Bald würde es dunkel werden, und sie mußten für die Nacht haltmachen. Da das Gelände sich inzwischen verändert hatte, ging es nicht mehr einfach nur darum, zu prüfen, ob ihre unmittelbare Umgebung sicher war, denn mittlerweile befanden sie sich in einer Gegend, wo hinter jeder Ecke eine ganze Armee auf der Lauer liegen konnte. Solange die Riesenkrähen sie beschatteten, war unmöglich zu sagen, wer alles Kenntnis von ihrem gegenwärtigen Aufenthaltsort hatte. Er hatte nicht einfach nur eine Atempause gebraucht, um in Ruhe über das Gelesene nachzudenken und das Problem der Kopfschmerzen vielleicht aus sich selbst heraus zu lösen, er hatte auch eigenhändig das Gelände erkunden wollen.
Richard hielt einen Moment inne, um eine Wachtelfamilie mit ausgewachsenen Jungtieren beim Überqueren einer freien Stelle im Gelände zu beobachten. Gemächlich trotteten sie hintereinander über ein freiliegendes Kiesbett, während das Vatertier hoch oben auf einem Fels Wache hielt. Kaum hatten sie das Gestrüpp erreicht, waren sie auch schon nicht mehr zu sehen.
Da und dort war die weiträumige Landschaft aus unregelmäßigen Hügeln, Wasserläufen und zutage liegendem Muttergestein mit kleinwüchsigen, knorrigen Föhren bedeckt. Weiter oben, auf den nahen Berghängen, gab es einen üppigeren Baumbestand aus hochgewachsenen Koniferen. In den geschützten Senken wucherte in undurchdringlichen Büscheln dichtes Unterholz, während das offene Gelände teilweise mit zarten Gräsern bewachsen war.
Richard wischte sich den Schweiß aus den Augen und hoffte, die Luft werde nach Sonnenuntergang ein wenig abkühlen. Er arbeitete sich im Schutz des Unterlaufes einer ausgewaschenen Ablaufrinne im Einschnitt zwischen zwei Hügeln voran und wollte gerade nach seinem Wasserschlauch greifen, um seinen Durst zu löschen, als eine Bewegung auf der gegenüberliegenden Bergflanke ihn innehalten ließ.
Er ging hinter einem länglichen Felsvorsprung in Deckung, um nicht gesehen zu werden, und riskierte einen vorsichtigen Blick. Ein Mann kletterte über das lose Geröll des Hanges nach unten. Das Poltern der Steine, die den Hang hinabrollten, sobald er seinen Fuß aufsetzte, erzeugte ein fernes Echo, das leise durch die Felsschluchten hallte.
Richard hatte damit gerechnet, daß sie nach Verlassen der abweisenden Wüste jederzeit auf Menschen stoßen konnten, deshalb hatte er alle die schwarzen Nomadengewänder der Wüstenbewohner ablegen und wieder ihre unauffälligen Reisekleider überstreifen lassen. Zwar trug er jetzt eine schwarze Hose und ein einfaches Hemd, doch war sein Schwert alles andere als unauffällig. Selbst Kahlan hatte schlichtere Kleidung angezogen, die besser zu der ärmlichen Bevölkerung der Alten Welt paßte, auch wenn sie an Kahlan keinen großen Unterschied bewirkten; ihre Figur, ihr Haar, vor allem aber ihre Erscheinung selbst ließen sich dadurch kaum verhüllen. Sobald sie jemanden aus ihren grünen Augen ansah, überkam den Betreffenden der unwiderstehliche Drang, sich auf die Knie zu werfen und das Haupt vor ihr zu senken – ganz gleich, was sie gerade trug.
Zweifellos hatte Jagang ihre Beschreibung landauf, landab verbreitet und eine so gewaltige Belohnung ausgesetzt, daß vermutlich nicht einmal seine ärgsten Feinde der Versuchung widerstehen konnten. Für viele in der Alten Welt jedoch war eine Fortdauer des Lebens unter dem barbarischen Regime der Imperialen Ordnung ein zu hoher Preis. Belohnung oder nicht, viele sehnten sich nach einem Leben in Freiheit und waren bereit, für dieses hehre Ziel zu kämpfen.
Ein anderes Problem waren die Bande zwischen dem jeweiligen Lord Rahl und dem Volk D’Haras, denn die uralten, von Richards Vorfahren geschaffenen Bande ermöglichten es D’Haranern, den jeweiligen Aufenthaltsort des Lord Rahl zu spüren. Das Gleiche galt demnach auch für die Imperiale Ordnung, die diese Information schließlich nur aus einem D’Haraner herauszufoltern brauchte. Verweigerte jemand selbst unter Folter diese Auskunft, würden sie gewiß nicht davor zurückschrecken, es so lange mit anderen zu versuchen, bis sie die gewünschte Information erhielten.
Nachdem der einsame Mann den Fuß des Hügels erreicht hatte, bahnte er sich auf dem Grund der ausgewaschenen Felsrinnen weiter seinen Weg. Ein gutes Stück rechts von Richard wirbelten Wagen und Zuggespann eine lange Staubwolke auf. Dem Anschein nach hielt der Mann genau darauf zu.
Aus dieser Entfernung war es nur schwer mit Gewißheit zu sagen, doch Richard bezweifelte, daß es sich bei dem Mann um einen Soldaten handelte. Ein Späher noch dazu in seiner eigenen Heimat, war er vermutlich ebensowenig. Ein Soldat hätte ohnehin kaum Grund, sich in dieses unbewohnte Gebiet zu wagen. Schließlich hatte Richard diesen Weg – erst östlich im Schatten der Berge, dann auf einer nördlicheren Route wieder zurück zu seinem Ausgangspunkt – exakt aus diesem Grund gewählt.
Richard erklomm die Rückseite eines schmalen Felsgrats, drückte sich mit dem Bauch auf den Boden und riskierte einen Blick über den Kamm. Als der Mann näher kam, sah Richard, daß er noch jung war, nicht einmal dreißig. Er wirkte hager und war mitnichten wie ein Soldat gekleidet. Sein unbeholfenes Stolpern ließ vermuten, daß er entweder mit dem Gelände nicht vertraut oder das Wandern einfach nicht gewohnt war. Über loses, scharfkantiges Trümmergestein zu kraxeln war ermüdend, zumal am Hang, wo man nirgendwo festen Boden hatte, der ein gleichmäßiges Ausschreiten erlaubte.
Der Mann blieb stehen, reckte den Hals und spähte zum Wagen hinüber. Keuchend von der Anstrengung des Abstiegs, strich er sich mehrfach das dünne blonde Haar aus dem Gesicht, ehe er den Oberkörper vorbeugte und sich mit einer Hand auf dem Knie abstützte, um zu verschnaufen.
Als er sich wieder aufrichtete, um seinen Weg fortzusetzen, und mit knirschenden Schritten die ausgewaschene Rinne entlangstolperte, ließ Richard sich vom Felsen hinuntergleiten. Das dazwischen liegende Gelände sowie einige mit knorrigen Fichten bewachsene Stellen als Deckung nutzend, blieb er von Zeit zu Zeit stehen, um auf die schweren Schritte und das mühevolle Atmen zu lauschen und sich zu vergewissern, daß seine blinde Schätzung über die Position des Mannes korrekt war.
Hinter einer alleinstehenden Felswand von gut sechzig Fuß Höhe riskierte Richard nochmals einen vorsichtigen Blick. Mittlerweile hatte er sich fast bis an ihn herangeschlichen, ohne daß der Mann seine Anwesenheit bemerkt hätte. Lautlos tastete sich Richard von Baum zu Fels und im Schutz einiger Böschungen vor, bis er ihm ein gutes Stück voraus war und sich genau in seiner Marschrichtung befand.
Regungslos wie ein Stein lauschte Richard hinter einer gedrehten Säule aus rötlichem, aus dem unebenen Boden ragenden Gestein auf das Knirschen der näher kommenden Schritte, auf den japsenden Atem des Mannes, der just über einige Felsbänke in seinem Weg hinwegkletterte. Als er keine sechs Fuß mehr entfernt war trat Richard hinter dem Felsen hervor.
Der Mann erschrak, raffte seinen leichten Reisemantel unter dem Kinn zusammen und wich einen Schritt zurück.
Richard musterte ihn äußerlich ohne Regung, innerlich dagegen stemmte sich die Kraft des Schwertes bedrohlich gegen seinen unterdrückten Zorn. Richard spürte sie einen Moment lang zögern. Da die Magie des Schwertes eine Gefahr nach der Einschätzung seines Gebieters beurteilte, war das kurze Zögern möglicherweise darauf zurückzuführen, daß der schmächtige Mann keine unmittelbare Bedrohung darstellte.
Seine Kleidung – braune Hosen, ein Hemd aus Flachs sowie ein dünner, zerschlissener Cordmantel – hatte schon bessere Tage gesehen. Er schien eine ziemliche beschwerliche Reise hinter sich zu haben – allerdings hatte auch Richard anspruchslose Kleidung angelegt, um keinen Verdacht zu erregen. Der Rucksack des Mannes schien nahezu leer zu sein. Die beiden Wasserschläuche, deren Riemen sich über seiner Brust kreuzten und den dünnen Mantel einschnürten, waren flach und leer. Soweit Richard erkennen konnte, trug er keine Waffen, nicht einmal ein Messer.
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