»Da stimmt was nicht«, sagte sie leise. »In Trumans letzter Basis wimmelte es nur so von Leuten. Wo sind die alle?«
»Gute Frage«, erwiderte ich. »Wir dürfen nicht vergessen, dass das hier nicht nur ein Quartier des Manifesten Schicksals, sondern auch ein Nest der Abscheulichen ist.«
Sie sah mich nicht an. Sie musste wissen, was ich dachte. Sie hatte einen Abscheulichen in sich, der wuchs und größer wurde. Wer wusste schon, was das Ding tat, jetzt, wo es sich endlich unter seinesgleichen befand.
Ich begann zu hoffen, dass wir bald auf ein paar bewaffnete Wachen träfen. Ich hatte wirklich den Eindruck, ich müsste meine angestaute Frustration an einer ganzen Meute von armen, hilflosen, bewaffneten Wachen auslassen.
Aber als wir um eine letzte Stahlecke bogen und endlich in den ersten offenen Raum in diesem Bunker spähten, fiel auf einmal ein massives Stahlschott von der Decke und versperrte den Korridor. Es blockierte unseren Weg mit bestimmt zwei Tonnen Stahl und traf mit einem so lauten Knall auf den Boden, dass ich tatsächlich das Gesicht verzog. Aber immer noch wurde kein Alarm ausgelöst, kein Stimmengewirr war zu hören, das zu wissen verlangte, was zur Hölle hier los war. Wo zum Teufel waren die alle? Was machte Truman hier unten nur?
Ich sprach leise die aktivierenden Worte und boxte dann vor Freude in die Luft, als die goldene Rüstung glatt über mich hinwegfloss. Es war ein gutes Gefühl, sie wieder zu haben. Ich schlug auf das Stahlschott und legte meine ganze gerüstete Kraft hinein. Meine goldene Faust sank knapp zehn Zentimeter in den Stahl, aber das war's auch schon. Ich musste meine Hand Zentimeter für Zentimeter wieder herauszerren. Ich kauerte mich hin und rammte beide Hände in den unteren Teil des Schotts, grub meine goldenen Finger tief hinein und strengte mich mit aller Kraft an, das massive Schott zu heben. Es zitterte ein wenig, aber hob sich kaum mehr als ein paar Zentimeter vom Boden. Ich konnte einfach nicht genug Hebelwirkung aufbringen. Meine goldenen Finger glitten langsam durch den Stahl wie durch dicken Schlamm und waren nicht in der Lage, ihn ordentlich zu fassen zu bekommen. Ich zog meine Hände wieder heraus und trat einen Schritt zurück, um das Schott böse anzufunkeln, verblüfft und frustriert.
»Ich habe eine Strahlwaffe«, sagte Giles Todesjäger schüchtern.
»Nein«, sagte ich sofort. »Keiner weiß, welche Arten von Verteidigung oder Fallen Truman da drin installiert hat. Lasst uns die Dinge nicht schlimmer machen, als sie schon sind.«
Molly schnaubte und stieß mir ihren Ellbogen in die Seite. »Männer«, sagte sie verächtlich. »Wenn ihr's nicht zerschlagen oder erschießen könnt, dann wisst ihr nicht weiter.«
Sie stach mit dem Zeigefinger herrisch nach der Stahlplatte, sagte zwei sehr alte und kraftvolle Worte der Macht und das Schott schüttelte sich tatsächlich einmal kräftig durch, bevor es sich widerwillig wieder zurück in seinen Schacht an der Decke hob. Molly grinste Giles und mich herablassend an, zweifellos lag ihr schon etwas sehr Bissiges auf der Zunge, doch da gingen auf einmal die Maschinengewehre los.
Giles schnappte Molly und warf sie auf den Boden und bedeckte ihren Körper mit seinem. Er ignorierte ihre erstaunlichen Flüche. Ich beeilte mich, den Flur zu blockieren und jeden mit meiner goldenen Uniform zu schützen. Kugeln sprühten durch den ganzen Gang, aber die goldene Rüstung absorbierte sie einfach. Ich spürte nicht einmal die Einschläge, während ich langsam mitten in den Kugelhagel hineinging. Ich bemerkte schnell, dass es gar keine Wachen gab, nur zwei automatische Maschinengewehre, die dorthin gesetzt worden waren, um das Ende des Korridors unter Feuer halten zu können, schwangen langsam und methodisch auf ihren Halterungen hin und her. Es sah so aus, als hätten sie ihre Munition bald verschossen, aber ich war in der Stimmung, etwas kaputtzumachen, also riss ich sie aus ihren Verankerungen und zerknüllte sie in meinen goldenen Händen. Beide gaben zufriedenstellende Quiekgeräusche von sich und ich warf sie beiseite. Eine wunderbare Stille breitete sich im Gang aus. Nur Molly war immer noch damit beschäftigt, Giles nach Leibeskräften zu beschimpfen, als er ihr aufhalf.
»Ich kann mich selbst beschützen, besten Dank!«, schnaubte sie. »Ich muss nicht von einer übereifrigen und viel zu muskulösen Drama Queen auf den Boden geworfen werden!«
»Von mir aus«, meinte Giles. »Das nächste Mal lasse ich dich mit Freuden sterben.«
»Sollte ich vielleicht auch tun«, fügte ich hinzu. »Wäre auf lange Sicht weniger Arger.«
»Mir geht es übrigens gut«, sagte Mr. Stich.
»Das hab ich nie bezweifelt«, erwiderte ich, ohne mich umzudrehen.
Wir gingen weiter, durch das Innere von Trumans unterirdischer Basis. Alles war chaotisch: Umgeworfene Möbel, herumfliegendes Papier, offene Türen zu Sicherheitsbereichen. Nirgendwo waren Leute. Nur leere Räume und verlassene Korridore. Die Hälfte der Lichter arbeitete nicht und seltsame Schatten schienen überall zu lauern. Als wir weiter vordrangen, fanden wir Arbeitskonsolen, an denen Computer und andere Technologie herausgerissen und ausgeweidet worden waren. In den Stahlwänden fanden wir jetzt große Risse vor, lang und gezackt, als hätten Klauen hineingeschlagen, Draht und Kabel hingen dabei wie Eingeweide aus offenen Wunden heraus. Und die einzigen Geräusche, die wir in der gesamten Basis hören konnten, waren die, die wir selbst mitbrachten.
Endlich, als wir uns dem Operationszentrum näherten, fanden wir allmählich Leichen, die man achtlos aufgehäuft hatte, als wären sie einfach zusammengezerrt und aus dem Weg geräumt worden. Jetzt gab es Anzeichen von Kämpfen, offenbar waren die Leute nicht freiwillig in den Tod gegangen. Kugellöcher in den Wänden, verkohlte Einschläge von Granaten, die Überreste von improvisierten Barrikaden. Sie hatten einen Kampf geliefert, nur um wie ihre Computer zu enden: zerrissen, aufgeschlitzt, ausgeweidet. Aufgebrochen, um an die Teile zu kommen. Ganze Organe fehlten, und Hände und Augen. Blut und Eingeweide lagen überall herum, dampften immer noch und stanken in der kalten, stillen Luft.
Mr. Stich inspizierte einige der Leichen. Kein anderer wollte näher herangehen.
»Sie wollten den Turm vervollständigen«, sagte ich, weil es jemand aussprechen musste. »Technologie und organische Elemente, um ihn fertigzustellen. Weil sie in Eile waren. Weil sie wussten, dass wir kommen.«
»Wag es nur ja nicht, dir die Schuld dafür zu geben«, sagte Molly sofort. »Nichts davon ist deine Schuld. Das Manifeste Schicksal ist ganz allein dafür verantwortlich, indem sie sich mit den Abscheulichen eingelassen haben. Also los, lasst uns Truman finden.«
»Woher willst du wissen, dass er immer noch am Leben ist?«, fragte Giles.
»Weil Ratten wie er immer ein Loch finden, in dem sie sich verstecken können«, erwiderte sie.
Wir brauchten nicht lange, um ihn aufzuspüren. Wir folgten einfach den Anzeigen an der Wand zu seinem Privatbüro und wie zu erwarten, waren die Leichenhaufen vor seiner verschlossenen und verbarrikadierten Tür höher als überall sonst. Eine grüne Lampe über der Tür leuchtete und zeigte an, dass sich der Führer darin befand. Und eine einzelne Überwachungskamera fuhr hin und her und scannte uns mit einem kleinen roten Licht. Ich schlug mit der Faust an die Tür.
»Du weißt, wer hier ist, Truman. Und stell dir vor, ich will dich nicht umbringen. Eigentlich bin ich sogar deine beste Chance, diesen Schweinestall hier lebend zu verlassen. Mach auf, damit wir mit dir über die Abscheulichen reden können.«
»Verschwinde!«, kreischte eine Stimme von drinnen, schrill und gebrochen. »Du kannst mich nicht reinlegen. Ihr seid keine Menschen! Nicht mehr!«
»Hier ist Edwin Drood, Truman. Und jetzt lass mich rein, oder ich reiße die Tür mitsamt den Angeln raus!«
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