Tyrannei ist niemals von Dauer, denn zu ihren ureigenen Wesenszügen gehört es, alles verkommen zu lassen, auf das sich ihre Herrschaft erstreckt, sich selbst eingeschlossen. Allerdings kann sich dieser Prozeß über mehrere Generationen hinziehen. Ich dagegen versuche diesen Prozeß zu beschleunigen, um gemeinsam mit meinen Lieben noch zu Lebzeiten wieder in den Genuß der Freiheit zu kommen – und wieder ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Wenn sich nur genügend Menschen gegen die Herrschaft der Imperialen Ordnung erheben, könnten sie Jagang sogar die Macht entreißen, was wiederum zum Untergang der Imperialen Ordnung führen würde. Auf diese Weise versuche ich, ihn zu bekämpfen, ihn zu besiegen und aus meinem Land zu vertreiben.«
Owen nickte. »Genau das brauchen wir auch. Wir sind Opfer des Schicksals. Ihr müßt zu uns kommen und diese Männer aus unserem Land verjagen, damit wir endlich wieder in Ruhe und Frieden leben können. Ihr müßt uns unsere Freiheit zurückgeben.«
Über dem knackenden Feuer stieg ein hell glühender Funkenregen in den Himmel. Richard saß da, ließ den Kopf hängen und tippte die Fingerspitzen gegeneinander. Offenbar hatte Owen von dem, was er gesagt hatte, kein einziges Wort begriffen. Aber sie brauchten dringend Ruhe, und er mußte mit der Übersetzung des Buches vorankommen – vor allem aber mußten sie ihr Ziel erreichen. Immerhin waren seine Kopfschmerzen etwas abgeklungen.
»Tut mir leid, Owen«, sagte er schließlich, bemüht, ruhig zu bleiben. »Auf so unmittelbare Weise kann ich dir nicht helfen, doch begreife bitte, daß mein Plan auch für dich von Vorteil ist, denn meine Vorgehensweise wird Jagang letztendlich zwingen, seine Truppen aus deiner Heimat abzuziehen, oder sie zumindest so weit zu vermindern, daß ihr sie eigenhändig vertreiben könnt.«
»Nein«, widersprach Owen. »Seine Soldaten werden unser Land nicht verlassen, solange Ihr nicht kommt und ...«- man konnte deutlich spüren, daß Owen davor zurückscheute, es auszusprechen -»und sie vernichtet.«
Allein das Wort, die Vorstellung, schien bei ihm heftigsten Abscheu auszulösen.
Richard war es leid, sich um einen höflichen Ton zu bemühen. »Morgen müssen wir unseres Weges gehen, und das Gleiche gilt auch für dich. Ich wünsche dir viel Erfolg bei der Befreiung deines Volkes von der Imperialen Ordnung.«
»Aber etwas Derartiges ist uns vollkommen unmöglich«, protestierte Owen. Er straffte seinen Körper. »Wir sind schließlich keine Barbaren. Ihr und Euresgleichen – die nicht Erleuchteten – seid dazu ausersehen, uns die Freiheit zurückzugeben. Ich bin der Einzige, der Euch holen kann. Ihr müßt zu uns kommen und das tun, was Eure Bestimmung ist. Ihr müßt unserem Reich die Freiheit zurückgeben.«
Richard strich sich mit den Fingerspitzen über die Falten auf seiner Stirn. Cara machte Anstalten, sich zu erheben, setzte sich jedoch auf einen Seitenblick von Richard wieder hin.
»Ich habe dir Wasser gegeben«, sagte Richard und stand auf. »Die Freiheit kann ich dir nicht geben.«
»Aber Ihr müßt doch ...«
»Wir werden heute Nacht Doppelwachen aufstellen«, wandte sich Richard an Cara und schnitt ihm damit das Wort ab.
Cara nickte kurz, während ein Lächeln eiserner Entschlossenheit um ihre Mundwinkel spielte.
»Gleich morgen früh«, setzte Richard hinzu, »wird Owen sich wieder von uns trennen.«
»Ja«, antwortete sie, während ihre wuterfüllten blauen Augen zu Owen hinüberwanderten, »das wird er ganz bestimmt.«
»Was hast du?«, fragte Kahlan, als sie ihr Pferd neben den Wagen lenkte.
Richard schien über irgendwas völlig außer sich zu sein. Dann erst fiel ihr auf, daß er das Buch in der einen Hand hielt, während die andere zur Faust geballt war. Er öffnete den Mund und wollte ihr gerade etwas erklären, doch als Jennsen, vorne auf dem Bock neben Tom, sich herumdrehte, wandte er sich statt dessen an sie: »Kahlan und ich werden ein Stück voraus die Straße erkunden. Pass gut auf Betty auf, damit sie nicht aus dem Wagen springt, in Ordnung, Jen?«
Jennsen lächelte ihn an und nickte.
Richard kletterte über die Seitenwand des Wagens und sprang ab, während Kahlan sich aus dem Sattel herüberbeugte und die Zügel von Richards Pferd von der Rückwand des Wagens losband. Einen Fuß im Steigbügel, schwang er sich mit einer fließenden Bewegung in den Sattel. Mit einer leichten Verlagerung seines Gewichts nach vorn brachte er das Pferd dazu, sich in Bewegung zu setzen. Kahlan preßte ihre Schenkel gegen die Flanken ihres Tieres und spornte es zu einem leichten Galopp an, um mit ihm Schritt zu halten. Er ritt ein kleines Stück voraus und folgte dem Pfad im flacheren Gelände zwischen den schroffen Bergflanken um mehrere leichte Biegungen, bis er schließlich zu Cara und Friedrich aufschloß. die vorausgeritten waren, um den Weg zu erkunden.
»Wir werden uns eine Weile weiter vorn umsehen«, erklärte er ihnen, schon jetzt schweißgebadet wegen der drückenden Hitze. »Warum laßt ihr euch nicht zurückfallen und behaltet den Weg hinter uns im Auge?«
Cara riß ihre Zügel herum und machte kehrt; Friedrich folgte ihr.
Aus der Nähe bot das zerklüftete Gebirge im Osten einen furchteinflößenden Anblick. Steile Wände aus nacktem Felsgestein ragten unter vorspringenden Plateaus in die Höhe, auf denen sich das Geröll der höher gelegenen Ebenen und Klippen häufte, so als sei der gesamte Gebirgszug in allmählicher Auflösung begriffen. Ein Aufstieg über dieses unsichere Geröll schien angesichts der mehrere tausend Fuß tiefen Schluchten unmittelbar jenseits der überhängenden Felsvorsprünge schier unmöglich. Wenn es überhaupt Pässe über diese vollkommen reiz- und leblosen Hänge gab, dann waren sie zweifellos dünn gesät und würden sich als überaus beschwerlich erweisen.
Aber die Überquerung dieses grauen, abweisenden Gebirgszuges in dieser Hitze war, wie sie jetzt erkennen konnte, mitnichten ihr größtes Problem.
Hinter diesen näher gelegenen Bergen, die sich in der brütenden Hitze parallel zum Rand der Wüste in nordsüdlicher Richtung erstreckten, war stellenweise bereits zu erkennen, was sich dahinter verbarg – eine noch weit entmutigendere Kette schneebedeckter Gipfel, die jede Überquerung des Gebirges in östlicher Richtung zu einem aussichtslosen Unterfangen verdammte. Die Ausmaße dieses beeindruckenden Gebirgszugs übertrafen alles, was Kahlan bislang gesehen hatte. Nicht einmal die zerklüfteten Gipfel des Rang’Shada-Gebirges in den Midlands vermochten es mit ihnen aufzunehmen. Diese Berge schienen einem Volk von Riesen anzugehören. Jähe Felsklippen ragten tausende Fuß in den Himmel. Es gab beängstigende Hänge, die weder Paß noch Riß aufwiesen und so steil waren, daß sich fast kein Baum auf ihnen halten konnte. Hohe, unter einer dichten Schneedecke verborgene Bergspitzen, die sich majestätisch bis weit über die windgepeitschte Wolkendecke erhoben, drängten sich so dicht zusammen, daß sie nicht so sehr an separate Gipfel, sondern vielmehr an die schartige Klinge eines langen Messers erinnerten.
Sie hatte ihn tags zuvor die eindrucksvollen Berge betrachten sehen und ihn gefragt, ob er eine Möglichkeit sehe, sie zu überqueren. Er hatte verneint; die einzige Möglichkeit, auf die andere Seite hinüberzugelangen, sei möglicherweise jener schmale Einschnitt, den er zuvor bei der Entdeckung der seltsamen ehemaligen Grenze gesehen hatte, und dieser Einschnitt lag noch ein gutes Stück weiter nördlich.
Fürs Erste hielten sie sich an die trockene Seite des näheren Gebirgszugs, der parallel zu den nicht übermäßig schwierig zu passierenden Niederungen verlief.
Am Fuß eines sanft geschwungenen, mit Büscheln aus braunem Gras bedeckten Hügels ließ Richard sein Pferd endlich langsamer gehen. Er drehte sich im Sattel herum und vergewisserte sich, daß die anderen, wenn auch in recht großer Entfernung, ihm noch immer folgten, ehe er sein Pferd dicht neben Kahlan lenkte. »Ich habe im Buch einige Kapitel übersprungen.«
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