Elizabeth in Liebe und Dankbarkeit gewidmet
Das Buch hat drei Teile. Im ersten Teil werden fünf traditionelle Geschichten erzählt, die alle Kaninchen kennen: über den legendären Helden El-ahrairah, den Fürsten mit den tausend Feinden, und einige seiner Großtaten und Abenteuer. Zwei davon, »Der Fuchs im Wasser« und »Das Loch im Himmel«, wurden schon von Dandelion und Hawkbit am Ende des Kapitels 30 in »Unten am Fluß« beiläufig erwähnt, und als Bigwig mit General Woundwort kämpft (Kapitel 47) hört er, wie Bluebell den Weibchen die Geschichte vom »Fuchs im Wasser« erzählt. Zwei weitere Geschichten beschließen diesen ersten Teil: eine Gespenstergeschichte und »Speedwells Erzählung«. Letztere schien es wert, mit aufgenommen zu werden, weil sie so typisch ist für die Art der Nonsensgeschichten, an denen die Kaninchen soviel Spaß haben.
Im zweiten Teil werden vier der zahlreichen Geschichten, die von den Abenteuern von El-ahrairah und seinem wackeren Kämpen Rabscuttle im Laufe ihres langen Heimwegs nach der schrecklichen Begegnung mit dem Schwarzen Kaninchen von Inle berichten, wiedergegeben.
Der dritte Teil enthält weitere Geschichten von den Erlebnissen Hazels und seiner Kaninchen im Winter, Frühling und Frühsommer nach dem Sieg über General Woundwort.
... sie haben Nasen, aber riechen nicht.
Psalm 115
Wer wagt, gewinnt.
Motto der S.A.S.
»Erzähl uns eine Geschichte, Dandelion!«
Es war ein schöner Maiabend im Frühling nach dem Sieg über General Woundwort und die Efrafranier auf Watership Down. Hazel und einige seiner Veteranen, die seinerzeit Sandleford verlassen hatten, lagerten auf dem warmen Rasen, grasgesättigt, müßig und bequem. Kehaar, die Möwe, pickte in der Nähe zwischen den Grasbüscheln herum, nicht sosehr, um Freßbares zu finden, als um die noch unverbrauchte Energie, die ihm verblieben war, auf seine rastlose Möwenart zu verbrauchen.
Die Kaninchen hatten sich schwatzend unterhalten und einiger ihrer großen Abenteuer des vergangenen Jahres gedacht: Wie sie das Sandleford-Gehege nach Fivers Vorahnung kommenden Unheils verlassen hatten; wie sie dann nach Watership Down, einem grasbedeckten Hügelland, gezogen waren, ihr neues Gehege dort gegraben und auf einmal verblüfft bemerkt hatten, daß kein einziges Weibchen unter ihnen weilte. Hazel hatte sich an den unbesonnenen Überfall auf die Nuthanger Farm erinnert, bei dem er beinahe sein Leben verloren hatte. Das wiederum hatte einigen von ihnen die Expedition zum großen Fluß ins Gedächtnis gerufen; Bigwig hatte immer wieder von neuem erzählen müssen, wie er als angeblicher Offizier von General Woundwort Efrafra unterwandert und Hyzenthlay überredet hatte, den Weibchentrupp aufzustellen, der dann während des Gewitters ausgebrochen war. Blackberry hatte versucht, den Trick mit dem Kahn zu erklären, der ihnen die Flucht flußabwärts ermöglicht hatte, aber es gelang ihm nicht recht. Bigwig hatte es allerdings abgelehnt, von seinem unterirdischen Kampf mit General Woundwort zu erzählen, den er, wie er betonte, möglichst schnell vergessen wollte. Statt dessen hatte Dandelion berichtet, wie der Hund der Nuthanger Farm, den Hazel losgebunden hatte, ihn und Blackberry bis in die Reihen der Efrafranier verfolgt hatte, die auf dem Down versammelt waren. Kaum war er mit seinem Bericht fertig, kam schon von allen Seiten der altbekannte Ruf: »Erzähl uns eine Geschichte, Dandelion!«
Dandelion ging nicht sofort darauf ein; er knabberte am Gras herum und hopste zu einem sonnigeren Platz, wo er sich niederließ; dabei dachte er offensichtlich nach. Schließlich eröffnete er den anderen: »Ich werde euch heute Abend mal eine neue Geschichte erzählen, eine, die ihr noch nie gehört habt. Sie betrifft eines der größten Abenteuer von El-ahrairah.«
Er machte eine Pause, setzte sich aufrecht hin und rieb sich mit den Vorderpfoten über die Nase. Niemand drängte den Meistererzähler, der sich Zeit ließ und offenbar seinen Rang und seine Beliebtheit auskostete. Eine leichte Brise strich durch das Gras, und eine Lerche, die ihr Lied gerade beendet hatte, landete in ihrer Nähe und startete alsbald zu neuen Höhenflügen.
Es war einmal vor langer Zeit, erzählte Dandelion, daß die Kaninchen keinen Geruchssinn hatten. Sie lebten genauso wie heute, aber ohne Geruchssinn zu leben, ist ein unerhörter Nachteil. Sie hatten an einem Sommermorgen nur halb so viel Vergnügen wie alle andern und konnten im Gras nicht erkennen, was es da zum Fressen gab, wenn sie nicht direkt draufbissen. Aber das Schlimmste war, daß sie nicht riechen konnten, wenn Feinde nahten, und das bedeutete leider, daß viele Kaninchen Hermelinen und Füchsen zum Opfer fielen.
Nun wurde es El-ahrairah bewußt, daß seine Kaninchen keinen Geruchssinn besaßen, während doch ihre Feinde und andere Geschöpfe, sogar Vögel, durchaus darüber verfügten, und er beschloß, diesen Sondersinn zu finden und seinem Volk zugänglich zu machen, wie hoch auch immer der Preis wäre. Er hörte überall herum, bat um Rat und fragte, wo dieser Sinn des Geruchs zu finden sei. Doch das wußte niemand, bis er zum Schluß auf ein altes weises Kaninchen traf - Heartsease war sein Name -, das er in seinem Gehege aufsuchte und um Rat ersuchte.
»Ich weiß noch, als ich jung war«, sagte Heartsease, »wie unser Gehege einer verwundeten Schwalbe Obdach gewährte. Es war eine weitgereiste, weltläufige Schwalbe, und sie war voller Mitleid, weil wir keinen Geruchssinn hatten. Der Weg zum Geruchssinn, verriet sie uns, führt durch ein Land ewiger Finsternis, wo er von einer Bande grimmiger und gefährlicher Ungeheuer bewacht wird. Man nennt sie die Ilips, und sie wohnen in Höhlen. Mehr wußte sie auch nicht.«
El-ahrairah dankte Heartsease, und nach langem Grübeln suchte er den Fürsten Regenbogen auf. Er erzählte ihm, er habe vor, in dieses Land zu gehen, und bat den Fürsten um Rat.
»Du solltest es besser gar nicht erst versuchen, El-ahrairah«, sagte Fürst Regenbogen. »Wie willst du denn deinen Weg durch ein Land ewiger Finsternis zu einem Ort finden, den du nicht kennst? Selbst ich bin nie dort gewesen, und ich habe auch nicht die geringste Absicht, jemals dorthin zu gehen. Du wirfst doch nur dein Leben weg.«
»Es ist für mein Volk«, antwortete El-ahrairah. »Ich bin nicht bereit zuzusehen, wie sie Tag für Tag zu Tode gehetzt werden, bloß weil sie keinen Geruchssinn haben. Habt Ihr keinen Rat für mich?«
»Nur diesen«, sagte Fürst Regenbogen. »Sag keinem, den du auf deiner Reise triffst, wohin du gehst und warum. In diesem Land laufen sehr seltsame Geschöpfe herum, und wenn es bekannt werden sollte, daß du keinen Geruchssinn hast, dann könnte es dir übel ergehen. Denk dir irgendein Ziel aus. Warte - ich gebe dir diesen Astralkragen mit, den du um den Hals tragen mußt. Den hat mir Frith, der Herr, einmal geschenkt. Vielleicht ist er dir nützlich.«
El-ahrairah dankte dem Fürsten und brach am nächsten Tage auf. Als er endlich an die Grenze des Landes der ewigen Finsternis gelangte, stellte er fest, daß sie sich mit einem Dämmerlicht ankündigte, welches sich allmählich zu einer umfassenden Finsternis vertiefte. Er wußte nicht, in welcher Richtung er weitergehen sollte, ihm fehlte jegliche Orientierung, so daß er möglicherweise letztlich immer im Kreise ging. Er hörte ringsum Bewegungen im Dunkel, und anscheinend kannten sich andere Geschöpfe da aus. Aber -waren sie freundlich gesinnt? Könnte man sie anreden, ohne Schaden zu nehmen? Voller Verzweiflung setzte er sich am Ende im Dunkeln hin und wartete schweigend, bis er eine Bewegung in seiner Nähe wahrnahm. Er sagte: »Ich habe mich verirrt und weiß nicht mehr aus noch ein. Kannst du mir helfen?«
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