Sie liefen weiter und krochen durch die Hecke. Hazel sah erstaunt auf die Straße hinunter. Einen Augenblick glaubte er, er sehe wieder einen großen Fluß - schwarz, glatt und gerade zwischen seinen Böschungen. Dann sah er den geteerten Kies und beobachtete eine Spinne, die über seine Oberfläche lief.
»Aber das ist nicht natürlich«, sagte er, die merkwürdigen Gerüche nach Teer und Öl schnüffelnd. »Was ist es? Wie ist es dahin gekommen?«
»Es ist ein Menschen-Ding«, sagte Bigwig. »Sie schmieren diesen Stoff dahin, und dann lassen sie die hrududil darüber laufen - schneller, als wir können; und was sonst kann schneller laufen als wir?«
»Sind sie gefährlich? Können sie uns fangen?«
»Nein, das ist ja gerade das Seltsame. Sie beachten uns gar nicht. Ich zeige es dir, wenn du willst.«
Die anderen Kaninchen erreichten jetzt nach und nach die Hecke, als Bigwig die Böschung hinunterhopste und sich an den Rand der Straße kauerte. Hinter der Biegung wurde das Geräusch eines anderen sich nähernden Wagens laut. Hazel und Silver blickten gespannt hin. Der Wagen erschien, funkelte grün und weiß und raste auf Bigwig zu. Einen Augenblick erfüllte er die ganze Welt mit Krach und Angst. Dann war er verschwunden, und Bigwigs Fell wehte im Zugwind, der ihm die Hecken hinunter folgte. Er sprang zu den erstaunt starrenden Kaninchen auf der Böschung zurück.
»Seht ihr? Sie tun einem nicht weh«, sagte Bigwig. »Ehrlich gesagt, ich glaube, daß sie lebendig sind. Aber ich gebe zu, daß ich es nicht ganz verstehe.«
Wie an der Flußböschung hatte Blackberry sich davongeschlichen und war schon auf der Straße, schnupperte sich zur Mitte hin, halbwegs zwischen Hazel und der Biegung. Sie sahen ihn aufschrecken und in den Schutz der Böschung zurückspringen.
»Was ist los?« fragte Hazel.
Blackberry antwortete nicht, und Hazel und Bigwig hopsten am Rande des Grasstreifens zu ihm hin. Er öffnete und schloß das Maul, leckte sich die Lippen wie eine Katze, wenn etwas sie anwidert.
»Du sagst, sie seien nicht gefährlich, Bigwig«, meinte er ruhig. »Aber ich glaube, sie sind es trotzdem.«
In der Mitte der Straße lag eine plattgedrückte, blutige Masse von braunen Stacheln und weißem Fell mit kleinen schwarzen Füßen und einer zerquetschten Schnauze. Fliegen krochen darüber, und hier und da staken Kiesecken aus dem Fleisch.
»Ein yona«, sagte Blackberry. »Auf wen hat ein yona es außer auf Schnecken und Käfer schon abgesehen? Und was kann ein yona fressen?«
»Er muß bei Nacht gekommen sein«, sagte Bigwig.
»Ja, natürlich. Die yonil jagen immer bei Nacht. Wenn du sie bei Tag siehst, liegen sie im Sterben.«
»Ich weiß. Aber was ich zu erklären versuche, ist, daß die hrududil nachts große Lichter haben, heller als Frith selbst. Sie ziehen Geschöpfe an, und wenn sie dich anleuchten, kannst du nicht sehen oder denken, wohin du gehen sollst. Dann wird der hrududu dich wahrscheinlich vernichten. Jedenfalls haben wir's so in der Owsla gelernt. Ich habe nicht die Absicht, es auszuprobieren.«
»Nun es wird bald dunkel«, sagte Hazel. »Kommt, gehen wir hinüber. Soweit ich sehen kann, dient die Straße uns zu gar nichts. Nachdem ich jetzt alles über sie erfahren habe, möchte ich so bald wie möglich von ihr fort.«
Bei Mondaufgang hatten sie den Friedhof von Newtown durcheilt, wo ein kleiner Bach zwischen dem Rasen und unter dem Pfad hindurchläuft. Sie wanderten weiter, kletterten einen kleinen Hügel hinauf und kamen zum Gemeindeland von Newtown - ein Torfgelände mit Stechginster und Silberbirken. Nach den Wiesen, die sie verlassen hatten, war dies eine fremdartige, abstoßende Landschaft. Bäume, Weide, selbst der Boden - alles ganz ungewohnt. Sie zögerten in dem dichten Heidekraut, konnten nicht mehr als ein paar Fuß voraus sehen. Ihr Fell wurde tropfnaß vom Tau. Der Boden war von Rinnen und Flecken nackten dunklen Torfes zerklüftet, wo das Wasser stand und spitze weiße Steine, einige so groß wie Taubeneier, andere wie der Schädel eines Kaninchens, im Mondlicht schimmerten. Wann immer sie eine dieser Rinnen erreichten, drängten sich die Kaninchen zusammen und warteten darauf, daß Hazel oder Bigwig drüben hinaufkletterten und einen Weg voran fanden. Überall stießen sie auf Käfer, Spinnen und kleine Eidechsen, die eiligst davonhuschten, wenn sie durch das storre, widerstandsfähige Heidekraut stießen. Einmal stöberte Buckthorn eine Schlange auf und sprang in die Luft, als sie zwischen seinen Pfoten hindurch in ein Loch am Fuß einer Birke schoß.
Sogar die Pflanzen waren ihnen unbekannt - Läusekraut mit seinem Gezweig hakenförmiger Blüten, Sumpfgewächse und die dünnstengeligen Blüten des Sonnentaus, deren haarige, fliegenfangende Münder, die sich zur Nacht schlossen, herausragten. In diesem Dschungel war alles Stille. Sie liefen immer langsamer und machten zwischen dem ausgestochenen Torf lange Pausen. Wenngleich das Heidekraut still war, trug die Brise doch ferne Nachtgeräusche über das offene Land. Ein Hahn krähte. Ein Hund rannte bellend umher, und ein Mann schrie ihn an. Eine kleine Eule rief »Kii-wik, kii-wik«, und etwas - eine Wühlmaus oder eine Spitzmaus - gab ein kleines Quietschen von sich. Da war kein Geräusch, das nicht von Gefahren kündete.
Spät in der Nacht, gegen Monduntergang, blickte Hazel von einem Einschnitt, wo sie kauerten, zu einer kleinen Böschung hinauf. Als er noch überlegte, ob er hinaufklettern sollte, um zu sehen, ob er klare Sicht nach vorn bekommen konnte, hörte er eine Bewegung hinter sich, drehte sich um und sah Hawkbit neben sich. Es war etwas Hinterlistiges und Zögerndes an ihm, und Hazel blickte ihn scharf an, fragte sich einen Augenblick, ob er krank oder vergiftet sei.
»Äh - Hazel«, sagte Hawkbit, an ihm vorbei auf die dunkle Klippe blickend. »Ich - äh -, das heißt wir - äh -, wir sind der Meinung, daß wir - nun, daß wir nicht so weitergehen können. Wir haben genug.«
Er hielt inne. Hazel sah jetzt, daß Speedwell und Acorn hinter ihm standen und erwartungsvoll zuhörten. Es trat eine Pause ein.
»Weiter, Hawkbit«, sagte Speedwell, »oder soll ich weiterreden?«
»Mehr als genug«, fuhr Hawkbit mit einer Art dummer Wichtigtuerei fort.
»Nun, ich habe auch genug«, antwortete Hazel, »und ich hoffe, es ist bald vorbei. Dann können wir alle ausruhen.«
»Wir wollen jetzt rasten«, sagte Speedwell. »Wir glauben, es war dumm, so weit zu gehen.«
»Es wird immer schlimmer, je weiter wir gehen«, sagte Acorn. »Wo gehen wir hin, und wie lange wird es dauern, bis einige von uns für immer aufhören zu laufen?«
»Es ist der Ort, der dir Sorgen macht«, sagte Hazel. »Mir gefällt er auch nicht, aber es wird nicht ewig so weitergehen.«
Hawkbit sah verschlagen und falsch aus. »Wir glauben nicht, daß du weißt, wo wir wirklich hingehen«, sagte er. »Du wußtest nichts von der Straße, nicht wahr? Und du weißt nicht, was vor uns liegt.«
»Hör zu«, sagte Hazel, »ich schlage vor, daß du mir sagst, was du tun willst, und ich sage dir, was ich davon halte.«
»Wir wollen zurückgehen«, sagte Acorn. »Wir glauben, Fiver hat sich geirrt.«
»Wie könnt ihr durch das zurückgehen, was wir gerade hinter uns gebracht haben?« erwiderte Hazel. »Und wahrscheinlich würdet ihr getötet werden, weil ihr einen Owsla-Offizier verwundet habt, wenn ihr überhaupt zurückkommt. Seid vernünftig, um Friths willen.«
»Wir haben Holly nicht verwundet«, sagte Speedwell.
»Du warst da, und Blackberry brachte dich mit. Glaubst du, sie werden sich nicht daran erinnern? Außerdem -«
Hazel hielt inne, als Fiver, gefolgt von Bigwig, sich näherte.
»Hazel«, sagte Fiver, »könntest du mal mit mir auf die Böschung hinaufkommen? Es ist wichtig.«
Читать дальше