Der seltsame Duft war jetzt stärker; er drang über den Kamm der Anhöhe in einer Welle von Wohlgerüchen herab, die ihn mächtig beeindruckte - wie der Geruch von Orangenblüten in den Mittelmeerländern einen Touristen beeindruckt, der sie zum ersten Male riecht. Fasziniert rannte er auf den Kamm. In der Nähe war noch eine Hecke, und dahinter, sich leise in der Brise wiegend, stand ein Feld von Saubohnen in voller Blüte.
Hazel hockte sich auf die Keulen und starrte auf den regelmäßigen Wald kleiner graugrüner Bäume mit ihren Säulen schwarz-weißer Blüten. Er hatte noch nie so etwas gesehen. Weizen und Gerste kannte er, und einmal war er in einem Rübenfeld gewesen. Aber das hier war vollkommen anders und schien irgendwie verlockend, gesund, geeignet. Gewiß, Kaninchen konnten diese Pflanzen nicht fressen: das konnte er riechen. Aber sie konnten geschützt in ihnen liegen, solange sie wollten, und sie konnten sich leicht und ungesehen durch sie hindurchbewegen. Hazel beschloß auf der Stelle, die Kaninchen hinauf zu dieser BohnenfeldDeckung zu bringen und bis zum Abend zu ruhen. Er lief zurück und fand die anderen, wo er sie zurückgelassen hatte. Bigwig und Silver waren wach, aber der Rest döste noch unruhig.
»Schläfst du nicht, Silver?« fragte er.
»Es ist zu gefährlich, Hazel«, erwiderte Silver. »Ich möchte ebenso gerne schlafen wie die anderen, aber wenn wir alle schlafen und etwas kommt, wer wird es erspähen?«
»Ich weiß. Ich habe einen Ort entdeckt, wo wir, solange wir wollen, sicher schlafen können.«
»Eine Höhle?«
»Nein, keine Höhle. Ein großes Feld duftender Pflanzen, das uns davor bewahren wird, gesehen oder gerochen zu werden, bis wir uns ausgeruht haben. Kommt heraus und riecht es selbst, wenn ihr wollt.«
Beide Kaninchen schnupperten. »Du sagst, du hast diese Pflanzen gesehen?« fragte Bigwig und drehte seine Ohren, um das ferne Rascheln der Bohnen einzufangen.
»Ja, sie sind gleich hinter dem Kamm. Schnell, treiben wir die anderen an, ehe ein Mensch mit einem hrududu [4] Traktor - oder jeder Motor
kommt und sie in alle Winde verstreut sind.«
Silver weckte die anderen und begann, sie mit gutem Zureden vorwärts zu treiben. Sie stolperten schläfrig hinaus, mit Zögern und Widerwillen auf die wiederholte Versicherung reagierend, es sei »nur ein kurzer Weg«.
Sie wurden weit auseinandergerissen, als sie sich die Anhöhe hinaufrappelten, Silver und Bigwig in Führung und Hazel und Buckthorn in kurzer Entfernung hinterher. Die anderen trödelten weiter, hoppelten ein paar Meter, um dann eine Pause zu machen und zu knabbern oder Mist auf dem warmen, sonnigen Gras zurückzulassen. Silver war schon beinahe oben, als plötzlich auf halber Höhe ein spitzer Schrei ertönte - der Laut, den ein Kaninchen von sich gibt, nicht, um um Hilfe zu rufen oder einen Feind einzuschüchtern, sondern einfach aus Entsetzen. Fiver und Pipkin, die hinter den anderen herhinkten und auffallend unter Normalgröße und müde waren, wurden von dem Raben angegriffen. Er war dicht über dem Boden entlanggeflogen. Dann hatte er, herabstoßend, mit seinem großen Schnabel einen Hieb auf Fiver gezielt, der ihm gerade noch hatte ausweichen können. Jetzt sprang und hopste er zwischen den Grasbüscheln und hieb mit entsetzlichem Vorrucken seines Kopfes auf die beiden Kaninchen ein. Raben zielen auf die Augen, und Pipkin, der dies spürte, hatte den Kopf in ein Büschel üppiges Gras vergraben und versuchte, sich noch tiefer hineinzugraben. Er war es, der schrie.
Hazel legte die Entfernung den Abhang hinunter in ein paar Sekunden zurück. Er hatte keine Ahnung, was er tun würde, und wenn der Rabe ihn ignoriert hätte, wäre er wahrscheinlich in Verlegenheit geraten. Aber durch seinen Ansturm lenkte er dessen Aufmerksamkeit ab, und er wandte sich ihm zu. Er bog seitwärts aus, blieb stehen, und zurückblickend sah er Bigwig von der gegenüberliegenden Seite heranrasen. Der Rabe wandte sich wieder um, stieß auf Bigwig ein und verfehlte ihn. Hazel hörte, wie sein Schnabel auf einen Kiesel im Gras traf, ein Geräusch wie von einem Schneckenhaus, von einer Drossel auf einen Stein geschlagen. Als Silver Bigwig folgte, erholte sich der Rabe wieder und trat ihm direkt gegenüber. Silver verharrte in Angst, und der Vogel schien vor ihm zu tanzen; seine großen schwarzen Flügel flatterten in furchtbarer Erregung. Er wollte gerade zuhacken, als Bigwig von hinten direkt in ihn hineinrannte und ihn beiseite stieß, so daß er mit einem rauhen, heiseren Wutkrächzen über das Rasenstück taumelte.
»Macht weiter so!« rief Bigwig. »Greift ihn von hinten an! Sie sind Feiglinge! Sie wagen sich nur an hilflose Kaninchen heran.«
Aber schon verzog sich der Rabe, flog tief mit langsamen, schweren Flügelschlägen davon. Sie beobachteten, wie er die ferne Hecke hinter sich brachte und im Wald jenseits des Flusses verschwand. In der Stille hörte man ein sanftes, ziehendes Geräusch, als eine grasende Kuh näher kam.
Bigwig schlenderte zu Pipkin hinüber, einen zotigen Owsla-Vers murmelnd:
»Hoi, hoi u embleer Hrair,
M'saion ule hraka vair. [5] »Hoi, hoi, das stinkende Tausend. Wir treffen sie, selbst wenn wir anhalten, um unseren Mist zurückzulassen.«
Komm schon, Hlao-roo«, sagte er. »Du kannst deinen Kopf jetzt herausnehmen. Das war vielleicht ein Tag, was?«
Er drehte sich um, und Pipkin versuchte, ihm zu folgen. Hazel erinnerte sich, daß Fiver gesagt hatte, er glaubte, er sei verletzt. Jetzt, als er beobachtete, wie er den Abhang hinaufhinkte und stolperte, kam ihm der Gedanke, daß er tatsächlich verletzt sein mochte. Er versuchte immer wieder, mit seiner linken Vorderpfote den Boden zu berühren, und zog sie dann wieder hoch, indem er auf drei Beinen hopste.
»Ich werde ihn mir genau ansehen, sobald wir in Deckung gegangen sind«, dachte er. »Der arme kleine Bursche, in dem Zustand wird er nicht weit kommen. «
Auf dem Kamm der Anhöhe führte Buckthorn bereits den Weg in das Bohnenfeld an. Hazel erreichte die Hecke, überquerte einen schmalen Grasstreifen auf der anderen Seite und sah direkt in eine lange, schattige Schneise zwischen zwei Bohnenreihen hinunter. Die Erde war weich und krümelig, mit einer Streuung von Unkraut, das man in angebauten Feldern findet - Erdrauch, Hederich, Pimpernelle und Primelstrauch, die alle in der grünen Düsternis unter den Bohnenblättern wuchsen. Als sich die Pflanzen in der Brise bewegten, warf das Sonnenlicht Sprenkel und Flecken über den braunen Boden, über die weißen Kiesel und das Unkraut. Und doch war in dieser allgegenwärtigen Unruhe nichts Alarmierendes, denn der ganze Wald nahm daran teil, und das einzige Geräusch war die leise, stetige Bewegung der Blätter. Weit unten in der Bohnenreihe sah Hazel Buckthorns Rücken und folgte ihm in die Tiefen des Feldes.
Bald darauf waren alle Kaninchen in einer Art Hohlraum versammelt. Weit umher, auf allen Seiten, standen die ordentlichen Bohnenreihen, sicherten sie gegen feindliche Einflüsse ab, überdachten sie und deckten sie mit ihrem Geruch. Unter der Erde wären sie kaum sicherer gewesen. Selbst ein bißchen Nahrung konnte, wenn es zum Äußersten kam, gewonnen werden, denn hier und da standen ein paar fahle Grasbüschel und ein Löwenzahn.
»Wir können hier den ganzen Tag schlafen«, sagte Hazel. »Aber ich denke, einer von uns sollte wach bleiben; und wenn ich die erste Runde übernehme, gibt mir das die Möglichkeit, mir deine Pfote genauer anzusehen, Hlao-roo. Ich glaube, du hast etwas drin.«
Pipkin, der auf seiner linken Seite lag und schnell und schwer atmete, rollte sich herum und streckte seine Vorderpfote vor, die Unterseite nach oben gewendet. Hazel schaute in das dichte, grobe Haar (der Fuß eines Kaninchens hat keinen Ballen) und sah nach einigen Augenblicken, was er erwartet hatte - den ovalen Schaft eines abgerissenen Dorns, der durch die Haut stach. Es war ein wenig Blut daran, und das Fleisch war zerfetzt.
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