Oder gar mit einem Menschen, der sich die Macht des Dämons zu Nutze machen will.«
Liss verzog das Gesicht. »Wie schafft man einen Dämon aus der Welt?«
Dy Cabon seufzte. »Man gibt ihn jemandem mit, der ebenfalls gerade die Welt verlässt.«
Eine Zeit lang vertiefte Liss sich stirnrunzelnd in den Anblick der Pferdeohren vor ihr; dann gab sie das Nachdenken auf. »Was?«
»Wenn der Dämon noch nicht zu stark geworden ist, dann ist das der einfachste Weg, ihn zurück zu den Göttern zu bringen: Man gibt ihn in die Obhut einer Seele, die selbst gerade den Weg zu den Göttern antritt. Die stirbt«, fügte er hinzu, als Ista ihn immer noch verständnislos anstarrte.
»Oh«, sagte sie. Und nach einer weiteren Pause: »Also … habt ihr das Frettchen getötet?«
»So einfach ist es leider nicht. Ein Dämon, dessen Wirtskörper stirbt, wechselt einfach auf einen neuen über. Du musst wissen, dass ein Elementargeist, der in die grobmaterielle Welt entweichen konnte, dort nicht überleben kann, wenn ihm nicht ein materielles Geschöpf Verstand und Stärke leiht. Denn es liegt nicht in seiner Natur, eine solche Ordnung aus sich selbst heraus zu bilden. Er kann sie nur stehlen. Zu Anfang ist der Dämon ohne Bewusstsein und ohne Gestalt, wild und zerstörerisch und dabei doch so unschuldig wie ein wildes Tier — die Sünde muss er erst von den Menschen lernen. Aber er ist auch beschränkt durch die Fähigkeiten des Menschen oder Tiers, von dem er sich nährt. Ein Dämon, der seinen Wirt verliert, wird stets versuchen, auf die stärkste Seele überzuspringen, an die er herankommen kann — von einem Tier auf ein größeres Tier, von diesem Tier auf einen Menschen, von diesem Menschen zu einem stärkeren und klügeren Menschen, denn auf gewisse Weise wird der Dämon zu dem, was er … verzehrt.«
Dy Cabon holte tief Luft und schien in irgendwelchen Tiefen der Erinnerung zu versinken. »Aber wenn ein Geistlicher von großer Weisheit schließlich im Sterben liegt, unter der Obhut seiner Kirche, kann man einen Dämon dazu zwingen, auf ihn überzuwechseln. Und wenn der Dämon noch schwach genug ist, und der Geistliche stark ist an Weisheit und Entschlossenheit, und wenn er bis zum Ende nicht wankend wird … nun, dann erledigt sich die Angelegenheit von selbst.« Er räusperte sich. »Dazu bedarf es einer großen Seele, die sich schon von der Welt entfernt hat und sich nach ihrem Gott sehnt. Denn einen schwächeren Menschen kann der Dämon zur Zauberei verführen, indem er ihm verspricht, sein Leben zu verlängern.«
»Eine solche Stärke ist selten«, meinte Ista. War dy Cabon vielleicht erst vor kurzem Zeuge einer solch außergewöhnlichen Szene am Sterbebett geworden? Es machte den Eindruck. Kein Wunder, dass er bei der Erinnerung daran ehrfürchtig und demütig wirkte.
Mit einem knappen Schulterzucken pflichtete dy Cabon ihr bei. »Ja. Ich wüsste nicht, ob ich selbst … Doch zum Glück sind frei umherziehende Dämonen selten. Obwohl …«
»Obwohl was?«, bohrte Liss nach, als der immer spärlichere theologische Vortrag allem Anschein nach ganz ins Stocken kam.
Dy Cabon schürzte die Lippen. »Der Erzprälat war überaus beunruhigt. Mein Fall war der dritte entwichene Dämon, der in diesem Jahr allein in Baocia aufgegriffen worden ist.«
»Wie viele fangt Ihr denn normalerweise?«, wollte Liss wissen.
»Nicht mal einen im Jahr in ganz Chalion. Jedenfalls war es seit langer Zeit so. Die letzte große Heimsuchung gab es in den Tagen König Fonsas.«
Dem Vater von Ias und Iselles Großvater, der vor fünfzig Jahren gestorben war.
Ista dachte über dy Cabons Worte nach. »Und was geschieht, wenn der Dämon schon zu stark geworden ist?«
»Ja, was dann?«, sagte dy Cabon. Er schwieg einige Augenblicke und starrte auf die Ohren seines Maultiers, die wie Ruder zu beiden Seiten des Kopfes herabhingen. »Eben deshalb verwendet meine Kirche so große Mühe und so viel Überlegung darauf, die Dämonen zu bannen, solange sie noch schwach sind.«
Die Straße verengte sich wieder und wand sich zu einer kleinen Steinbrücke hinunter, die sich über einen Strom mit grünlichem Wasser wölbte. Mit einem höflichen Gruß zu Ista trieb dy Cabon sein Maultier an und setzte sich an die Spitze.
Am nächsten Morgen brachen sie früh auf und waren lange unterwegs; schließlich aber blieb das Ödland von Baocia hinter ihnen zurück. Die Landschaft wurde sanfter, weniger trocken, und war immer häufiger von Wäldern durchzogen, wobei sie zu den Bergen hin anstieg, die am westlichen Horizont eben noch zu erkennen waren. Doch unter der nun lieblicheren Oberfläche verbarg sich immer noch ein steiniges Skelett.
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