Erinnerst du dich, was wir vor einiger Zeit herausgefunden haben? daß Zauberer Ricker und seine Leute unserer Meinung nach irgend etwas unternommen hatten, um die Fähigkeit subtraktiver Magie zu beschneiden, über die Nachkommen eines Zauberers weitervererbt zu werden? Nun, nach dem Krieg wurden die mit der Gabe Geborenen allmählich immer seltener, und wer noch mit der Gabe geboren wurde, der wurde ohne deren subtraktive Seite geboren.«
»Mit anderen Worten, schon nach kürzester Zeit gab es nahezu niemanden mehr, der sowohl mit der additiven als auch der subtraktiven Seite der Gabe auf die Welt kam. Aber das wußten wir doch längst.«
»Richtig.« Richard beugte sich zu ihr und deutete auf das Buch. »Es wurden immer weniger Zauberer geboren, gleichzeitig stellten diese Zauberer plötzlich fest, daß sie alle völlig ohne Gabe Geborenen – ausnahmslos zerbrochene Glieder in der Vererbungskette – auf dem Hals hatten. Plötzlich hatten sie es nicht nur mit dem Problem der sinkenden Geburtsrate unter den mit der Gabe zum Zauberer Geborenen zu tun, sondern sie sahen sich auch noch dem von ihnen sogenannten Problem der ›Säulen der Schöpfung‹ konfrontiert.«
Kahlan schwankte leicht im Sattel, als sie darüber nachdachte und sich die Situation damals in der Burg der Zauberer vorzustellen versuchte. »Mir leuchtet ein, daß sie überaus besorgt gewesen sein mußten.« Sie senkte viel sagend die Stimme. »Wenn nicht verzweifelt.«
Abrupt verhielt Kahlan ihr Pferd und schob sich hinter Richard, der sein Tier soeben um einen alten, umgestürzten Baum herumlenkte.
Anschließend ließ sie ihr Pferd wieder zu Richard aufschließen und lenkte es neben ihn. »Vermutlich gingen die Zauberer damals dazu über, dasselbe zu tun wie Zedd. Sie begannen, die Berufenen, die Zauberer werden wollten, aber nicht mit der Gabe gesegnet waren, auszubilden.«
»Richtig. Nur zielte ihre Ausbildung darauf ab, die mit additiver Magie ausgestatteten Kandidaten zu befähigen, auch die subtraktive Seite zu gebrauchen – so wie die vollwertigen Zauberer der damaligen Zeit. Mit der Zeit aber verloren sie auch diese Fähigkeit, so daß sie letztendlich nur noch das tun konnten, was auch Zedd getan hat – nämlich Männer zu Zauberern auszubilden, die ausschließlich additive Magie ausüben konnten.
Aber das ist eigentlich gar nicht das zentrale Thema des Buches«, fuhr Richard mit einer wegwerfenden Handbewegung fort. »Sondern nur ein Nebenaspekt, um zu verdeutlichen, was damals alles versucht wurde. Anfangs war man noch voller Zuversicht; man glaubte, diese Säulen der Schöpfung könnten auf die gleiche Weise vom völligen Fehlen der Gabe geheilt werden, wie man den nur zu additiver Magie fähigen Zauberern die Benutzung beider Seiten der Magie beibringen und die ohne Begabung zum Zauberer Geborenen zu Zauberern ausbilden konnte, indem man sie zumindest in der Benutzung additiver Magie unterwies.«
Die Handbewegungen, mit denen er seine Ausführungen unterstrich, erinnerten sie auffällig an Zedds aufgeregtes Gefuchtel, sobald er über irgend etwas in Erregung geriet. »Mit anderen Worten, man versuchte, das Wesen dieser Menschen zu verändern. Es war der verzweifelte Versuch, den ohne einen Funken der Gabe Geborenen die Möglichkeit zu geben, eine Wechselbeziehung mit Magie einzugehen. Man fügte also weder etwas hinzu noch verstärkte man bereits Vorhandenes, sondern versuchte, etwas aus dem Nichts zu erschaffen.«
Die Vorstellung behagte Kahlan ganz und gar nicht. Sie wußten beide, daß die Zauberer der damaligen Zeit ungeheure Macht besessen und daß sie mit der Gabe Geborene verändert hatten – indem sie deren Gabe mit einem bestimmten Ziel manipulierten.
Sie machten Menschen zu Waffen.
Eine dieser Waffen waren zu Zeiten des Großen Krieges die Vorfahren Jagangs: die Traumwandler. Traumwandler wurden geschaffen, um sich des Verstandes der Menschen in der Neuen Welt zu bemächtigen und ihn auf diese Weise zu beherrschen. In dieser verzweifelten Lage wurden die Bande zu dem jeweiligen Lord Rahl geschaffen – als Gegenmittel gegen diese Waffe, und als Schutz der Menschen vor den Traumwandlern.
Auf diese Weise entstanden aus den mit der Gabe Geborenen damals eine Vielzahl menschlicher Waffen. Die damit verbundenen Veränderungen waren oftmals tiefgreifend, vor allem aber unumkehrbar – zuweilen entstanden dadurch menschliche Ungeheuer von grenzenloser Grausamkeit. Aus diesem Erbe stammte auch Jagang.
Während dieses Großen Krieges weigerte sich nun einer der Zauberer, dem wegen Verrats der Prozeß gemacht wurde, den von ihm angerichteten Schaden offenzulegen. Nachdem man ihm nicht einmal unter Folter ein Geständnis abpressen konnte, nahmen die den Prozeß führenden Zauberer bei den Talenten eines Zauberers mit Namen Merritt Zuflucht und befahlen die Schaffung einer Konfessorin. Bei Gericht war man mit den Ergebnissen dieses Zauberers Merritt so zufrieden, daß man anordnete, den Orden der Konfessorinnen ins Leben zu rufen.
Im Grunde empfand Kahlan nicht anders als andere Menschen auch, sie war nicht weniger menschlich, nicht weniger weiblich und liebte das Leben wie jeder andere auch – aber der bei ihr angewendete Zauber blieb nicht folgenlos: Sie erhielt ihre Konfessorinnenkraft. Auch sie war das Kind einer Frau, die man in eine menschliche Waffe verwandelt hatte – einer Waffe, deren Zweck in diesem Fall die Wahrheitsfindung war.
»Was hast du?«, erkundigte sich Richard.
Sie sah ihn an und bemerkte den sorgenvollen Ausdruck auf seinem Gesicht. Kahlan zwang sich zu lächeln und versuchte ihn mit einem Kopfschütteln zu beschwichtigen.
»Was hast du denn nun herausgefunden, nachdem du einige Kapitel übersprungen hattest?«
Richard holte tief Luft und legte seine gefalteten Hände auf den Knauf seines Sattels. »Im Großen und Ganzen war es, als hätten sie Farben zu verwenden versucht, um den ohne Augen Geborenen das Sehen zu ermöglichen.«
Nach allem, was Kahlan über Magie und Geschichte wußte, bedeutete dies einen grundlegenden Unterschied selbst zu den böswilligsten Experimenten bei der Verwandlung von Menschen in Waffen. Selbst bei den schändlichsten Versuchen war es stets darum gegangen, einen bestimmten menschlichen Wesenszug zu entfernen und gleichzeitig eine naturgegebene Anlage dieser Menschen zu verstärken oder ihr etwas hinzuzufügen. Nie zuvor war der Versuch unternommen worden, aus dem Nichts etwas völlig Neues zu erschaffen.
»Mit anderen Worten«, faßte Kahlan zusammen, »sie sind gescheitert.«
Richard nickte. »Ja, da standen sie nun, der Große Krieg war längst vorbei, und die Alte Welt – deren Ziel, wie das der Imperialen Ordnung, das Ende aller Magie war – lag sicher weggesperrt hinter der neu geschaffenen Barriere. Und plötzlich mußten sie feststellen, daß die Geburtenrate der mit der Gabe der Zauberei Geborenen ins Bodenlose stürzte und die vom Geschlecht der Rahls geschaffene Magie, nämlich die Bande zwischen ihnen und dem Volk, die verhindern sollte, daß der Traumwandler von den Menschen Besitz ergreift, eine unerwartete Nebenwirkung hatte – sie brachte die von der Gabe völlig Unbefleckten hervor, die eine unwiderrufliche Unterbrechung in der Abstammungslinie der Magie bedeuteten.«
»Somit sahen sie sich schlagartig mit gleich zwei Problemen konfrontiert«, sagte Kahlan. »Es wurden weniger Zauberer geboren, die sich der Probleme mit der Magie annehmen konnten, gleichzeitig wurden Menschen geboren, die überhaupt keine Verbindung mehr zur Magie hatten.«
»Ganz genau. Wobei das zweite Problem rascher wuchs als das erste. Anfangs waren sie noch überzeugt, eine Lösung zu finden, ein Heilmittel. Das jedoch blieb aus – und es kam noch schlimmer: Wie ich eben bereits erklärte, brachten die von der Gabe völlig Unbefleckten, wie Jennsen, stets Nachkommen zur Welt, die exakt so waren wie sie. Bereits nach wenigen Generationen schwoll die Zahl der ohne Verbindung zu jeglicher Magie Geborenen über jedes erwartete Maß hinaus an.«
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