»Warum hast du nicht unbedingt erwartet, daß es Rand gutgeht?« fragte Mat mißtrauisch. »Weißt du von etwas, das ihm schaden könnte?«
»Wissen? Ich weiß gar nichts, Junge. Ich vermute mehr, als gut für mich ist, aber ich weiß nichts.«
Mat gab Ruhe. Nicht gut, seine Vermutungen auch noch zu bestärken. Und nicht gut, ihn wissen zu lassen, daß ich selbst mehr weiß, als gut für mich ist.
Die ältere Frau, die Thom Mada nannte, kam mit drei Brathähnchen zurück. Ihre Haut war knusprig braun. Sie sah den weißhaarigen Mann besorgt an und warf Mat einen warnenden Blick zu, bevor sie wieder ging. Mat riß einen Schenkel ab und machte sich darüber her. Thom blickte finster in seinen leeren Krug und würdigte die Vögel keines Blickes.
»Warum bist du hier in Tar Valon, Thom? Das ist der letzte Ort, an dem ich dich vermutet hätte, so, wie du den Aes Sedai gegenüberstehst. Ich hörte, daß du dein Geld in Cairhien verdientest.«
»Cairhien«, murmelte der alte Gaukler. Sein Blick trübte sich wieder. »Es ist so schwer, einen Mann zu töten, selbst wenn er den Tod verdient.« Er machte eine ausschweifende Bewegung mit einer Hand und hielt plötzlich ein Messer darin. Thom trug immer verborgene Messer bei sich. Er war vielleicht betrunken, aber das Messer in seiner Hand zitterte nicht. »Töte einen Mann, der es verdient, und manchmal müssen andere dafür bezahlen. Die Frage ist nur: War es die Tat wert? Es gibt immer einen Ausgleich für alles, weißt du? Gut und böse. Licht und Schatten. Wir wären keine Menschen, wenn sich nicht alles ausgleichen würde.«
»Steck das weg«, grollte Mat mit vollem Mund. »Ich will nicht von Töten sprechen.« Licht, dieser Bursche liegt immer noch draußen auf der Straße. Seng mich, ich sollte eigentlich längst auf einem Schiff sein. »Ich habe doch nur gefragt, warum du in Tar Valon bist. Falls du Cairhien verlassen mußtest, weil du jemanden umgebracht hast, dann will ich das nicht wissen. Blut und Asche, wenn du es nicht schaffst, deinen Verstand aus dem Alkoholnebel zu ziehen und vernünftig mit mir zu sprechen, gehe ich auf der Stelle.«
Mit einem beleidigten Blick ließ Thom das Messer verschwinden. »Warum ich in Tar Valon bin? Ich bin hier, weil das der schlimmste Ort ist, an dem ich mich befinden könnte, außer möglicherweise Caemlyn. Das habe ich verdient, Junge. Einige der Roten Ajah erinnern sich noch an mich. Ich habe neulich Elaida auf der Straße gesehen. Wenn sie wüßte, daß ich hier bin, würde sie mir das Fell in Streifen über die Ohren ziehen und anschließend erst richtig unangenehm werden.«
»Ich habe nicht gewußt, daß du dich selbst so bemitleidest«, sagte Mat angewidert. »Willst du dich im Wein ersäufen?«
»Was weißt du denn davon, Junge?« fauchte Thom. »Werde ein paar Jahre älter, erlebe ein paar Dinge mehr, verliebe dich in ein oder zwei Frauen, und dann bist du weiser. Vielleicht, wenn dein Gehirn dazu ausreicht. Aaaaah! Du willst wissen, warum ich in Tar Valon bin? Warum bist du denn in Tar Valon? Ich erinnere mich daran, wie du vor Angst gezittert hast, als du erfuhrst, daß Moiraine eine Aes Sedai ist. Du hast dir fast in die Hosen gemacht, wenn jemand auch nur die Macht erwähnte. Was tust du denn in Tar Valon, wo überall Aes Sedai herumlaufen?«
»Ich verlasse Tar Valon. Das mache ich hier. Abhauen!« Mat verzog sein Gesicht. Der Gaukler hatte ihm das Leben gerettet und vielleicht noch mehr. Ein Blasser war darin verwickelt gewesen. Deshalb war Thoms rechtes Bein nun nicht mehr in Ordnung und er hinkte. Es kann auf einem Schiff nicht soviel Wein geben, daß er die ganze Zeit über betrunken bleibt. »Ich gehe nach Caemlyn, Thom. Wenn du schon dein närrisches Leben für irgendwas riskieren willst, warum kommst du dann nicht mit?«
»Caemlyn?« fragte Thom nachdenklich.
»Caemlyn, Thom. Elaida wird früher oder später auch dorthin zurückkehren, also mußt du dir auch über sie Gedanken machen. Und meiner Erinnerung nach würdest du dir wünschen, daß Elaida dich gefangen hätte, falls dich Morgase in die Hände bekommt.«
»Caemlyn. Ja, Caemlyn paßt bestens zu meiner Stimmung.« Der Gaukler erblickte erst jetzt den Teller mit den Hähnchenknochen und fuhr zusammen. »Was hast du gemacht, Junge? Hast du sie dir in den Ärmel gestopft?« Von den drei Vögeln waren nur noch Knochen und Gerippe übrig, an denen ein paar verlorene Fetzen Fleisch hingen.
»Manchmal habe ich ziemlichen Hunger«, murmelte Mat. Es kostete ihn Mühe, sich nicht die Finger abzulecken. »Kommst du nun mit oder nicht?«
»Ach, ich komme schon mit, Junge.« Thom stand mühsam auf, aber er schien trotzdem nicht so unsicher auf den Beinen wie vorher. »Warte hier und versuche, nicht auch noch den Tisch anzufressen, während ich meine Sachen hole und auf Wiedersehen sage.« Er hinkte fort, kam aber nicht ein einziges Mal mehr ins Stolpern.
Mat trank ein wenig Wein und säuberte die Hähnchenknochen von dem letzten übriggebliebenen Fleisch. Er fragte sich, ob er noch eines bestellen solle, aber Thom kam bereits zurück. Auf seinem Rücken hingen seine Harfe und Flöte in ihren dunklen Lederbehältern neben einer Deckenrolle. Er trug einen einfachen Wanderstock, der genauso lang war wie Thom selbst. Die beiden Serviererinnen kamen mit, jede an einer Seite. Mat war sicher, daß sie Schwestern waren. Die gleichen braunen Augen blickten mit dem gleichen Blick zu dem Gaukler auf. Thom küßte erst Saal und dann Mada. Er tätschelte ihre Wangen, während er bereits zur Tür unterwegs war und Mat mit einem Kopfrucken bedeutete, ihm zu folgen. Er war schon draußen, als Mat seine eigenen Sachen über der Schulter hatte und seinen Bauernspieß in die Hand nahm.
Die jüngere der beiden Frauen — Saal — hielt Mat an, als er die Tür erreichte. »Was Ihr ihm auch gesagt habt, ich werde Euch das mit dem Wein vergeben, obwohl Ihr ihn mit Euch fortnehmt. Ich habe ihn wochenlang nicht mehr so lebhaft erlebt.« Sie drückte ihm etwas in die Hand, und als er nachschaute, riß er die Augen verwirrt auf. Sie hatte ihm eine Silbermark mit der Prägemarke von Tar Valon gegeben. »Für das, was Ihr ihm gesagt habt. Außerdem, wer immer Euch mit Essen versorgt, kümmert sich nicht genug um Euch. Aber Ihr habt trotzdem hübsche Augen.« Sie lachte über seinen verblüfften Gesichtsausdruck.
Mat mußte unwillkürlich auch lachen, als er auf die Straße trat und mit der Silbermünze in der Hand spielte. So, hübsche Augen habe ich also? Sein Lachen verging wie der letzte Tropfen in einem Weinfaß: Thom war da, aber die Leiche nicht. Aus den Fenstern der Tavernen weiter unten an der Straße fiel genug Licht auf die Pflastersteine, um ganz sicherzugehen. Die Stadtwache würde keine Leiche wegtragen, ohne Fragen zu stellen. Sie hätten bestimmt die Gäste der Tavernen und auch der ›Frau aus Tanchico‹ befragt.
»Was guckst du so, Junge?« fragte Thom. »Es sind keine Trollocs hier in diesem Schatten verborgen.«
»Straßenräuber«, murmelte Mat. »Ich dachte an Straßenräuber.«
»In Tar Valon gibt es auch keine Straßenräuber oder Schläger, Junge. Wenn die Wache einen Räuber festnimmt — und es gibt nicht viele, die das hier überhaupt versuchen, denn Gerüchte verbreiten sich schnell —, dann schleift sie ihn zur Burg, und was die Aes Sedai auch mit ihm machen, jedenfalls verläßt er am nächsten Tag Tar Valon wieder mit den unschuldigen Augen einer Jungfrau. Wie ich hörte, behandeln sie eine Frau noch härter, wenn sie beim Klauen erwischt wird. Nein, die einzige Art, hier sein Geld loszuwerden, ist, wenn man poliertes Messing als Gold kauft oder wenn einer gezinkte Würfel verwendet. Straßenräuber gibt es hier nicht.«
Mat drehte sich auf der Stelle um und ging an Thom vorbei in Richtung Hafen los. Sein Bauernspieß knallte auf die Pflastersteine, als könne er sich damit noch abstoßen und schneller laufen. »Wir werden das erste Schiff nehmen, das den Hafen verläßt. Das erste, Thom!«
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