Ein erneutes Krachen lief durch das Räderwerk. Eichenholzzapfen griffen ineinander.
Der riesige Hammerkopf hob sich dem Abendhimmel entgegen.
Wie gebannt starrte Falrach auf die zierliche Hand, die auf dem schwarzen Amboss lag. Die Finger waren gespreizt.
Der Hammer sauste nieder.
Schwer dröhnte der Hammerschlag über den Kanal.
Falrach hatte die Augen zusammengekniffen. Als er sie wieder öffnete, hob sich der Hammerkopf erneut dem Himmel entgegen. Ein einzelner Bluttropfen löste sich von dem schwarzen Metall und fiel hinab. Er streifte Emerelles Wange und hinterließ eine dünne rote Linie auf der marmorbleichen Haut. Sie sah zum Himmel auf. Ihre Augen waren weit aufgerissen. Kein Schmerzenslaut kam über ihre Lippen.
»Du musst ihr die Hand abtrennen«, sagte Dalmag. Sein Tonfall war sachlich, doch ein hämischer Unterton begleitete sie. »Ihre Hand wird nie mehr heilen. Wenn man sie nicht sauber abschneidet, wird die Wunde brandig. Dann ist sie in einer Woche tot.«
Falrach zwang sich, auf den Amboss zu blicken. Der Kobold hatte Recht. Keine Magie Albenmarks könnte das heilen. Er rang nach Luft.
»Wenn du es nicht tust, dann wird es niemand tun. Wir können auch einfach einen Lappen darum wickeln. Übrigens, dies ist der Ort, an dem du morgen sterben wirst.
Sieh dir ihre Hand gut an. Das machen wir mit deinen Armen und Beinen.« Dalmag gab dem Troll einen Wink, der Falrach gepackt hielt. »Lass ihn los. Hast du schon einmal eine brandige Wunde gerochen? Sonst stinkt ihr Elfen ja nie. Glaubst du, auch Wundbrand wird bei euch von Wohlgerüchen begleitet?«
Der Troll setzte ihn tatsächlich ab. Falrach atmete tief durch. Er hielt den Blick fest auf das Schwert gerichtet. Feine Schneeflocken streichelten über sein Gesicht. Die Sonne war hinter den steilen Dächern der Stadt verschwunden. Die Glut der Kohlen tauchte die ausgebrannte Schmiede in unstetes, rotes Licht, das geisterhafte Schatten zwischen dem Gerippe verkohlter Dachbalken tanzen ließ.
»Denk nicht einmal daran«, sagte Dalmag hinter ihm. »Ich habe einige Armbrustschützen in der Ruine. Deine Vorführung in der Halle war sehr eindrucksvoll. Glaubst du, du wirst das auch schaffen, wenn sieben Schützen gleichzeitig auf dich schießen?«
Hätte Ollowain es geschafft? Falrach wusste ganz sicher, dass er dies nicht vermochte.
Und er wagte es nicht, sich dem, was Ollowain aus diesem Körper erschaffen hatte, erneut anzuvertrauen. Nicht, wenn er bei klaren Verstand war! Im Gerichtssaal hatte ihn sein Zorn übermannt. Jetzt hieß es, einen kühlen Kopf zu bewahren.
Er trat vor den eisernen Korb. Funken stoben dem Nachthimmel entgegen, als er das Schwert langsam aus der Glut zog. Der Griff der Waffe war so heiß geworden, dass man ihn kaum halten konnte.
Er trat an die Seite der gescheiterten Königin. Mit wie viel Hoffnungen war er mit Emerelle in die Snaiwamark gereist! Er hatte geglaubt, die Liebe, die vor Jahrhunderten sein Tod beendet hatte, könne einfach wiedererstehen. Das war nicht geschehen, und nun stand er vor ihr, um ihr die Hand abzutrennen.
Schneeflocken zischten auf der glühenden Klinge.
Emerelle sah zu ihm auf. Sie nickte kaum merklich.
Falrach atmete schwer aus. Er zwang sich, auf das zu blicken, was von der Hand geblieben war, die ihn einst liebkost hatte. Handteller und Finger waren verschwunden.
Ein rotglühender Bogen schnitt durch die Nacht. Fleisch und Knochen leisteten der Klinge kaum Widerstand.
»Heb das Schwert hoch«, stieß Emerelle gepresst hervor.
Er gehorchte verwundert.
Die Königin erhob sich. Sie sah ihm fest in die Augen. Dunkles Blut schoss in pulsierenden Stößen aus der schrecklichen Wunde. Sie hob den Armstumpf seinem Schwert entgegen und presste die Wunde auf das glühende Metall.
Ihr Mund öffnete sich zu einem stummen Schrei. Dann sank sie in seine Arme. Das Schwert entglitt seiner Hand. Zischend fiel es in den Schnee.
»Ich gratuliere dir, Elf. Du gibst einen guten Scharfrichter ab«, sagte Dalmag. »Ich bin wirklich neugierig, wie wacker du dich schlagen wirst, wenn du morgen die Seiten wechselst. Sie hat gar nicht geschrien, deine Buhle. Ist sie genauso kalt, wenn ihr euch liebt?«
Falrach angelte mit dem Fuß nach dem Schwert, das vor ihm lag.
Sofort wich Dalmag zurück. »Du denkst an die Arm brustschützen, tapferer Elfenritter? Wahrscheinlich würden sie euch beide treffen.«
Voller hilfloser Wut gab Falrach auf. Widerstand war zwecklos. Der Kobold hatte Recht. Jedes Aufbäumen würde ihr Schicksal nur noch schneller besiegeln.
»Der Kerl ist mir wieder zu munter«, sagte Dalmag mürrisch und winkte den beiden Trollen, die den Eisenkorb getragen hatten. »Verprügelt ihn ein bisschen. Aber schlagt nicht so fest zu, dass wir morgen keinen Spaß mehr mit ihm haben. Er soll noch zappeln, wenn wir ihn auf den Amboss legen.«
Er erwachte, weil ihm heiß war. Benommen blinzelte er. Dunkelheit umfing ihn. Da war ein matter, roter Schimmer ... Die Erinnerung war wie ein Sturz in kaltes Wasser.
Emerelle. Er hatte ihren Namen auf der Zunge, und doch wollte er nicht über seine Lippen kommen. Etwas stimmte nicht!
Seine Augen gewöhnten sich rasch an die Dunkelheit. Der Schnee draußen warf das Mondlicht zurück und sandte ein blasses, geisterhaftes Licht durch das Kerkerfenster.
Schwarz zeichneten sich die Eisenstangen gegen den Nachthimmel ab. Seine Hände brannten von den verzweifelten Versuchen, eine der Gitterstangen zu lösen. Wie lange mochte es bis zum Morgen dauern? Wie viele Atemzüge maß ihr Leben noch?
Wasser rann durch das vergitterte Loch. Ein dünnes Rinnsal. Neben seinem Knie hatte sich eine Pfütze auf dem lehmigen Kerkerboden gebildet.
Erneut wurde er sich der widernatürlichen Hitze bewusst. Seine Kleidung klebte schweißnass an seinem Leib. Mitten im Winter! In einer Stadt, in der es in dieser Jahreszeit so kalt werden konnte, dass die Vögel im Flug erfroren.
Er konnte Emerelle nur aus den Augenwinkeln sehen. Sie war aufgewacht und kauerte an der Wand der Zelle. Stumm wiegte sie sich. Ihre Linke umklammerte den Armstumpf dicht über der abgetrennten Hand.
Ein unstetes, rotes Licht umspielte die grässliche Wunde. Es wirkte wie ein Nebel aus feinsten Bluttröpfchen. Kein Schmerzenslaut kam über die Lippen der Königin.
Er hätte aufstehen sollen. Doch etwas hielt ihn zurück ... Olowains Körper war ein Hohn. Nie zuvor war er Hitze und Kälte ausgeliefert gewesen. Ein einziges Wort der Macht hatte genügt, solch Unbill zu bannen.
Falrach fühlte sich schmutzig durch den Schweiß. Ein leicht säuerlicher Geruch haftete ihm an. Doch mit dem Verlust war auch Neues gekommen. Ollowain hatte andere Gaben. Noch waren sie Falrach fremd, zu verschieden waren sie von seinem früheren Leben. Er musste sich Ollowains Vergangenheit stellen, um sie zu ergründen.
Nur einer dieser besonderen Fähigkeiten war er sich bis jetzt bewusst, er spürte sie in diesem Augenblick. Eine innere Spannung, die all seine Sinne schärfte. Ollowain hatte ein geradezu animalisches Gespür für Gefahr. Einen Sinn, der dem kultivierten Elfenvolk der Normirga längst verlorengegangen war.
Er spürte es in genau diesem Augenblick. Es war Emerelle. Er sollte sie nicht ansehen.
Obwohl er ahnte, dass sie gerade das wollte. Etwas geschah mit dem Stumpf. Sie stöhnte.
Es hatte schon früher Gerüchte um sie gegeben. Damals hatte er es als böswilliges Gerede abgetan. Aber jetzt ... Lag es an dem rötlichen Licht? An dem Schmerz, den sie litt? Ihr Antlitz wirkte fremd ... Schatten wogten über die Wände des Kerkers. Formen, die nicht allein mit dem Spiel des seltsamen Lichts zu erklären waren.
Eine plötzliche Bö fegte über die Dächer der Stadt. Holzschindeln klapperten. Ein Fensterladen schlug irgendwo im Dunkel der Nacht. Und der Wind trug eine Stimme herbei. Heiser. Fremd. Laute, die eine Elfenzunge nicht einmal mit Hilfe der Magie zu formen vermochte.
Читать дальше