»Ich bin Owen Todtsteltzer. Wer seid Ihr, was macht Ihr hier, und warum habt Ihr mir geholfen?«
Seine Stimme erschien ihm schwach und dünn, aber wenn seine Retterin es bemerkte, dann zeigte sie es nicht. »Mein Name ist Hazel d’Ark. Wie ich hergekommen bin, ist eine ziemlich komplizierte Geschichte. Und ich hab’ dich gerettet, weil mir die Übermacht der anderen unfair erschien. Ich hab’
schon immer ein Herz für die Schwächeren gehabt. Was hast du denn angestellt, daß so viele Leute auf deinen Fersen sind?«
»Ich bin vogelfrei. Auf meinen Kopf ist ein hoher Preis ausgesetzt. Wenn es das ist, worauf Ihr aus seid.«
»Entspann dich, Junge. Ich bin ebenfalls vogelfrei. Keine Chance, den Preis für deinen Kopf zu kassieren, ohne meinen eigenen dabei zu verlieren. Heutzutage gibt es eine Menge von uns. Aber so ist sie halt, unsere geliebte Eiserne Hexe.
Todtsteltzer. Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor.«
»Das möchte ich hoffen«, entgegnete Owen mit schiefem Lächeln. »Ich bin der ehemalige Lord dieses schönen Planeten.«
Hazel pfiff durch die Zähne. »Ich bin beeindruckt. Normalerweise bewege ich mich nicht in derart gehobenen Kreisen.
Hast du eine Idee, in welche Richtung ich diesen Kahn bewegen soll? Hinter uns sind fünf Flieger, und sie nähern sich schnell. Ich habe das Gefühl, ich sollte dir nicht verschweigen, daß dieses Schiff eigentlich nur eine Rettungskapsel ist und die Energiezellen beinahe leer sind. Also fang nicht an, ehrgeizige Pläne zu entwickeln. Uns bleiben vielleicht noch vierzig Minuten Flugzeit, aber nur, wenn ich keine Energie mehr in die Schutzschilde umleiten muß.«
Owen zögerte einen Augenblick. »Ihr habt immer noch nicht gesagt, warum Ihr Euer Schiff und Euer Leben riskiert habt, um mir zu helfen.«
»Ausgestoßene müssen als erstes lernen, aufeinander aufzupassen. Weil es sonst nämlich niemand tut. Und ein Gesetzloser braucht alle Freunde, die er nur finden kann. Das wirst du schnell lernen, wenn du diese Geschichte überlebst. Ein Leben als Vogelfreier kann sehr lehrreich sein.«
»Also gut. Nehmt Kurs nach Norden. In fünfzehn oder zwanzig Kilometern Entfernung sollten wir zu einem großen See kommen, es sei denn, ich habe mich noch viel weiter verirrt, als ich gedacht habe. Sagt mir Bescheid, wenn wir dort angekommen sind.«
Owen lehnte sich in seinem Netz zurück und kämpfte darum, einen klaren Kopf zu behalten. Er besaß nun eine Verbündete und mit ihr eine zweite Chance zur Flucht. Wenn sie ihn nur bis zur Sonnenschreiter bringen könnte, würde er vielleicht doch überleben und Rache nehmen können. Der Gedanke weckte neue Kräfte, und zum ersten Mal warf Owen einen gründlichen Blick auf seine Umgebung. Abgesehen von den Sicherheitsnetzen, den Kontrollen und den Schottenwänden gab es nicht viel zu sehen. Nur die notwendigsten Einrichtungen befanden sich an Bord, aber sie machten wenigstens einen vertrauenerweckenden Eindruck. Außerdem schien es wenig sinnvoll, Luxus und Überfluß in eine Rettungskapsel einzubauen.
»Es ist schon lange her, daß ich in etwas so Primitivem gereist bin«, begann Owen schließlich. »Was hat es für einen Antrieb – Dampf?«
»Noch so eine dämliche Bemerkung, und du kannst rausgehen und schieben«, erwiderte Hazel. »Schimpf nicht über diesen Kahn hier. Er hat deinen und meinen Arsch gerettet.«
Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: »In Ordnung. Die Frontsensoren zeigen an, daß wir uns einem größeren Gewässer nähern. Und die Hecksensoren melden einen ganzen Sack voller Leute, die hinter uns her sind in allem, was irgendwie fliegt. Du machst jetzt besser einen vernünftigen Vorschlag, wie wir aus diesem Schlamassel herauskommen, Owen Todtsteltzer, weil mir nämlich nichts mehr einfällt.«
»Nur die Ruhe«, erwiderte Owen. »Ich habe ein As im Ärmel, und zwar keins von schlechten Eltern. Eigentlich steckt es nicht in meinem Ärmel, sondern wartet am Grund des Sees.«
Hazel warf ihm einen scharfen Blick zu. »Heißt das, wir werden tauchen ?«
»Ihr habt es erfaßt. Meine private Jacht liegt am Grund des Sees in ihrem eigenen kleinen, getarnten Hangar, wo sie unauffindbar ist für alles, bis auf die allerstärksten Sensoren.
Nur ich weiß von ihrer Existenz. Ich hatte das Gefühl, daß das vielleicht eines Tages ganz nützlich sein könnte. Wißt Ihr, die Paranoia geht in meiner Familie nicht nur einfach um, sie galoppiert. Das kommt davon, wenn man zur Oberschicht gehört. Werft diesen Pott hier in den See und haltet ihn dicht über dem Grund. Ich werde Kontakt mit der Jacht aufnehmen, die Schilde herunterfahren und die Maschinen anwerfen. Eure Sensoren werden die Sonnenschreiter bemerken, wenn wir nahe genug herangekommen sind. Geht dann einfach längsseits und verankert die Rettungskapsel neben der Schleuse.
Meine Sonnenschreiter ist ein ganz besonderes Schiff. Hat all die Energie und die Mittel, die wir für unsere Flucht
benötigen, und noch einiges mehr. Wenn wir erst aus dem Wasser und in Bewegung sind, dann kann uns nichts mehr aufhalten.
Die Sonnenschreiter besitzt einen ultramodernen Hyperraumantrieb, basierend auf den allerneuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen. Es gibt nur ein Dutzend Schiffe im gesamten Imperium, die mit diesem Antrieb ausgerüstet sind, und keines davon befindet sich zur Zeit in unserem Sektor der Galaxis. Das Schiff hat mich ein Vermögen gekostet, aber ich kaufe immer nur das Beste vom Besten. Bringt uns jetzt bitte nach unten.«
Hazel schüttelte den Kopf und grinste. »So also leben die oberen Zehntausend. Ich gehe runter, Todtsteltzer. Du irrst dich besser nicht mit dieser Sache.«
»Vertraut mir. Habe ich Euch je belogen?«
»Woher soll ich das wissen?«
Owen lachte still in sich hinein, während Hazel die Rettungskapsel in das Gewässer hinabfallen ließ. Sie beobachtete mißtrauisch die Sensorschirme, während das Schiff langsam tiefer ins schwarze Wasser sank; dann beugte sie sich plötzlich vor. Große Schatten waren aus dem Nichts aufgetaucht und hielten auf das Schiff zu. Sie waren Dutzende von Metern lang, und nach den Sensoren zu urteilen lebendig . Innerhalb von Sekunden hatten sie die Kapsel erreicht und umrundeten sie mit einer für derart große Kreaturen beunruhigenden Geschwindigkeit. Hazels Hände zuckten unwillkürlich nach den nicht vorhandenen Feuerkontrollen, doch die Wesen machten keinerlei Anstalten, die Kapsel anzugreifen oder sie auch nur zu verscheuchen. Wenn Hazel es nicht besser gewußt hätte, hätte sie schwören können, daß die Kreaturen die Rettungskapsel im Gegenteil nach unten eskortierten… ein Gedanke durchfuhr sie, und sie warf Owen einen schrägen Blick zu.
»Nach den Sensoren zu urteilen haben wir neuerdings eine Eskorte. Was immer es sein mag, es ist beunruhigend groß und definitiv lebendig. Was weißt du darüber?«
Ihr Gefährte lächelte müde. »Es sind Behemoths. Ich habe ein lebendes Paar im See aussetzen lassen, um die Leute davon abzuhalten, den See zu nutzen. Ich wollte nicht, daß irgendwelche Taucher über mein verborgenes Schiff stolpern.
Die örtlichen Behörden haben eine Touristenattraktion daraus gemacht. Ich hätte mir eine Gewinnbeteiligung sichern sollen.«
Hazel betrachtete ihn zweifelnd. »Warum greifen uns diese Dinger nicht an?«
»Weil sie in Wirklichkeit ziemlich harmlos sind. Sie mögen groß und häßlich sein und messerscharfe Zähne besitzen, aber sie sind scheu wie die Hölle. Sagt Buh! zu ihnen, und sie flüchten eine Meile weit. Natürlich habe ich das niemandem erzählt. Ihr müßt Euch keine Gedanken machen. Wahrscheinlich sind sie nur neugierig. Ignoriert sie einfach.«
Hazel hatte eine beißende Erwiderung auf der Zunge, doch eine aufflackernde Warnleuchte auf dem Sensorpaneel weckte ihre Aufmerksamkeit. Sie hatten Owens Jacht gefunden. Hazel manövrierte die Rettungskapsel über dem anderen Schiff in Position und überließ dem Bordrechner die Kontrolle über das Andockmanöver bei der Luftschleuse der Jacht. Die Behemoths kreisten erwartungsvoll über ihnen und verschwanden nach einigen Minuten wieder in den Schwärzen des umgebenden Wassers.
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