Der Mann schwieg abwartend, so als hätte er Angst, als Erster das Wort zu ergreifen.
»Du scheinst zu meinen Freunden zu wollen.« Richard deutete mit dem Kopf zu der feinen Fahne goldfarbenen Staubes hin, der, einem weithin sichtbaren Zeichen gleich, im Sonnenlicht über der bereits dunkel werdenden Ebene stand. Er wollte ihm Gelegenheit geben, sich zu erklären.
Der Fremde, die Augen aufgerissen, die Schultern ängstlich hochgezogen, strich sich mehrfach nervös das Haar aus dem Gesicht. Richard stand vor ihm wie eine Säule aus Stein und versperrte ihm den Weg. Die blauen Augen des Fremden zuckten nach rechts und links, offenbar auf der Suche nach einem Fluchtweg, für den Fall, daß er beschloß, Reißaus zu nehmen.
»Ich tue dir nichts«, sagte Richard. »Ich will lediglich wissen, was du vorhast.«
»Was ich vorhabe?«
»Warum du zu dem Wagen dort drüben willst.«
Er blickte in die Richtung des Wagens, der im Augenblick hinter den schroffen Gesteinsfalten nicht zu sehen war, ehe sein Blick an Richards Schwert entlang und schließlich zu dessen Augen wanderte.
»Ich bin ... auf der Suche nach Hilfe«, erklärte er schließlich.
»Hilfe?«
Er nickte. »Ganz recht. Ich bin auf der Suche nach einem Mann, dessen Handwerk das Kämpfen ist.«
Fragend legte Richard den Kopf auf die Seite. »Demnach suchst du so etwas wie einen Soldaten?«
Schweigen.
Richard zuckte die Schultern. »Bei der Imperialen Ordnung gibt es jede Menge Soldaten. Wenn du weitersuchst, wirst du ohne Zweifel einigen von ihnen begegnen.«
Der Fremde schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin auf der Suche nach dem Mann, der von weit her gekommen ist – aus dem hohen Norden. Dem Mann, der meinem unterdrückten Volk in der Alten Welt die Freiheit bringen und unser aller Hoffnung erfüllen wird, daß die Imperiale Ordnung – der Schöpfer möge ihnen ihre Irrwege verzeihen – aus unserem Leben vertrieben wird, damit wir wieder in Frieden leben können.«
»Tut mir leid«, sagte Richard. »Ein solcher Mann ist mir nicht bekannt.«
Der Fremde schien über Richards Worte nicht enttäuscht zu sein; er schien sie vielmehr ganz einfach nicht zu glauben. Seine feingeschnittenen Gesichtszüge drückten eher Freude aus, auch wenn er nach wie vor nicht überzeugt wirkte.
»Meint Ihr, Ihr könntet«- zögernd streckte er seinen Arm vor und deutete auf den Wasserschlauch -»mir wenigstens einen Schluck zu trinken geben?«
Richard entspannte sich ein wenig. »Selbstverständlich.«
Er streifte den Riemen von der Schulter und warf dem Fremden den Wasserschlauch zu, der ihn auffing, als wäre er aus kostbarem Glas. Er zerrte an dem Verschluß, bis er ihn endlich heraus hatte, und begann, das Wasser in gierigen Schlucken hinunterzustürzen.
Unvermittelt hielt er inne und setzte den Wasserschlauch ab. »Entschuldigt. Ich hatte nicht die Absicht, Euch das ganze Wasser wegzutrinken.«
»Schon gut.« Richard bedeutete ihm, auszutrinken. »Auf dem Wagen habe ich noch mehr. Du siehst aus, als könntest du es gebrauchen.«
Als Richard darauf seine Daumen hinter seinen Gürtel hakte, bedankte sich der Fremde mit einem Nicken und setzte den Wasserschlauch erneut zu einem langen Zug an.
»Wo hast du von diesem Mann, diesem Freiheitskämpfer; gehört?«
Der Fremde setzte den Wasserschlauch wieder ab und legte, ohne Richard auch nur einen Moment lang aus den Augen zu lassen, eine Pause ein, um Luft zu holen. »Man erzählt sich überall von ihm. Die Freiheit, die er hier in der Alten Welt errungen hat, hat uns allen wieder Hoffnung gegeben.«
Richard lächelte angesichts der Tatsache, daß selbst an einem so finsteren Ort wie dem Herzen der Alten Welt die leuchtende Hoffnung auf Freiheit offensichtlich noch nicht gänzlich erloschen war. Offenbar sehnten sich die Menschen überall nach denselben Dingen, nach der Gelegenheit auf ein Leben in Freiheit und der Möglichkeit, sich aus eigener Kraft emporzuarbeiten.
Über ihnen tauchte urplötzlich eine Riesenkrähe auf, die mit weit gespreizten Schwingen über das freie Stück Himmel zwischen den Felshängen zu beiden Seiten glitt. Richard hatte seinen Bogen nicht mitgenommen, aber die Riesenkrähe blieb ohnehin außer Reichweite.
Der Anblick der Riesenkrähe ließ den Fremden zurückschrecken, wie ein Kaninchen, das einen Falken erblickt.
»Tut mir leid, daß ich dir nicht weiterhelfen kann«, sagte Richard, als die Riesenkrähe wieder verschwunden war. Er warf einen prüfenden Blick hinter sich, wo sich, jenseits des nahen Hügels, der Wagen befinden mußte. »Ich bin mit meiner Frau und meiner Familie auf der Suche nach Arbeit – und nach einem Ort, wo wir uns nicht um die Angelegenheiten anderer kümmern müssen.«
»Aber Lord Rahl, mein Volk braucht dringend ...«
Richard fuhr herum. »Was fällt dir ein, mich so zu nennen?«
»Ich ... verzeiht.« Er schluckte trocken. »Ich hatte nicht die Absicht, Euren Zorn zu erregen.«
»Wie kommst du darauf, ich sei dieser Lord Rahl?«
Er machte eine hilflos verlegene Handbewegung, während er stammelnd nach Worten suchte. »Nun, weil Ihr ... weil Ihr es einfach seid. Ich wüßte nicht, wie ich es sonst ausdrücken könnte. Es tut mir leid, wenn ich Euch mit meiner Dreistigkeit beleidigt haben sollte, Lord Rahl.«
Mit einem energischen Schritt trat Cara hinter einer Felssäule hervor.
»Was geht hier vor?«
Dem Fremden blieb vor Überraschung die Luft weg, als er sie plötzlich vor sich stehen sah, er trat noch einen weiteren Schritt zurück und hielt den Wasserschlauch gegen seine Brust gepreßt, als wäre er ein Schild aus Stahl.
Tom, das silberne Messer griffbereit, trat hinter dem Fremden aus einer Felsenrinne und schnitt ihm dem Weg ab, falls er beschließen sollte, denselben Weg zurückzulaufen, den er gekommen war.
Der Fremde drehte sich einmal um seine Achse und sah Tom in drohender Haltung hinter sich stehen. Als er seine Drehung schließlich vollendete und auch noch Kahlan neben Richard erblickte, entfuhr ihm abermals ein erschrockenes Keuchen. Trotz der staubigen Reisekleidung, die sie alle trugen, nahm Richard nicht an, daß sie wie normale Reisende auf Arbeitssuche wirkten.
»Bitte«, sagte der Fremde, »ich habe nichts Böses im Sinn.«
»Immer mit der Ruhe«, sagte Richard mit einem heimlichen Seitenblick auf Cara – seine Worte waren nicht nur auf den Fremden, sondern auch auf die Mord-Sith gemünzt. »Bist du allein?«, wandte er sich wieder an den Fremden.
»Ja, Lord Rahl. Ich bin im Auftrag meines Volkes unterwegs, genau wie ich Euch sagte. Euer Wesen muß man selbstverständlich verzeihen – ich hatte gar nichts anderes erwartet. Ihr sollt wissen, daß ich keinerlei Groll gegen Euch hege.«
»Wie kommt dieser Kerl eigentlich darauf, daß Ihr Lord Rahl seid?«, wandte sich Cara eher vorwurfsvoll denn fragend an Richard.
»Ich hab Leute ihn beschreiben hören«, warf der Fremde ein und deutete mit der freien Hand auf Richards Waffe. »Ihn und dieses Schwert. Ich hab Leute sich über Lord Rahls Schwert unterhalten gehört.« Nach kurzem Zögern traute er sich, auch Kahlan anzusehen. »Und natürlich auch über die Mutter Konfessor«, setzte er mit einer knappen Verbeugung hinzu.
Richard seufzte. »Natürlich.«
Er war ohnehin davon ausgegangen, das Schwert in Gegenwart von Fremden verstecken zu müssen, aber erst in diesem Augenblick wurde ihm so recht bewußt, wie wichtig dies würde, sobald sie in bevölkerte Landstriche gelangten. Das Schwert ließe sich noch vergleichsweise leicht verstecken, nicht aber Kahlan. Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, sie in alte Lumpen zu hüllen und als Kranke auszugeben.
Der Fremde beugte sich zögernd vor gab Richard seinen Wasserschlauch zurück und bedankte sich.
»Wie lautet dein Name?«
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