Eleanor kam erst spät vom Haus ihrer Mutter zurück. Brustwehr glaubte zwar daran, daß eine Ehefrau starke Familienbindungen haben sollte, aber nach Nachteinbruch nach Hause zu kommen, das war gefährlich.
»Es wird davon geredet, daß wilde Rote vom Süden hierher kommen«, sagte Brustwehr Gottes. »Und du gehst noch im Dunkeln umher.«
»Ich habe mich beeilt, nach Hause zu kommen«, erwiderte sie. »Ich kenne den Weg im Dunkeln.«
»Es geht nicht darum, den Weg zu kennen«, erwiderte er streng. »Die Franzosen bezahlen für weiße Skalps inzwischen mit Gewehren. Das wird zwar die Leute des Propheten nicht in Versuchung führen, aber es gibt viele Choc-Taws, die nur zu gerne nach Fort Detroit hinaufkommen, um unterwegs auch noch Skalps einzusammeln.«
»Alvin wird nicht sterben«, sagte Eleanor.
Brustwehr verabscheute es, wenn sie so abrupt das Thema wechselte. Aber bei dieser Nachricht blieb ihm nichts anderes übrig, als nachzufragen. »Dann haben sie sich also entschieden, das Bein zu amputieren?«
»Ich habe das Bein gesehen. Es kommt schon wieder in Ordnung. Alvin Junior war am späten Nachmittag wach, und ich habe mich eine Weile mit ihm unterhalten.«
»Ich bin froh, daß er wachgeworden ist, Elly, aber ich hoffe doch, daß du nicht damit rechnest, daß dieses Bein heilt. Eine derart große Wunde mag zwar eine Weile lang so aussehen, als würde sie heilen, aber die Fäulnis wird schon ziemlich bald einsetzen.«
»Bei Alvin glaube ich das nicht«, erwiderte sie. »Willst du Abendessen haben?«
»Ich muß zwei Laibe Brot gegessen haben, wie ich hier auf und ab gegangen bin und mich fragte, wann du wohl jemals wieder nach Hause kommen würdest.«
»Es ist nicht gut, wenn ein Mann einen Bauch bekommt.«
»Ich habe nun einmal einen, und der verlangt nach Nahrung, genau wie der aller anderen.«
»Mama hat mir einen Käse mitgegeben.«
Brustwehr war unbehaglich zumute. Er glaubte, daß Faith Millers Käse sicherlich nur so gut waren, weil sie irgend etwas mit der Milch machte. Es warf ihn aus der Bahn, wenn er sich dabei erwischte, wie er Kompromisse mit der Hexerei einging. In dieser düsteren Stimmung war er nicht gewillt, irgend etwas auf sich beruhen zu lassen, auch wenn er wußte, daß Elly einfach nicht darüber reden wollte. »Warum, glaubst du, daß das Bein nicht faulen wird?«
»Es wird einfach so schnell besser«, meinte sie.
»Wieviel besser?«
»Ach, schon fast wieder gesund.«
»Was heißt fast?«
Sie drehte sich um, rollte die Augen und kehrte ihm den Rücken zu. Sie begann einen Apfel aufzuschneiden, den sie mit dem Käse essen wollten.
»Ich habe gefragt, was heißt fast, Elly?«
»Gesund.«
»Zwei Tage, nachdem ein Mühlstein die vordere Hälfte des Beins abgerissen hat, ist es schon wieder gesund?«
»Nur zwei Tage?» fragte sie. »Kommt mir eher wie eine Woche vor.«
»Der Kalender meint aber, daß es nur zwei Tage sind«, warf Brustwehr ein. »Was wiederum bedeutet, daß dort oben Hexerei im Spiel ist.«
»So, wie ich die Evangelien lese, war der, der die Menschen heilte, keine Hexe.«
»Wer hat es getan? Erzähl mir nicht, daß dein Pa oder deine Ma plötzlich so starke Kräfte besitzen. Haben sie vielleicht einen Teufel beschworen?«
Sie drehte sich um, das Messer noch immer in der Hand. Ihre Augen blitzten. »Pa mag zwar kein Kirchgänger sein, aber der Teufel hat niemals seinen Fuß in unser Haus gesetzt.«
Reverend Thrower war zwar anderer Meinung, aber Brustwehr war zu klug, um ihn auch noch ins Gespräch einzubringen. »Dann war es dieser Bettler.«
»Der arbeitet für seine Kost und Unterkunft. So hart wie alle anderen auch.«
»Man erzählt sich, daß er diesen alten Zauberer Ben Franklin gekannt hat. Und diesen Atheisten aus Appalachee, Tom Jefferson.«
»Er erzählt gute Geschichten. Und er hat den Jungen auch nicht geheilt.«
»Nun, irgend jemand hat es ja wohl getan.«
»Vielleicht hat er sich einfach nur selbst geheilt. Jedenfalls ist das Bein noch immer gebrochen. Es ist also kein Wunder oder so etwas. Er ist eben nur ein schneller Heiler.«
»Nun, vielleicht ist er ein schneller Heiler, weil der Teufel eben für die Seinen sorgt.«
Als er den Blick in ihrem Auge wahrnahm, während sie sich umdrehte, wünschte sich Brustwehr fast, daß er es nicht gesagt hätte. Aber Reverend Thrower hatte doch so gut wie behauptet, daß der Junge ebenso schlimm war wie das Tier aus der Apokalypse.
Aber Tier oder Junge, er war Ellys Bruder, und wenngleich sie auch die meiste Zeit so ruhig war, wie man es sich nur wünschen konnte, konnte sie das schiere Grauen sein, wenn sie zornig wurde.
»Nimm das zurück«, sagte sie.
»Also das ist so ziemlich das Dümmste, was ich jemals gehört habe. Wie kann ich etwas zurücknehmen, was ich gerade gesagt habe?«
»Indem du sagst, daß du weißt, daß es nicht so ist.«
»Ich weiß nicht, daß es nicht so ist, und ich weiß auch nicht das Gegenteil. Ich habe gesagt vielleicht, und wenn ein Mann zu seiner Frau nicht mehr vielleicht sagen kann, dann wäre er wohl besser dran, tot zu sein.«
»Ich schätze, das stimmt wohl«, sagte sie. »Und wenn du es nicht zurücknimmst, dann wirst du dir noch wünschen, daß du tot wärst!«
Sie kam auf ihn zu, in jeder Hand ein Stück Apfel.
Meistens wenn sie so zornig auf ihn zukam und er sich von ihr durchs Haus treiben ließ, mußte sie irgendwann lachen. Doch nicht dieses Mal. Sie zerdrückte ein Stück Apfel in seinem Haar und schleuderte ihm das andere entgegen, dann setzte sie sich ins Schlafzimmer und weinte sich die Augen aus.
Sie weinte sonst eigentlich nie. Brustwehr überlegte, daß die Sache gänzlich aus dem Lot gelaufen war.
»Ich nehme es zurück, Elly«, sagte er. »Er ist ein guter Junge, das weiß ich.«
»Ach, es ist mir egal, was du denkst«, erwiderte sie. »Du verstehst sowieso nichts davon.«
Nicht viele Ehemänner hätten sich so etwas von ihrer Frau bieten lassen, ohne ihr eine Ohrfeige zu verpassen. Brustwehr wünschte sich manchmal, daß Elly es doch mal zu schätzen wüßte, wie sehr sein christlicher Glaube doch nur zu ihrem Vorteil war.
»Ein bis zwei Dinge weiß ich sehr wohl«, antwortete er.
»Sie werden ihn fortschicken«, sagte sie. »Wenn der Frühling kommt, geben sie ihn in eine Lehre. Er ist nicht allzu glücklich darüber, doch er sagt nichts dagegen, er liegt einfach nur im Bett, spricht ganz leise und schaut mich und alle anderen an, als würde er die ganze Zeit Lebewohl sagen.«
»Weshalb wollen sie ihn denn fortschicken?«
»Das habe ich dir doch gesagt, um ihn in eine Lehre zu geben.«
»So, wie sie diesen Jungen bemuttern, kann ich mir kaum vorstellen, daß sie ihn jemals außer Sichtweite lassen.«
»Und sie wollen ihn auch nicht in die Nähe schicken. Nein, bis ins östliche Ende des Hiogebiets, in die Nähe von Fort Dekane. Das ist ja schon die halbe Strecke bis zum Meer.«
»Weißt du, irgendwie erscheint das vernünftig, wenn man mal darüber nachdenkt.«
»Ach ja?«
»Jetzt, da die Roten Schwierigkeiten machen, wollen sie ihn in Sicherheit bringen. Die anderen können ruhig hierbleiben, um einen Pfeil ins Gesicht zu bekommen, aber nicht Alvin Junior.«
Sie musterte ihn mit vernichtender Verachtung. »Manchmal bist du so mißtrauisch, daß ich am liebsten kotzen würde, Brustwehr Gottes.«
»Es hat nichts mit Mißtrauen zu tun, wenn man etwas ausspricht, was wirklich geschieht.«
»Du kannst doch nicht einmal die Wirklichkeit von einer Gurke unterscheiden.«
»Wäschst du mir diesen Apfel aus dem Haar, oder muß ich dich dazu bringen, ihn mir abzulecken?«.
»Ich schätze, ich werde wohl irgend etwas tun müssen, sonst reibst du ihn noch in das ganze Bettleinen.«
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