»Graue Männer?« Nieda lachte ein wenig schrill und nervös. »Aber, Frau Mari, demnächst behauptet Ihr noch, Ihr glaubt an Gnome und Necks und Irrlichter und daß der Alte Grimme mit den schwarzen Hunden in der Wilden Jagd über den Himmel reitet.« Ein paar der Männer, die den Liedern gelauscht hatten, lachten auch, aber sie sahen Moiraine genauso mißtrauisch an wie die toten Männer. Auch die Sängerin starrte mit weit aufgerissenen Augen Moiraine an. Perrin erinnerte sich an diesen einen Feuerball, bevor das Durcheinander zu unübersichtlich geworden war. Einer der Grauen Männer schien leicht verkohlt und verströmte einen süßlichen Brandgeruch.
Moiraine wandte sich der rundlichen Frau zu. »Ein Mann kann im Schatten wandeln«, sagte die Aes Sedai ruhig, »ohne ein Abkömmling des Schattens zu sein.«
»O ja, Schattenfreunde.« Nieda stützte die Hände auf ihre mächtigen Hüften und blickte die Leichen finster an. Lan hatte seine Suche beendet. Er sah Moiraine an und schüttelte den Kopf, als habe er gar nicht erwartet, etwas zu finden. »Eher waren das Diebe, obwohl ich noch nie von Dieben gehört habe, die kühn genug waren, einfach in eine Schenke hineinzuspazieren. Ich haben noch nie einen Mord im Dachs erlebt. Bili! Bring sie hinaus, wirf sie in einen Kanal und streue frische Sägespäne auf den Boden. Hinten hinaus, bitte! Ich nicht wollen, daß die Wachsoldaten ihre langen Nasen in den Dachs hineinstecken.« Bili nickte, als sei er froh, endlich auch etwas Nützliches tun zu können. Er packte mit jeder Hand einen toten Mann am Gürtel und trug sie hinter zur Küche zu.
»Aes Sedai?« sagte die dunkeläugige Sängerin. »Ich wollte Euch nicht mit meinen gewöhnlichen Liedern beleidigen.« Sie bedeckte den entblößten Teil ihres Busens — also den größten Teil davon — mit ihren Händen. »Ich kann andere singen, wenn Ihr wünscht.«
»Singt, was Euch gefällt, Mädchen«, sagte Moiraine zu ihr. »Die Weiße Burg ist nicht so weltfremd, wie Ihr zu glauben scheint, und ich habe schon schlimmere Lieder gehört, als Ihr sie singen würdet.« Trotzdem schien sie nicht gerade glücklich darüber, daß nun alle im Schankraum wußten, was sie war. Sie sah Lan an, raffte den Leinenumhang um sich zusammen und ging zur Tür.
Der Behüter bewegte sich schnell, um sie abzufangen, und sie unterhielten sich leise vor der Tür. Doch Perrin verstand sie, als flüsterten sie gleich neben ihm miteinander.
»Wollt Ihr ohne mich gehen?« fragte Lan. »Ich habe geschworen, Euch zu beschützen, Moiraine, als ich Euren Eid entgegennahm.«
»Ihr habt schon immer gewußt, daß es Gefahren gibt, denen Ihr nicht gewachsen seid, mein Gaidin. Ich muß allein gehen.«
»Moiraine... «
Sie unterbrach ihn. »Hört auf mich, Lan. Sollte ich versagen, werdet Ihr es wissen, und Ihr werdet gezwungen sein, zur Weißen Burg zurückzukehren. Das würde ich nicht ändern, selbst wenn ich die Zeit dazu hätte. Ich will nicht, daß Ihr in dem erfolglosen Versuch, mich zu rächen, auch noch sterbt. Nehmt Perrin mit. Mir scheint, der Schatten habe mir seine Bedeutung im Muster erst jetzt klargemacht. Ich war eine Närrin. Rand ist ein so starker Ta'veren, daß ich nicht darauf geachtet habe, was es bedeutet, daß er noch zwei andere neben sich hatte. Mit der Hilfe Perrins und Mats kann die Amyrlin vielleicht immer noch den Ablauf der Ereignisse ändern. Wenn Rand ohne Hilfe herumläuft, wird sie eingreifen müssen. Berichte ihr, was geschehen ist, mein Gaidin.«
»Ihr sprecht, als wärt Ihr schon tot«, sagte Lan grob.
»Das Rad webt, wie das Rad es wünscht, und der Schatten verdunkelt die Welt. Hört auf mich, Lan, und gehorcht, wie Ihr es geschworen habt.« Damit war sie aus der Tür.
Das dunkeläugige Mädchen kletterte auf den Tisch zurück und begann, mit unsicherer Stimme zu singen. Die Melodie kannte Perrin unter dem Titel ›Frau Aynoras Hahn‹. Der Text war wieder anders, als er ihn kannte. Er schämte sich seiner eigenen Enttäuschung, aber diesmal ging es wirklich nur um einen Hahn. Selbst Frau Luhhan hätte diesmal nichts dagegen einzuwenden gehabt. Licht, ich werde schon genauso schlimm wie Mat.
Keiner der Zuhörer beklagte sich. Ein paar der Männer wirkten ein wenig aufgebracht, doch alle schienen genauso darauf erpicht, Moiraine zu Gefallen zu sein, wie die Sängerin selbst. Niemand wollte eine Aes Sedai ärgern, selbst wenn sie gar nicht mehr da war. Bili kam zurück und wuchtete zwei weitere Graue Männer hoch. Ein paar der Zuhörer des Mädchens drehten sich um und schüttelten beim Anblick der Leichen die Köpfe. Einer spuckte in die Sägespäne.
Lan kam herüber und stellte sich vor Perrin. »Wie konntet Ihr sie erkennen, Schmied?« fragte er leise. »Das Mal des Bösen ist nicht ausgeprägt genug, und weder Moiraine noch ich konnten sie fühlen. Graue Männer sind schon an Hunderten von Wächtern vorbeimarschiert, darunter auch Behütern, ohne bemerkt zu werden.«
Perrin war sich Zarines Blick bewußt, und so bemühte er sich, noch leiser als Lan zu sprechen: »Ich... ich habe sie gewit... gerochen. Ich habe sie schon vorher gerochen, in Jarra und Remen, aber dann verschwanden sie schnell.
Beide Male waren sie weg, bevor wir in diesen Orten ankamen.« Er war sich nicht sicher, ob Zarine die Worte verstanden hatte oder nicht. Sie hatte sich vorgebeugt, bemühte sich aber, unauffällig zu wirken.
»Damals folgten sie Rand. Jetzt folgen sie Euch, Schmied.« Der Behüter zeigte kein Anzeichen der Überraschung. Er sprach in normaler Lautstärke weiter: »Ich werde mich draußen umsehen, Schmied. Eure Augen entdecken vielleicht etwas, was mir entgeht.« Perrin nickte. Daran konnte man das Ausmaß der Sorge bei Lan ermessen: Er bat tatsächlich um Hilfe. »Ogier, Ihr seht doch auch besser als die meisten anderen!«
»Oh... äh«, brachte Loial heraus. »Also, ich denke, ich werde mich auch mal umsehen.« Seine großen, runden Augen rollten in Richtung der beiden Grauen Männer, die noch auf dem Fußboden lagen. »Ich glaube aber nicht, daß noch mehr davon draußen warten. Was meint Ihr?«
»Wonach suchen wir eigentlich, Steingesicht?« fragte Zarine.
Lan blickte sie einen Moment lang an und schüttelte dann den Kopf, als habe er sich entschlossen, lieber nichts zu sagen. »Was wir auch finden mögen, Mädchen. Ich werde es erkennen, wenn ich es sehe.«
Perrin überlegte, ob er hinaufgehen und seine Axt holen solle, aber der Behüter ging schon zur Tür, und er trug auch kein Schwert. Er braucht es wohl kaum, dachte Perrin mürrisch. Er ist ohne genauso gefährlich wie mit Schwert. Er hielt also das Stuhlbein weiter in der Hand und folgte ihm. Zu seiner großen Erleichterung bemerkte er, daß auch Zarine ihr Messer noch in der Hand hielt.
Dicke, schwarze Wolken wälzten sich über den Himmel. Die Straßen lagen in der Dunkelheit der späten Dämmerung und hatten sich geleert. Die Menschen wollten offensichtlich nicht von dem drohenden Regenguß überrascht werden. Ein Bursche rannte weiter drunten über eine Brücke. Das war die einzige Gestalt, die Perrin in irgendeiner Richtung entdecken konnte. Der Wind frischte auf. Ein Stoffetzen wurde über die unebenen Pflastersteine gefegt. Ein anderer hing an einer Ecke eines steinernen Pfeilers fest und flatterte mit leise knallenden Geräuschen. Donner grollte.
Perrin rümpfte die Nase. Der Wind trug den Geruch nach Feuerwerkskörpern zu ihnen her. Nein, nicht ganz so wie Feuerwerk. Es roch eher nach verbranntem Schwefel. Beinahe.
Zarine klopfte mit ihrer Messerklinge gegen das Stuhlbein in seiner Hand. »Du bist wirklich stark, großer Mann. Du hast den Stuhl zerrissen, als sei er aus Reisig.«
Perrin knurrte. Er wurde sich darüber klar, daß er sich stolz aufgerichtet hatte, und so ließ er sich absichtlich wieder zusammensacken. Närrisches Mädchen! Zarine lachte leise, und plötzlich wußte er nicht mehr, wie er sich verhalten sollte. Idiot! Diesmal meinte er sich selbst. Du solltest besser Ausschau halten! Wonach eigentlich? Er sah nichts als die Straße und roch nichts außer diesem verbrannten Schwefel. Und Zarine natürlich.
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