Er stellte sich dem Verlorenen mit dem Schwert, das ihm vertraut war, der Klinge, die er mit Saidin geschmiedet hatte. Und wurde zurückgetrieben. Auf das ›Fallende Blatt‹ antwortete ihm ›Gewässerte Seide‹. ›Die Katze tanzt auf der Mauer‹ traf auf ›Der Keiler stürmt bergab‹. ›Der Fluß unterspült das Ufer‹ hätte ihn beinahe den Kopf gekostet, und er mußte sich wenig elegant zur Seite werfen, als die schwarze Flamme seine Haare versengte. Er rollte sich ab, kam auf die Beine und mußte sich ›Steine fallen von den Klippen‹ erwehren. Methodisch und absichtsvoll trieb ihn Be'lal im Kreis herum immer weiter auf Callandor zu.
Schreie warfen ein Echo zwischen den Säulen, das Klingen von Stahl auf Stahl, doch Rand hörte das kaum. Er und Be'lal waren im Herzen des Steins nicht mehr allein. Männer mit Brustpanzern und Helmen mit breiten Rändern fochten mit Schwertern in den Händen gegen schattenhafte, verschleierte Gestalten, die mit ständig zustechenden kurzen Speeren zwischen den Säulen einherhuschten. Ein paar der Soldaten formierten sich zu einer Reihe. Pfeile blitzten aus der Düsternis heran und trafen sie in die Kehle, ins Gesicht, und sie starben in ihrer Formation. Rand bemerkte den Kampf kaum — selbst als Männer nur wenige Schritte von ihm entfernt tot niederstürzten. Sein eigener Kampf war zu verzweifelt, und er benötigte all seine Konzentration. Feuchte Wärme rieselte an seiner Seite herunter. Die alte Wunde brach wieder auf.
Er stolperte plötzlich, da er den Toten vor seinen Füßen nicht bemerkt hatte, bis er auf dem Rücken, den Flötenkasten hart im Kreuz, auf dem Steinboden lag.
Be'lal hob seine Klinge aus schwarzem Feuer und fauchte: »Nimm es! Nimm Callandor und verteidige dich! Nimm es, oder ich töte dich sofort! Wenn du es nicht nimmst, töte ich dich jetzt!«
»Nein!«
Selbst Be'lal fuhr ob des Kommandotons in der Stimme der Frau zusammen. Der Verlorene trat aus Rands Schwertradius und wandte sein finsteres Gesicht Moiraine zu, die mitten durch die Schlacht schritt, die Augen gerade auf ihn gerichtet, als bemerke sie die Todesschreie in ihrer Umgebung gar nicht. »Ich hatte geglaubt, ich hätte Euch endlich los, Frau. Macht nichts. Ihr seid nur ein Plagegeist. Eine Stechmücke. Ein Stechmich. Ich werde Euch zu den anderen sperren und Euch lehren, mit Euren lächerlichen Kräften dem Schatten zu dienen«, schloß er unter verächtlichem Lachen und hob die freie Hand.
Moiraine war nicht stehengeblieben oder hatte auch nur ihren Schritt verlangsamt, während er sprach. Sie befand sich nicht mehr als dreißig Schritt von ihm entfernt, als er die Hand bewegte, und sie erhob augenblicklich ihre beiden Hände.
Einen Moment lang stand Überraschung auf das Gesicht des Verlorenen gezeichnet, und er hatte gerade noch Zeit, »Nein!« zu schreien. Dann schoß ein Feuerbalken, heißer als die Sonne, aus den Händen der Aes Sedai, eine gleißende Leuchtspur, die alle Schatten auslöschte. Sie traf auf Be'lal, und der wurde zu einer durchscheinenden Gestalt aus schimmernden Lichtpunkten, die weniger als einen Herzschlag lang in diesem Licht tanzten und sich dann auflösten, bevor noch sein Schrei verklungen war.
Als dieser Lichtbalken verschwand, herrschte Schweigen im Raum, Schweigen, bis auf das Stöhnen der Verwundeten. Aller Kampf war auf einen Schlag beendet. Verschleierte und Gerüstete standen gleichermaßen wie betäubt da.
»Er hatte recht, was eine Sache betraf«, sagte Moiraine würdevoll und kühl, als stünde sie auf einer Wiese. »Ihr müßt Callandor an Euch nehmen. Er hatte vor, Euch zu töten, um es Euch abzunehmen, doch es ist Euer durch das Recht Eurer Geburt. Es wäre wohl viel besser gewesen, Ihr hättet mehr gelernt und erfahren, bevor Eure Hand es aufnimmt, aber Ihr seid nun an diesem Punkt angelangt, und es ist keine Zeit mehr, um zu lernen. Nehmt es, Rand.«
Peitschenartige schwarze Blitze wanden sich um sie. Sie schrie, als sie von ihnen in die Luft gehoben und zur Seite geworfen wurde wie ein Sack Getreide, bis sie gegen eine der Säulen knallte.
Rand blickte auf zum Ursprung der Blitze. Dort befand sich ein tieferer Schatten, beinahe am oberen Ende der Säulen, eine Schwärze, gegen die alle anderen Schatten wie die Mittagssonne wirkten, und aus dieser Schwärze blickten ihn zwei Feueraugen an.
Langsam senkte sich der Schatten herab und verfestigte sich zu Ba'alzamon, in totes Schwarz gekleidet wie ein Myrddraal. Doch selbst die Kleidung war nicht so schwarz wie der Schatten, der um ihn hing. Er hing in der Luft, zwei Spannen über dem Fußboden, und starrte Rand mit einem Zorn im Blick an, der genauso feurig war wie seine Augen. »Zweimal in diesem Leben habe ich dir die Chance geboten, mir lebend zu dienen.« Flammen loderten in seinem Mund auf, als er sprach, und jedes Wort toste wie aus einer Esse. »Zweimal hast du dich mir verweigert und mich verwundet. Nun wirst du eben im Tod dem Herrn der Gräber dienen. Stirb, Lews Therin Brudermörder! Stirb, Rand al'Thor! Es ist Zeit für dich, zu sterben! Ich nehme deine Seele an mich!«
Als Ba'alzamon die Hand ausstreckte, drückte sich Rand hoch und warf sich verzweifelt auf Callandor zu, das immer noch glitzernd in der Luft leuchtete. Er wußte nicht, ob er es noch erreichen und dann auch noch berühren könne, aber er war sicher, daß es seine einzige Chance darstellte.
Ba'alzamons Schlag traf ihn im Sprung, bohrte sich in ihn, riß etwas aus ihm heraus, wollte einen Teil seiner selbst aus ihm herauszerren. Rand schrie. Er fühlte sich, als falle er wie ein leerer Sack in sich zusammen, als würde sein Innerstes nach Außen gekehrt. Der Schmerz in seiner Seite, die Wunde, die er in Falme erhalten hatte, war ihm beinahe willkommen, etwas, woran er sich halten konnte, was ihn an das Leben erinnerte. Seine Hand schloß sich krampfartig zur Faust. Sie schloß sich um den Knauf Callandors. Die Eine Macht durchströmte ihn, ein Strom, stärker als er glauben konnte, und er floß von Saidin in das Schwert hinein. Die Kristallklinge schien heller als selbst Moiraines Feuer. Es war unmöglich, Callandor noch anzusehen, unmöglich noch als Schwert zu erkennen. Reines Licht flammte in seiner Hand. Er kämpfte gegen den Strom an, gegen diese unwiderstehliche Flut, die auch ihn, alles, was in seinem Innersten war, mit sich in das Schwert reißen wollte. Einen Herzschlag lang, jahrhundertelang, hing er so, schwankend, am Rande des Weggeschwemmtwerdens wie Sand in einer Springflut. Unendlich langsam gewann er an Gleichgewicht. Es war noch immer, als stünde er barfuß auf der Schneide einer Rasierklinge über einem bodenlosen Abgrund, doch irgend etwas sagte ihm, daß dieser Zustand noch der beste sei, den er erwarten könne. Um soviel Macht zu lenken, mußte er auf dieser Schärfe tanzen, wie er durch die Positionen des Schwertkampfes getanzt war.
Er wandte sich Ba'alzamon zu. Das Reißen in ihm hatte aufgehört, seit seine Hand Callandor berührt hatte. Nur ein Augenblick war vergangen, doch er schien eine Ewigkeit gedauert zu haben. »Du wirst meine Seele nicht bekommen«, rief er. »Diesmal will ich es ein für allemal beenden! Ich werde es jetzt beenden!«
Ba'alzamon floh, und Mann wie Schatten verschwanden.
Einen Moment lang stand Rand nur da und runzelte die Stirn. Da war etwas wie... ein Falten... zu spüren gewesen, als Ba'alzamon verschwand. Ein Verdrehen, als habe Ba'alzamon irgendwie die Wirklichkeit verdreht. Er ignorierte die Männer, die ihn anblickten, ignorierte Moiraine, die zusammengebrochen am Sockel einer Säule lag, fühlte durch Callandor hinaus und verformte die Wirklichkeit, um ein Tor aus ihr heraus zu erschaffen. Er wußte nicht, wohin, nur, daß er dorthin wollte, wohin Ba'alzamon geflohen war.
»Nun bin ich der Jäger«, sagte er und trat durch das Tor.
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