Die Ordensbrüder wurden von Panik ergriffen, ebenso wie die Beamten auf dem rückwärtigen Teil des Platzes und auch die paar tausend bewaffneten Gardisten.
Richard hatte es auf Bruder Narev abgesehen. Stattdessen sah er, wie bewaffnete Soldaten in seine Richtung gestürmt kamen. Richard holte aus und versenkte den Kopf des Vorschlaghammers in der Brust eines Mannes, der sich mit erhobenem Schwert auf ihn stürzen wollte. Als der Mann, den Griff des Vorschlaghammers in der Brust, vorübersegelte, riss Richard ihm das Schwert aus der Faust und gab, die Klinge in der Hand, jegliche Zurückhaltung auf.
Eine kleine Gruppe von Gardisten hielt es für angebracht, die Ordensbrüder zu beschützen. Richard warf sich mitten unter sie und traf mit jedem Hieb. Jeder Hieb oder Stoß ließ einen Soldaten niedersinken.
Aber es waren nicht die Gardisten, denen Richards Hauptinteresse galt. Wenn er schon alles verlieren würde, dann wollte er zum Ausgleich wenigstens Bruder Narevs Kopf. Als er sich durch das Chaos der auf den Platz stürmenden Menschen wühlte, war Bruder Narev nirgends zu entdecken.
Victor löste sich aus dem Handgemenge, einen Ordensbruder an den Haaren zerrend. Der stämmige Schmied hatte eine so finstere Miene aufgesetzt, dass man Eisen damit hätte biegen können. Der Ordensbruder verdrehte die Augen, als wäre er auf den Kopf geschlagen worden und hätte Mühe, wieder zur Besinnung zu kommen.
»Richard!«, brüllte Victor.
Die Männer, von denen einige noch immer das braune Gewand des Bruders gepackt hielten, stürzten jetzt von allen Seiten auf Richard zu, einen zehn oder fünfzehn Mann starken Schutzring um ihn herum bildend.
»Was sollen wir mit ihm machen?«, wollte einer von ihnen wissen.
Richard erfasste die Menschen um ihn herum mit einem schnellen Blick. Er sah Arbeiter, die er von der Baustelle her kannte: Priska war unter ihnen, auch Ishaq.
»Wieso fragt ihr mich? Das ist eure Revolte.« Er blickte den Männern herausfordernd in die Augen. »Was meint ihr, solltet ihr mit ihm machen?«
»Sag du es uns, Richard«, rief einer der Bildhauer.
Richard schüttelte den Kopf. »Nein. Ihr werdet mir jetzt sagen, was ihr mit ihm zu tun beabsichtigt. Aber eins solltet ihr wissen: Dieser Mann ist ein Zauberer. Wenn er wieder zu sich kommt, wird er anfangen, Menschen umzubringen. Dies ist eine Frage auf Leben und Tod, und er weiß das. Wisst Ihr es auch? Ist euch das wirklich vollkommen klar? Hier geht es um euer Leben. Ihr müsst entscheiden, was ihr tun wollt, nicht ich.«
»Diesmal wollen wir dich auf unserer Seite haben, Richard«, rief Priska. »Aber wenn du dich uns immer noch nicht anschließen möchtest, dann werden wir uns unser Leben zurückholen und diese Revolte durchführen – auch ohne dich. Genau so wird es geschehen!«
Mit den geballten Fäusten drohend, pflichteten ihm die Männer lautstark bei.
Victor zog den benommenen Ordensbruder an seine Brust und verdrehte ihm mit einem Ruck den Kopf, bis sein Genick brach. Der erschlaffte Körper glitt zu Boden.
»Und das ist es, was wir mit denen hier zu tun beabsichtigen«, erklärte Victor.
Richard reichte ihm lächelnd die Hand. »Ich bin stets erfreut, einem freien Mann zu begegnen.« Sie fassten sich bei den Unterarmen, und Richard sah Victor in die Augen. »Ich bin Richard Rahl.«
Erst blinzelte Victor fassungslos, dann folgte sein dröhnendes, aus dem Bauch kommendes Lachen. Mit seiner freien Hand versetzte er Richard einen Klaps gegen die Schulter.
»Aber klar doch! Wir alle sind er. Einen Augenblick hattest du mich fast reingelegt, Richard. Ehrlich.«
Das Geschiebe der Menge drängte sie zurück, hinüber zu den Säulen. Richard langte nach unten, packte das Gewand des toten Ordensbruders und schleifte die Leiche mit. Die Ansammlung aus sich hoch auftürmenden Mauern und Marmorsäulen bot einen gewissen Schutz vor dem Ansturm der tobenden Masse.
Der Boden erzitterte. Eine Explosion aus dem Inneren des Palastes sprengte ein Loch in die Mauer, ein Lichtblitz zerriss die Dunkelheit, Steinsplitter segelten pfeifend durch die Luft. Dutzende blutüberströmter Menschen wurden zurückgeschleudert.
»Was war das?«, rief Victor über den Lärm aus Schreien und Gebrüll und dem Getöse der Explosion hinweg.
Die Gefahr ignorierend, setzte die Menge ihren Ansturm gegen die Männer fort, die sie zu Sklaven gemacht hatten. Scharen von Menschen drängten sich um die Stelle, wo die Statue gestanden hatte, und sammelten Marmortrümmer auf. Erst legten sie ihre Finger an die Lippen, dann ihre Finger auf die Worte auf der Rückseite des umgestürzten Bronzerings. Sie trafen damit eine Entscheidung für das Leben.
Horden von Menschen hatten mehrere Ordensbrüder und Beamte gefangen genommen und waren dabei, sie mit weißen Marmorbrocken aus den Trümmern der Statue zu lynchen.
»Bruder Narev ist ein Hexenmeister«, gab Richard zu bedenken. »Du musst einige dieser Männer organisieren und diesen Mob unter Kontrolle bringen. Narev ist im Stande, mächtige Magie einzusetzen. Ich finde es lobenswert, dass die Menschen ihrem Drang nach Freiheit nachgeben, aber wenn wir das hier nicht unter Kontrolle bekommen, werden wir mit ansehen müssen, wie eine große Zahl von ihnen verwundet oder getötet wird.«
»Verstehe«, sagte Victor, der Mühe hatte, nicht fortgerissen zu werden.
Eine Anzahl von Männern, die sich um Richard geschart hatten, um ihn zu beschützen, bekam seine Worte mit und pflichtete ihm nickend bei. Kommandos, sich zu organisieren, gingen durch die Menge. Die Menschen wollten mit aller Macht den Erfolg. Sie waren bereit, alles für das Erreichen ihres Zieles zu geben, und sahen den Sinn der Befehle ein, die jetzt immer häufiger laut wurden. Viele dieser Männer waren den Umgang mit großen Gruppen von Arbeitern gewohnt und wussten, wie man Menschen organisierte.
Richard begann dem toten Ordensbruder das Gewand auszuziehen. »Ihr Männer müsst verhindern, dass die Leute bis in den Palast vordringen. Narev hockt dort drinnen. Wer dort eindringt, kann leicht getötet werden. Ihr müsst dafür sorgen, dass die Leute draußen bleiben. Solange die Brüder sich dort drinnen befinden, ist das eine tödliche Falle.«
»Verstehe«, sagte Victor.
»Wir werden sie zurückhalten«, riefen ein paar Männer Richard zu.
Als Richard sich das Gewand des toten Bruders über den Kopf streifte, fasste Victor ihn am Arm. »Was tust du?«
Richard steckte den Kopf durch die Halsöffnung. »Ich werde hineingehen. Narev wird mich im Dunkeln für einen Ordensbruder halten, ich werde also ganz nahe an ihn herankommen können.« Er stieß das beschlagnahmte Schwert durch das Gewand, um die Klinge zu verstecken; das Heft verbarg er unter seinem Handgelenk. »Haltet die Leute draußen – Narev gebietet über mächtige Magie. Ich muss ihn aufhalten.«
»Gib auf dich Acht«, sagte Victor.
Die Männer, die das Kommando übernommen hatten, begannen auszuschwärmen und bedrängten die Menschen, ihren Befehlen Folge zu leisten. Die Ersten taten es, und als sie es taten, folgten andere ihrem Beispiel. Da sämtliche Beamte, die sie gefangen genommen hatten, mittlerweile tot waren, ließ sich der Mob allmählich in die Pflicht nehmen, und das keinen Augenblick zu früh. Der ungeheure Druck der auf den Vorplatz strömenden Massen war eine Gefahr für alle.
Weinende Menschen hoben im Vorübergehen Marmorbrocken von der Statue auf und drückten diese Zeichen der Freiheit und Schönheit an ihre Brust, während sie weitergingen, damit andere es ihnen gleichtun konnten. Dies waren Menschen, denen sich eine Chance auf das Leben geboten hatte, und sie hatten zugegriffen, sie hatten sich bewiesen.
Victor sah, was sie taten. »Es tut mir so Leid, Richard…«
Eine gewaltige Feuerexplosion fegte über den Platz hinweg und streckte weit über hundert Menschen nieder. Sie war so heftig, dass die Körper zerrissen wurden. Eine riesige Steinsäule kippte um und zerschmetterte die Menschen, die wegen des Geschiebes in der Menge nicht hatten ausweichen können.
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