»Du kannst unsere Familienbande verleugnen, soviel du willst«, sagte Galad ernst zu Elayne, »aber sie existieren deshalb immer noch. Und Mutter hat uns für deine Sicherheit verantwortlich gemacht.«
Gawyn schnitt eine Grimasse. »Sie zieht uns das Fell über die Ohren, Elayne, wenn dir irgend etwas zustößt. Wir mußten uns den Mund fußlig reden, sonst hätte sie uns gleich mit nach Hause geschleppt. Ich habe noch nie davon gehört, daß eine Königin ihre eigenen Söhne zum Henker geschickt hat, aber bei Mutter klang es danach, als werde sie die erste sein, die das tut, wenn wir dich nicht sicher nach Hause bringen.«
»Ich bin sicher«, meinte Elayne, »daß ihr euch ganz gewiß nur meinetwegen den Mund fußlig geredet habt, und überhaupt nicht, weil ihr hierbleiben wolltet, um von den Behütern zu lernen.« Gawyn war nun mit dem Erröten an der Reihe.
»Deine Sicherheit war unser Hauptanliegen.« Es klang durchaus ernst gemeint bei Galad, und Egwene war auch davon überzeugt. »Wir brachten es fertig, Mutter davon zu überzeugen, daß ihr bei eurer Rückkehr jemanden braucht, der auf euch aufpaßt.«
»Auf mich aufpassen!« rief Elayne, doch Galad sprach einfach weiter.
»Die Weiße Burg ist zu einem gefährlichen Ort geworden. Es hat Todesfälle gegeben — Morde —, die nicht richtig geklärt worden sind. Sogar ein paar Aes Sedai sind getötet worden, obwohl man versucht hat, das zu vertuschen. Und ich habe gerüchteweise von Schwarzen Ajah gehört, und das sogar in der Burg selbst. Mutter hat befohlen, dich nach Caemlyn zurückzubringen, sobald deine Ausbildung so weit fortgeschritten ist, daß du in Sicherheit zurückkehren kannst.«
Anstatt einer Antwort hob Elayne nur die Nase noch ein wenig höher und wandte sich von ihm ab.
Gawyn fuhr sich entmutigt mit der Hand durch das Haar. »Licht, Nynaeve, Galad und ich sind doch keine Verbrecher. Alles, was wir wollen, ist doch zu helfen! Wir würden das sowieso tun, aber Mutter hat es befohlen, also könnt ihr uns das auch nicht ausreden.«
»Morgases Befehle haben in Tar Valon keine Gültigkeit«, sagte Nynaeve gelassen. »Was euer Angebot betrifft, uns zu helfen, so werde ich mich daran erinnern. Sollten wir Hilfe benötigen, werdet ihr unter den ersten sein, die davon erfahren. Aber jetzt wünsche ich, daß ihr geht.« Sie deutete entschlossen auf die Tür, doch er ignorierte sie.
»Das ist alles schön und gut, aber Mutter wird wissen wollen, ob Elayne zurückgekommen ist. Und warum sie, ohne ein Wort zu sagen, fortgelaufen ist und was sie all diese Monate über getan hat. Licht, Elayne! Die ganze Burg war in Aufruhr. Mutter war halb verrückt vor Angst. Ich glaubte schon, sie wolle die ganze Burg mit den Händen niederreißen.« Elaynes Gesicht nahm einen leicht schuldbewußten Ausdruck an und Gawyn nützte das aus. »Das bist du ihr schuldig, Elayne. Und das bist du auch mir schuldig. Seng mich, aber du bist so stur wie ein Maulesel. Du warst monatelang weg, und alles, was ich vor dir weiß, ist, daß du dich mit Sheriam angelegt hast. Und das weiß ich auch nur, weil du geheult hast und dich nicht hinsetzen willst.« Elaynes beleidigter Blick zeigte, daß er den errungenen Vorteil wieder verspielt hatte.
»Genug«, sagte Nynaeve. Galad und Gawyn öffneten gleichzeitig den Mund, doch sie erhob ihre Stimme: »Ich sagte: Genug!« Sie funkelte die beiden derart an, daß sie verstummten, und fuhr dann fort: »Elayne ist euch beiden nichts schuldig. Wenn sie es vorzieht, euch nichts zu sagen, dann ist das ihre Sache. Das hier ist mein Zimmer und kein öffentlicher Schankraum. Also raus mit euch!«
»Aber, Elayne...«, begann Gawyn in der gleichen Sekunde, in der Galad sagte: »Wir wollen doch nur... «
Nynaeve sagte so laut, daß sie die beiden übertönte: »Ich bezweifle, daß ihr um Erlaubnis gebeten habt, die Quartiere der Aufgenommenen betreten zu dürfen.« Sie sahen sie überrascht an. »Das dachte ich mir. Ihr werdet aus meinem Zimmer und aus meinen Augen sein, bevor ich bis drei gezählt habe, sonst schicke ich dem Waffenmeister eine Beschwerde über euch. Coulin Gaidin ist viel kräftiger als Sheriam Sedai, und ihr könnt sicher sein, daß ich dabeisein werde, um zu sehen, ob er euch auch richtig versohlt.«
»Nynaeve, das würdest du doch...«, fing Gawyn besorgt an, doch Galad bedeutete ihm, zu schweigen, und er trat auf Nynaeve zu.
Ihre Miene blieb streng, doch unbewußt strich sie ihr Kleid glatt, als er auf sie herablächelte. Egwene war nicht überrascht. Sie hatte wohl außer den Roten Ajah noch keine Frau erlebt, die von Galads Lächeln unbeeindruckt geblieben war.
»Ich entschuldige mich dafür, Nynaeve, daß wir uns unerwünscht aufgedrängt haben«, sagte er verbindlich. »Wir werden natürlich gehen. Aber denkt daran, daß wir hier sind, falls ihr uns braucht. Und was immer euch dazu brachte, von hier fortzulaufen: Wir können euch auch dabei helfen.«
Nynaeve erwiderte sein Lächeln. »Eins«, sagte sie.
Galad blinzelte, und sein Lächeln erstarb. Ruhig wandte er sich Egwene zu. Gawyn stand auf und ging zur Tür. »Egwene«, sagte Galad, »du weißt, daß gerade du immer darauf zählen kannst, daß ich dir zu jeder Zeit und bei allem helfe. Ich hoffe, das vergißt du nicht.«
»Zwei«, sagte Nynaeve.
Galad sah sie irritiert an. »Wir sprechen noch miteinander«, sagte er zu Egwene und beugte sich über ihre Hand. Mit einem Abschiedslächeln trat er ohne jede Eile auf die Tür zu.
»Drrrrrr... « — Gawyn schoß durch die Tür, und selbst Galads Schritt verlor durch eine plötzliche Beschleunigung viel von seiner üblichen Grazie — »ei«, vollendete Nynaeve, als die Tür auch schon zuknallte.
Elayne klatschte begeistert in die Hände. »Gut gemacht«, sagte sie. »Sehr gut gemacht. Ich wußte noch nicht einmal, daß es Männern verboten ist, die Quartiere der Aufgenommenen zu betreten.«
»Ist es nicht«, sagte Nynaeve trocken, »aber das haben diese Halunken eben auch nicht gewußt.« Elayne klatschte noch einmal lachend Beifall. »Ich hätte sie ja einfach auf gewöhnliche Art gehen lassen«, fügte Nynaeve hinzu, »wenn Galad nicht so ein Theater gemacht hätte. Dieser junge Mann sieht einfach zu gut aus für sein eigenes Wohlergehen.« Egwene hätte beinahe aufgelacht. Galad war kaum ein Jahr jünger als Nynaeve, wenn überhaupt, und Nynaeve strich sich schon wieder über das Kleid.
»Galad!« fauchte Elayne. »Er wird uns wieder belästigen, und ich weiß nicht, ob dein Trick ein zweitesmal klappen wird. Er tut, was er für richtig hält, gleich, wem er damit weh tut, und wenn er selbst der Leidtragende ist.«
»Dann lasse ich mir etwas anderes einfallen«, sagte Nynaeve. »Wir können es uns nicht leisten, wenn sie uns ständig hinterherlaufen. Elayne, wenn du möchtest, bereite ich dir eine Salbe, die deine Schmerzen lindert.«
Elayne schüttelte den Kopf und legte sich dann der Länge nach auf dem Bauch aufs Bett. »Wenn Sheriam das merkt, haben wir zweifellos beide einen weiteren Besuch bei ihr vor uns. Du hast nicht viel gesagt, Egwene. Hat es dir die Sprache verschlagen?« Ihr Gesichtsausdruck wurde grimmig. »Oder ist Galad daran schuld?«
Egwene errötete unwillkürlich. »Ich wollte mich einfach nicht mit ihnen herumärgern«, sagte sie so würdevoll wie möglich.
»Selbstverständlich«, meinte Elayne knurrig. »Ich gebe ja zu, daß Galad gut aussieht. Aber er ist auch schrecklich. Er tut immer das Richtige, so wie er es sieht. Er hat niemals Mutters Befehlen zuwidergehandelt — nicht mal in der kleinsten Sache. Er bringt keine Lüge über die Lippen, nicht mal eine Notlüge, und er übertritt keine Vorschrift. Falls er dich verpetzt, weil du etwas Verbotenes gemacht hast, empfindet er keinerlei Schadenfreude. Er ist höchstens traurig darüber, daß du seinem Maßstab nicht gerecht wurdest. Aber das ändert nichts daran, daß er dich verpetzen wird.«
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