Draußen warteten schon die Pferde; es war gerade hell geworden.
»Captain, ich möchte, dass Ihr mit Euren Leuten so schnell wie möglich zu General Reibisch zurückkehrt.«
»Und die Dominie Dirtch? Den Berichten über die anderischen Gardetruppen zufolge könnte es möglicherweise Ärger geben. Werden wir die Dominie Dirtch unbehelligt passieren können?«
»Nein. Den Berichten entnehme ich, dass es sich bei diesen Gardetruppen vermutlich um Soldaten der Imperialen Ordnung handelt. Außerdem nehme ich an, dass sie die Dominie Dirtch einnehmen, um Reibisch in Schach zu halten.
Von diesem Augenblick an müsst Ihr davon ausgehen, dass Ihr Euch auf feindlichem Territorium befindet. Ihr habt Befehl, zu fliehen. Sollte jemand Euch daran hindern wollen, tötet ihn und marschiert weiter. Sollte die Imperiale Ordnung, wie ich vermute, die Dominie Dirtch einnehmen, können wir uns eine daraus resultierende Schwäche zu Nutze machen – sie werden zu weit verstreut sein, um Euch starken Widerstand zu leisten.
Geht davon aus, dass Truppen der Imperialen Ordnung die Dominie Dirtch besetzt halten. Zieht Eure Streitkräfte zu einem Kavallerieangriff zusammen und durchbrecht ihre Linie. Da sie die Dominie Dirtch unter ihrer Kontrolle haben und glauben, sie können Euch töten, sobald ihr vorüber seid, werden sie wahrscheinlich keinen großen Widerstand leisten.«
Der Mann machte ein besorgtes Gesicht. »Dann – glaubt Ihr also, die steinernen Waffen bis dahin ausgeschaltet zu haben, Lord Rahl? Ihr werdet ihre Magie abwehren?«
»Ich hoffe es, aber vielleicht gelingt es mir nicht. Ich möchte, dass Ihr Euch und Euren Männern für alle Fälle die Ohren mit Wachs und Watte oder Stoff verstopft. Stopft sie fest zu, damit Ihr nichts hören könnt, bis Ihr den Horizont hinter Euch gelassen habt.«
»Ihr glaubt, das wird uns schützen?«
»Ja.«
Richard glaubte zu verstehen, wie die Dominie Dirtch funktionierten. Nachdem Du Chaillu ertrunken war, hatte sie ihnen erzählt, sie habe das Klingen der Chimären des Todes vernommen. Joseph Ander musste nach einer Möglichkeit gesucht haben, die tödliche Kraft der Chimären zu beherrschen und auf ein Ziel zu richten. Die Antwort hatte er ihnen durch das gegeben, was er erschaffen hatte.
»Die Dominie Dirtch sind Glocken. Und das gewiss nicht ohne Grund: Man soll sie hören. Wenn Ihr sie nicht hören könnt, wird Euch nichts zustoßen.«
Der Captain räusperte sich. »Ich möchte Euer Wissen über Dinge der Magie nicht in Frage stellen, Lord Rahl, aber kann eine Waffe von solch zerstörerischer Kraft so leicht ausgeschaltet werden?«
»Es wäre meines Wissens nicht das erste Mal. Ich vermute, die Hakenier, die einst hier eingefallen sind, waren ebenfalls dahintergekommen und haben sie deshalb passieren können.«
»Aber, Lord Rahl…«
»Captain, ich bin die Magie gegen die Magie. Vertraut mir, es wird funktionieren. Ich vertraue darauf, dass Ihr der Stahl seid, also überlasst mir die Magie.«
»Jawohl, Lord Rahl.«
»Sobald Ihr sie hinter Euch gelassen habt, haltet Ihr auf General Reibisch zu. Das ist wichtig. Richtet ihm aus, ich möchte, dass er sich zurückzieht.«
»Was? Jetzt kennt Ihr einen Weg, die Dominie Dirtch zu passieren, und wollt nicht, dass er ihn benutzt?«
»Die Dominie Dirtch werden zerstört werden. Ich kann sie unmöglich für Jagang stehen lassen, damit er sich hinter ihnen verschanzt, aber ich möchte auch nicht, dass Truppen von uns hierher marschieren. Jagang kommt unter anderem auch deshalb hierher, weil er Lebensmittel für seine Armee benötigt. Ich hoffe, einen Teil dieser Lebensmittel ungenießbar zu machen.
Teilt dem General mit, meine Befehle an ihn lauten, die Verbindungswege hinauf in die Midlands zu sichern. Hier draußen in der Ebene hat er gegen die Übermacht der Imperialen Ordnung keine Chance. Seine Chance, Jagangs Vormarsch in den Rest der Midlands aufzuhalten, wird umso größer sein, wenn unsere Streitkräfte auf ihre Weise kämpfen und nicht auf die Jagangs.«
»Jawohl, Sir. Ein kluger Rat.«
»Das will ich hoffen, er stammt von General Reibisch selbst. Darüber hinaus hoffe ich, die Truppen der Imperialen Ordnung dezimieren zu können. Teilt ihm mit, er soll tun, was er für richtig hält.«
»Und Ihr, Lord Rahl? Wo wird er Euch finden?«
»Richtet ihm aus, er soll sich um seine Männer kümmern, nicht um mich. Ich weiß – nicht genau, wo ich sein werde. Reibisch wird wissen, was zu tun ist. Deswegen hat man ihn schließlich zum General gemacht. In soldatischen Dingen kennt er sich mit Sicherheit besser aus als ich.«
»Ganz recht, Sir. Der General ist ein guter Mann.«
Richard hob zur Betonung einen Finger. »Dies ist wichtig. Ich will, dass Ihr diesen Befehl befolgt, und ich will, dass Reibisch ihn befolgt.
Das Volk von Anderith hat sich entschieden. Ich möchte nicht, dass auch nur einer Eurer Männer eine Waffe hebt, um diese Menschen zu beschützen. Ich möchte nicht, dass Eure Männer ihr Blut für diese Menschen vergießen müssen. Habt Ihr verstanden? Nicht einer!«
Das Blut wich aus dem Gesicht des Captains. Er wich einen halben Schritt zurück.
»Keinen einzigen Tropfen unseres Blutes«, wiederholte Richard mit Nachdruck.
»In Ordnung, Sir. Ich werde dem General exakt Eure Worte übermitteln.«
»Meine Befehle.« Richard stieg in den Sattel. »Ich meine es ernst. Ihr alle seid gute Männer, Captain Meiffert. Eines Tages sollt Ihr wieder zu Euren Familien nach Hause zurückkehren können – und nicht für nichts Euer Leben lassen.«
Der Captain salutierte mit einem Faustschlag auf sein Herz. »Das ist unsere aufrichtige Hoffnung, Lord Rahl.«
Richard erwiderte den Gruß, dann ließ er sein Pferd ein letztes Mal aus dem Lager traben und machte sich auf den Weg, seine letzte Pflicht zu erfüllen.
»Ich bin zurück, Liebling«, rief Dalton Richtung Schlafzimmer.
Er hatte eine Flasche Wein nach oben geschickt, zusammen mit einer Portion von Teresas Lieblingsgericht, geröstetem Jungkaninchen in Rotweinsauce. Mr. Drummond war höchst erfreut, seinen Posten behalten zu können, indem er dieser ungewöhnlichen Bitte nachkam.
Überall im Zimmer brannten Duftkerzen, die Vorhänge waren vorgezogen und das gesamte Personal fortgeschickt worden.
Herr und Herrin wünschten ungestört zu sein.
Teresa hieß ihn an der Schlafzimmertür mit einem Glas Wein und einem Lächeln willkommen. »Oh, mein Geliebter, ich bin so froh, dass du heute Abend früh nach Hause kommen konntest. Ich habe mich den ganzen Tag so sehr darauf gefreut.«
»Genau wie ich«, erwiderte er mit seinem strahlendsten Lächeln.
Sie sah ihn schelmisch an. »Wie ich mich darauf freue, dir zu beweisen, dass ich dich über alles liebe, und mich für dein Verständnis zu bedanken, das du für meine Pflichten dem Herrscher gegenüber aufbringst.«
Dalton streifte ihr das seidene Abendkleid von den Schultern und küsste ihre nackte Haut. Sie kicherte, als er sich mit seinen Küssen ihren Hals hinaufarbeitete. Sie unternahm einen nicht ganz ernst gemeinten Versuch, seine Annäherungsversuche abzuwehren.
Sie schob ihren Kopf an sein Gesicht heran. »Dalton, möchtest du nicht etwas Wein?«
»Ich will dich«, erwiderte er in vertraulichem Schnurren. »Es ist schon viel zu lange her.«
»Oh, Dalton, ich weiß. Ich habe mich so nach dir gesehnt.«
»Dann beweis es mir«, neckte er sie.
Abermals versuchte sie, sich kichernd seiner unablässigen Küsse zu erwehren.
»Du liebe Güte, was ist nur in dich gefahren, Dalton?« Sie stöhnte. »Was immer es ist, es gefällt mir.«
»Ich habe mir morgen auch noch freigenommen. Ich will dich heute Nacht lieben, und morgen den ganzen Tag.«
Sie erwiderte seine Vertraulichkeiten, als er sie zu dem riesigen Bett mit den Pfosten aus geschlagenem Eisen geleitete, die aussahen wie die Säulen vor dem Büro für Kulturelle Zusammenarbeit, jenem Bett, das wie alles andere in diesen prachtvollen Gemächern dem Minister für Kultur gehörte.
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