Moiraine war immer die erste nach ihm, die sich in den Sattel schwang, wenn sich der Himmel im Osten gerade rosa färbte. Die Aes Sedai wäre auch nicht bei Anbruch der Dunkelheit von ihrer weißen Stute Aldieb gestiegen, wenn Lan sich nicht geweigert hätte, in der Dämmerung noch weiter nach Spuren zu suchen.
»Wir müssen noch viel langsamer reiten, falls eins unserer Pferde sich ein Bein bricht«, sagte der Behüter zu Moiraine, als sie sich darüber beschwerte.
Ihre Antwort fiel immer mehr oder weniger gleich aus: »Wenn du nicht schneller vorwärtskommst als in diesem Schneckentempo, sollte ich dich besser Myrelle abtreten, bevor du zu alt bist. Nun ja, vielleicht kann das noch warten, aber du mußt uns schneller vorwärtsbringen.«
Es klang, als sei ihre Drohung halb Scherz und halb ernsthaft. Es lag jedenfalls etwas wie eine Drohung darin oder vielleicht auch eine Warnung, da war Perrin sicher, denn Lans Mund verzog sich ärgerlich. Allerdings lächelte sie danach und klopfte ihm beruhigend auf die Schulter.
»Wer ist Myrelle?« fragte Perrin beim erstenmal mißtrauisch. Loial schüttelte den Kopf und murmelte etwas von unangenehmen Dingen, die Leuten zustießen, wenn sie ihre Nase in die Angelegenheiten von Aes Sedai steckten. Das zottige Pferd des Ogiers war so grobknochig und schwer wie ein Dhurran-Hengst, aber wenn Loials lange Beine auf beiden Seiten fast bis auf den Boden herunterhingen, wirkte es wie ein Pony.
Moiraine lächelte amüsiert und geheimnisvoll. »Nur eine Grüne Schwester. Jemand, der Lan vielleicht eines Tages ein Päckchen überbringen muß, damit sie es sicher aufbewahrt.«
»Keines nahen Tages«, sagte Lan, und überraschenderweise lag ganz offener Zorn in seiner Stimme. »Niemals, wenn es nach mir geht. Ihr werdet mich lange überleben, Moiraine Aes Sedai!«
Sie hat zu viele Geheimnisse, dachte Perrin, aber er berührte dieses Thema nicht mehr. Es war zu heiß, wenn die eiserne Beherrschung des Behüters damit zu durchbrechen war.
Die Aes Sedai hatte hinter ihren Sattel ein in Decken gewickeltes Bündel geschnallt: das Drachenbanner. Perrin fühlte sich nicht wohl bei dem Gedanken, es dabei zu haben, aber Moiraine hatte ihn nicht nach seiner Meinung gefragt und hörte auch nicht hin, als er sie trotzdem sagte. Nicht, daß irgend jemand die Flagge erkennen könnte, so wie sie eingewickelt dort lag. Er hoffte aber, daß sie Geheimnisse vor anderen Leuten genauso gut hüten könne wie vor ihm.
Zu Anfang war es ein langweiliger Ritt. Ein wolkengekrönter Berg sah aus wie der andere, und ein Paß unterschied sich kaum vom nächsten. Zum Abendessen gab es gewöhnlich Kaninchen. Perrin jagte sie mit seiner Steinschleuder. Er hatte nicht genug Pfeile, um zu riskieren, in diesem steinigen Gebiet damit auf die Kaninchen zu schießen. Zum Frühstück gab es dann, jedenfalls meistens, kaltes Kaninchenfleisch, und das Mittagessen, das sie im Sattel verzehrten, war das gleiche.
Manchmal, wenn sie in der Nähe eines Bachs lagerten und es noch hell genug war, fingen Loial und er Bergforellen. Sie legten sich auf den Bauch, streckten die Arme bis zu den Ellbogen ins kalte Wasser und kitzelten die grüngetarnten Fische aus ihren Verstecken unter Steinen heraus. Loials Finger waren wohl dick, konnten aber auch noch schneller zupacken als Perrins Hände.
Einmal, als sie drei Tage lang unterwegs gewesen waren, schloß sich Moiraine ihnen an. Sie streckte sich am Ufer aus und öffnete erst einmal die Verschlüsse von ein paar Perlenketten, damit sie anschließend die Ärmel hochkrempeln konnte. Sie fragte, wie die beiden das machten. Perrin und Loial sahen sich überrascht an. Der Ogier zuckte die Achseln.
»Es ist wirklich nicht schwer«, sagte Perrin zu ihr. »Ihr müßt die Hand von hinten und unter ihrem Bauch hochziehen, als wolltet Ihr sie daran kitzeln. Dann zieht Ihr sie heraus. Man braucht aber schon Übung dazu. Die ersten paarmal fangt Ihr sie vielleicht noch nicht.«
»Ich habe es tagelang versucht, bevor ich endlich eine fing«, fügte Loial hinzu. Er senkte bereits wieder seine riesigen Hände ins Wasser und achtete sorgfältig darauf, daß sein Schatten die Fische nicht vertrieb.
»Tatsächlich so schwierig?« murmelte Moiraine. Ihre Hände glitten ins Wasser, und einen Augenblick später zog sie sie wieder heraus. Es klatschte und spritzte, denn sie hielt eine fette Forelle darin. Sie lachte erfreut, als sie den Fisch ans Ufer warf.
Perrin blickte verdattert drein, als der große Fisch im Schein der untergehenden Sonne zappelte. Er mußte wenigstens fünf Pfund wiegen. »Da habt Ihr aber Glück gehabt«, sagte er. »Forellen von solcher Größe verstecken sich selten unter so kleinen Steinvorsprüngen. Wir müssen ein bißchen weiter hoch gehen, gegen die Strömung, denn es wird dunkel sein, bevor sich an diesem Fleck wieder ein Fisch verbirgt.«
»Tatsächlich?« fragte Moiraine. »Dann geht ihr zwei schon mal los. Ich probiere es doch noch mal hier.«
Perrin zögerte einen Moment und ging dann ein Stück am Ufer entlang bachaufwärts zu einem anderen Überhang. Sie hatte etwas vor, aber er konnte sich nicht vorstellen, was es war. Das beunruhigte ihn. Er legte sich auf den Bauch, achtete sorgfältig darauf, daß sein Schatten nicht auf das Wasser fiel, und spähte über den Uferrand hinunter. Ein halbes Dutzend eleganter Fischkörper schwebte im Wasser, und sie bewegten kaum eine Flosse, um an ihrem Platz zu bleiben. Alle zusammen wogen bestimmt nicht soviel wie Moiraines Fisch, stellte er seufzend fest. Falls sie Glück hatten, konnten Loial und er vielleicht jeder zwei davon fangen, aber der Schatten der Bäume am gegenüberliegenden Ufer erstreckte sich bereits über das Wasser. Was sie jetzt auch fingen, würde für heute ihr letzter Fang sein, und Loials Appetit reichte schon aus, diese vier allein aufzuessen und noch einen Teil des größeren Fisches dazu. Loials Hände bewegten sich schon langsam von hinten auf eine der größeren Forellen zu.
Bevor Perrin auch nur die Hand ins Wasser stecken konnte, rief Moiraine ihnen zu: »Drei sollten reichen, glaube ich. Die letzten beiden sind größer als der erste.«
Perrin sah Loial überrascht an. »Das kann doch nicht wahr sein!«
Der Ogier richtete sich auf. Die kleinen Forellen schossen davon. »Sie ist eben eine Aes Sedai«, sagte er einfach.
Und tatsächlich lagen, als sie zu Moiraine zurückkehrten, drei große Forellen am Ufer. Sie knöpfte sich bereits die Ärmel wieder zu.
Perrin hätte sie am liebsten an die alte Regel erinnert, daß derjenige, der einen Fisch fing, ihn auch putzen und ausnehmen mußte, aber gerade in diesem Moment sah sie ihm direkt in die Augen. Ihr ebenmäßiges Gesicht zeigte keinen besonderen Ausdruck. Der Blick aus ihren dunklen Augen war fest und schien ihm zu sagen, sie wisse, was er vorhabe, und sie lehne das ab. Als sie sich dann abwandte, schien es irgendwie zu spät, um noch etwas zu sagen.
Knurrend zog Perrin sein Messer und machte sich daran, die Fische zu putzen und auszunehmen. »Plötzlich denkt sie nicht mehr daran, ihren Teil der Arbeit zu tun, wie es scheint. Ich schätze, sie läßt uns auch noch kochen und hinterher spülen.«
»Zweifellos«, sagte Loial, ohne seine Arbeit zu unterbrechen. »Sie ist eben eine Aes Sedai.«
»Das habe ich doch irgendwann schon mal gehört.« Die Schuppen spritzten von Perrins Messer. »Den Schienarern hat es vielleicht nichts ausgemacht, für sie die Laufburschen zu spielen, aber jetzt sind wir nur noch zu viert. Wir sollten alle an die Reihe kommen. Das wäre nur fair.«
Loial schnaubte und lachte in einem. »Ich bezweifle, daß sie gleicher Meinung ist. Zuerst streitet sich Rand die ganze Zeit mit ihr, und nun bist anscheinend du dabei, seinen Platz einzunehmen. In der Regel läßt keine Aes Sedai überhaupt mit sich streiten. Ich schätze, sie will uns wieder brav in der Reihe haben, wenn wir mal das erste Dorf erreichen.«
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