Cara sah auf, einen finsteren Ausdruck im Gesicht. »Ich bin eine Mord-Sith. Mord-Sith sind allzeit bereit, in den Tod zu gehen. Schließlich möchten wir nicht alt und zahnlos sterben.«
Owen, der lustlos an seinem Zwieback knabberte, so als fühlte er sich aus reiner Geselligkeit verpflichtet, etwas zu essen, hatte die Geschichte sichtlich erschüttert. »Ein Leben in solcher Barbarei, wir ihr es alle offenbar führt, vermag ich mir gar nicht vorzustellen. War dieser Darken Rahl mit Euch verwandt, Lord Rahl?« Fehler! Owen sputete sich, seine Frage zu präzisieren. »Er trägt denselben Namen, deswegen dachte ich ... na ja, ich dachte ... aber ich wollte damit auf keinen Fall andeuten, daß Ihr ihm irgendwie ähnlich seid ...«
Richard kletterte vom Wagen herunter und reichte Owen seinen gefüllten Wasserschlauch. »Er war mein Vater.«
»Die Frage ist mir einfach so herausgerutscht. Ich würde niemals absichtlich jemandes Vaters Ehre in den Schmutz ziehen, erst recht nicht, wenn dieser jemand ...«
»Ich habe ihn eigenhändig getötet.«
Richard war nicht danach zumute, das Thema weiter auszuführen. Schon die Vorstellung, auf die ganze entsetzliche Geschichte näher einzugehen, ließ ihn innerlich erschaudern.
Owen blickte erschrocken um sich wie ein von Wölfen umringtes Kitz.
»Er war eine Bestie in Menschengestalt«, sagte Cara, die offenbar das Bedürfnis verspürte, etwas zu Richards Verteidigung vorzubringen.
»Jetzt kann das Volk D’Haras endlich voller Hoffnung in eine Zukunft blicken, in der es über sein Leben selbst bestimmen kann.«
Richard ließ sich neben Kahlan nieder. »Vorausgesetzt, es gelingt ihm, sich von der Imperialen Ordnung zu befreien.«
Gesenkten Hauptes knabberte Owen an seinem Zwieback, während er die anderen verstohlen beobachtete.
Als niemand etwas sagte, ergriff Kahlan das Wort. »Warum verrätst du uns nicht den Grund, weshalb du hergekommen bist, Owen?«
Richard vermochte ihren Tonfall sofort einzuschätzen; es war die höfliche Art der Mutter Konfessor, einem verängstigten Bittsteller mit einer freundlich klingenden Frage die Befangenheit zu nehmen.
Er senkte respektvoll kurz den Kopf. »Sehr wohl, Mutter Konfessor.«
»Sie kennst du auch?«, fragte Richard.
Owen nickte. »So ist es, Lord Rahl.«
»Woher?«
Owens Blick wanderte von Richard zu Kahlan und wieder zurück. »Ihr und die Mutter Konfessor seid überall in aller Munde. Die Geschichte, wie ihr die Bevölkerung Altur’Rangs von der Unterdrückung durch die Imperiale Ordnung befreit habt ist landauf, landab bekannt. Wer sich nach Freiheit sehnt, weiß, daß Ihr derjenige seid, der sie ihm geben kann.«
Richard runzelte die Stirn. »Was willst du damit sagen – ich sei derjenige, der sie den Menschen geben kann?«
»Nun, früher herrschte hier die Imperiale Ordnung. Es sind brutale Barbaren – verzeiht, aber diese Menschen sind fehlgeleitet und wissen es nicht besser, deswegen ist ihre Herrschaft so barbarisch. Vielleicht liegt der Fehler nicht bei ihnen – es steht mir nicht zu, darüber zu befinden.« Owen wandte den Blick ab und schien nach den passenden Worten zu suchen, wahrend er sich offenbar gleichzeitig, gewissermaßen als Beweis ihrer Barbarei, die Verbrechen der Imperialen Ordnung vor sein inneres Auge rief. »Aber dann seid Ihr auf den Plan getreten und habt den Menschen die Freiheit geschenkt – so wie in Altur’Rang.«
Richard fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Er mußte unbedingt mit der Übersetzung des Buches fortfahren und herausfinden, was sich hinter diesem Gegenstand verbarg, den Cara berührt hatte, und was es mit den schwarz gezeichneten Riesenkrähen auf sich hatte, die sie verfolgten; er mußte zurück zu Victor und den anderen, die den Aufstand gegen die Imperiale Ordnung angezettelt hatten; er hätte sich längst mit Nicci treffen müssen, und er mußte etwas gegen seine Kopfschmerzen unternehmen. Zumindest in dieser Angelegenheit würde ihm Nicci helfen können.
»Ich ›schenke‹ niemandem die Freiheit, Owen.«
»Sehr wohl, Lord Rahl.«
Offenbar wagte Owen nicht, Richards Worten offen zu widersprechen, doch seinen Augen war deutlich anzusehen, daß er sie nicht glaubte.
»Was genau meinst du eigentlich damit, wenn du sagst, ich schenke den Menschen die Freiheit?«
Owen biß ein winziges Stück von seinem Zwieback ab und ließ den Blick in die Runde schweifen, während er sich unsicher wand und verlegen mit den Schultern zuckte. Schließlich räusperte er sich.
»Nun ja, Ihr tut das, was auch die Imperiale Ordnung tut – Ihr tötet Menschen.« Er machte eine unbeholfene Bewegung mit der Hand, die den Zwieback hielt, so als stieße er mit einem Schwert zu. »Ihr tötet Menschen, die andere versklaven, und dann schenkt ihr den Unterdrückten die Freiheit, damit wieder Friede einkehren kann.«
Richard holte tief Luft. Er war unsicher, ob Owen es tatsächlich so meinte, wie es geklungen hatte, oder ob es ihm einfach schwer fiel, sich in Gegenwart von Personen, die ihn nervös machten, zu erklären.
»Ganz so verhält es sich nicht«, erwiderte Richard.
»Aber deswegen seid Ihr doch hierher gekommen. Jeder weiß das. Ihr seid in die Alte Welt gekommen, um den Menschen die Freiheit zu schenken.«
Die Ellenbogen auf die Knie gestützt, beugte sich Richard vor und rieb die Hände aneinander, während er überlegte, wie weit er diesen Mann über seinen Irrtum aufklären konnte. Eine Woge innerer Ruhe ging durch seinen Körper, als Kahlan ihm sachte ihre tröstliche Hand auf die Schulter legte. Er wollte unter allen Umständen vermeiden, auf die Schrecken seiner Gefangennahme und seiner Trennung von Kahlan einzugehen, damals, als er glaubte, er werde sie niemals wiedersehen. Schließlich schob er die bedrückenden Erinnerungen an diese lange, schwere Prüfung beiseite und beschloß, anders vorzugehen. »Ich stamme ursprünglich aus der Neuen Welt, Owen ...«
»Ja, ich weiß.« Owen nickte. »Und Ihr seid gekommen, um die Menschen zu befreien ...«
»Nein, das entspricht nicht der Wahrheit. Einst lebten wir in Frieden, allem Anschein nach ganz so wie dein Volk hier. Bis Kaiser Jagang ...«
»Der Traumwandler.«
»Richtig, bis Kaiser Jagang, der Traumwandler, seine Armeen schickte, um die Neue Welt zu erobern und unser Volk zu versklaven ...«
»Genau wie mein Volk.«
Richard nickte. »Verstehe. Ich weiß, welche Schrecken das mit sich bringt. Seine Truppen ziehen derzeit mordend und plündernd durch die Neue Welt und versklaven unser Volk.«
Owen starrte mit tränenfeuchten Augen in die Dunkelheit und nickte. »Genau wie meines.«
»Wir haben versucht, Widerstand zu leisten«, richtete Kahlan das Wort an ihn. »Aber es sind zu viele. Seine Armee ist viel zu gewaltig, als daß wir sie aus unserem Land vertreiben könnten.«
Owen vermied es, sie anzusehen, während er abermals verlegen an seinem Zwieback nagte. »Mein Volk lebt in entsetzlicher Angst vor den Truppen der Imperialen Ordnung – der Schöpfer möge ihnen ihre Verirrungen verzeihen.«
»Mögen sie bis in alle Ewigkeit im finstersten Winkel der Hölle schmoren«, korrigierte Cara ihn in schonungsloser Unverblümtheit.
Owen starrte sie offenen Mundes an, daß sie es wagte, einen solchen Fluch laut auszusprechen.
»Es war also unmöglich, sie zu bekämpfen, indem wir sie einfach in die Alte Welt zurückjagten«, lenkte Richard Owens Aufmerksamkeit wieder auf sich, ehe er mit der Geschichte fortfuhr. »Deswegen bin ich hier, in Jagangs Heimat, und versuche den Menschen zu helfen, die sich danach sehnen, die Fesseln der Imperialen Ordnung abzustreifen. Solange er sich auf einem Eroberungsfeldzug gegen unser Land befindet, haben wir die Möglichkeit, Jagang an seiner empfindlichsten Stelle zu treffen und ihm einen schweren Schlag zu versetzen. Nur so können wir uns der Imperialen Ordnung wirkungsvoll erwehren – es ist für uns der einzige Weg zum Erfolg. Wenn wir seine Basis schwächen, seinen Rückhalt und seinen Nachschub an Soldaten, wird er eines Tages gezwungen sein, seine Armee aus unserem Land abzuziehen und in den Süden zurückzukehren, um seine Heimat zu verteidigen.
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