Einen Moment lang blickte Kommandant Karg ihm prüfend in die Augen, so als versuchte er abzuschätzen, ob es ihm ernst war oder er etwas im Schilde führte.
»Ich hab eine bessere Idee«, sagte er. »Ich werde Tätowierer kommen und meine ganze Mannschaft tätowieren lassen.« Er tippte mit dem Finger auf die Schuppen seitlich in seinem Gesicht. »Ich werde euch allen Schuppen ins Gesicht tätowieren lassen, damit man sieht, dass ihr zu mir gehört. Jeder wird sofort wissen, dass ihr zu meiner Mannschaft gehört.«
Offenbar hatte der Kommandant Gefallen an seinem Einfall gefunden. Er bedachte Richard mit einem grimmigen Lächeln. »Außerdem werde ich euch stechen lassen. Ihr werdet alle Tätowierungen und Metallstifte im Gesicht haben, damit ihr ausseht wie unmenschliche Tiere.«
Richard wartete, bis er ausgeredet hatte, dann schüttelte er den Kopf.
»Nein, das genügt nicht. Es ist nicht gut genug.«
Kommandant Karg stemmte die Hände in die Hüften. »Was soll das heißen, nicht gut genug?«
»Na ja, diese Art Tätowierungen sind aus größerer Entfernung kaum zu erkennen. Ich bin sicher, dass sie in der Schlacht durchaus ihre Wirkung tun, wenn man dem Gegner Auge in Auge gegenübersteht, aber beim Ja’La verhält es sich anders. Tätowierungen wie diese würden zu leicht übersehen.«
»Auf dem Ja’La-Spielfeld kommt man sich oft genauso nahe wie in einer Schlacht«, widersprach Kommandant Karg.
»Mag sein«, räumte Richard ein, »aber ich möchte, dass wir uns nicht nur von unserem jeweiligen Gegner auf dem Spielfeld abheben, sondern auch von den anderen Mannschaften, die der Partie zuschauen - und zwar für jeden, der uns zusieht. Ich will, dass jeder, der unsere bemalten Gesichter sieht, uns auf der Stelle erkennt. Unser Anblick soll Angst in die Gehirne der anderen Mannschaften einpflanzen, damit sie sich an uns erinnern und ins Grübeln kommen.«
Der Kommandant verschränkte seine muskulösen Arme. »Und ich will, dass ihr euch tätowieren lasst, damit man euch als meine Mannschaft erkennt, als Mannschaft von Kommandant Karg.«
»Und wenn wir verlieren? Womöglich auf demütigende Weise?«
Mit einem wütenden Funkeln beugte sich der Kommandant zu ihm hin.
»Dann wirst du im günstigsten Fall ausgepeitscht, und im ungünstigsten bist du für mich nicht mehr von Nutzen. Ich denke, mittlerweile weißt du, was Gefangenen blüht, für die niemand mehr Verwendung hat.«
»In diesem Falle wird sich jeder daran erinnern, dass die Mannschaft, die Ihr wegen ihrer Unterlegenheit habt hinrichten lassen, ausgesehen hat wie Ihr selbst. Im Falle unseres Versagens wird sich jeder an Euer Schlangenmuster auf unseren Gesichtern erinnern, was uns mit Euch, aber auch Euch mit uns in Verbindung bringt. Die Tätowierung würde Euch brandmarken, und man würde Euch, jedes Mal, wenn man Euer tätowiertes Gesicht sähe, auslachen.
Farbe dagegen ließe sich im Falle einer Niederlage einfach vor dem Auspeitschen abwaschen.«
Nach und nach dämmerte ihm, was Richard meinte. Er wurde merklich ruhiger und kratzte sich am Kinn.
»Ich werde sehen, ob ich welche auftreiben kann.«
»Nehmt rote.«
»Rote? Warum das?«
»Rot hebt sich ab. Es bleibt im Gedächtnis haften, außerdem erinnert es an Blut. Ich möchte, dass man sich, wenn man uns sieht, sofort fragt, warum wir den Anschein erwecken wollen, wir wären mit Blut bemalt. Ich will, dass sich die anderen Mannschaften darüber in der Nacht vor dem Spiel den Kopf zerbrechen, ich will, dass ihnen der Schweiß ausbricht, der Gedanke ihnen den Schlaf raubt. Wenn sie schließlich gegen uns antreten, werden sie müde sein, und dann werden wir sie bluten lassen.«
Langsam zeigte sich ein Lächeln in Kommandant Kargs Gesicht. »Weißt du was, Rüben, wärst du in diesem Krieg auf der richtigen Seite geboren, so wie ich, ich wette, wir wären gute Freunde geworden.«
Richard bezweifelte, ob Karg den Begriff Freundschaft wirklich verstand, oder ob er überhaupt imstande war, ein solches Gut zu würdigen.
»Ich brauche eine ausreichende Menge Farbe für alle Spieler.«
Kommandant Karg nickte und machte Anstalten sich zu entfernen. »Die wirst du bekommen.«
Kahlan beeilte sich, um dicht hinter Jagang zu bleiben, als dieser durch das Feldlager stapfte. Sie wollte nicht riskieren, dass er ihr einen ebenso schmerzhaften wie lähmenden Schock durch den Halsring verabreichte. Selbstverständlich hatte er ihr schon unzählige Male bewiesen, dass er dafür keinen Anlass benötigte. Trotzdem wusste sie, dass sie in diesem Moment nicht einmal den Anschein erwecken sollte, ihm einen Grund geben zu wollen, da er wegen der offensichtlich brisanten Nachricht, die der Bote überbracht hatte, sehr in Eile war. Eigentlich interessierte sie weniger die Nachricht, vielmehr galten ihre Gedanken dem Mann, den sie endlich wiedergesehen hatte, dem Gefangenen, den man am Vortag gebracht hatte.
Auf dem Weg durch das Lager behielt sie nicht nur ihre Bewacher im Blick, sondern auch die gewöhnlichen Soldaten, stets auf der Suche nach einer Reaktion, die darauf hindeutete, dass diese sie sehen konnten, nach irgendwelchen obszönen Bemerkungen, die sie verrieten. Allenthalben starrten aufgescheuchte Männer auf die Gruppe Schwerbewaffneter, die sich einen Weg mitten durch ihr Alltagsleben bahnte, doch kein einziges Mal sah jemand sie direkt an oder ließ sich durch sonst etwas anmerken, dass er sie bemerkt hatte.
Unsichtbar für die Soldaten ringsumher, stieg Kahlan behutsam über Pfützen und Kot hinweg, das unter ihrem Umhang verborgene Messer fest in der Hand. Sie war noch unschlüssig, was sie damit machen wollte. Die Gelegenheit, es zu entwenden, hatte sich völlig überraschend ergeben.
Es war ein gutes Gefühl, in dieser Umgebung eine Waffe zu besitzen. Obwohl sie für nahezu alle hier unsichtbar war, war das Armeelager ein beklemmender Ort. Natürlich wusste sie, dass sie mit seiner Hilfe weder Jagang, ihren persönlichen Bewachern noch den Schwestern entkommen konnte, gleichwohl verlieh ihr die Waffe einen Hauch von Macht, eine Möglichkeit, sich zu verteidigen - zumindest in bescheidenem Rahmen. Darüber hinaus war es ein Symbol ihrer Wertschätzung des Lebens, ein an sich selbst gerichtetes Versprechen, dass sie sich nicht aufgegeben hatte und es niemals tun würde.
Sobald sich ihr die Chance bot, würde sie es benutzen, um Jagang zu töten, auch wenn sie wusste, dass dies ihren sicheren Tod bedeuten und die Imperiale Ordnung durch den Tod eines einzelnen Mannes nicht aufzuhalten sein würde. Diese Männer waren wie Ameisen, das Zertreten einer einzelnen würde die Kolonie nicht zum Rückzug bewegen.
Früher oder später aber, darüber war sie sich im Klaren, würde sie hingerichtet werden, wahrscheinlich nicht ohne zuvor von Jagang eigenhändig grausam misshandelt zu werden. Verschiedentlich schon hatte sie ihn Menschen aus nichtigem oder gar keinem Anlass töten sehen, ihm ein Ende zu bereiten, würde also zumindest ihr Gerechtigkeitsgefühl befriedigen. An ihr früheres Leben besaß sie keinerlei Erinnerung; ihre bewusste Wahrnehmung seit ihrer Gefangennahme durch die Schwestern beschränkte sich auf eine dem Wahnsinn anheimgefallene Welt. Vermutlich konnte auch sie ihr keine Ordnung bringen, aber wenigstens konnte sie mit der Tötung Jagangs in einem kleinen Teil von ihr wieder Gerechtigkeit herstellen.
Einfach würde es allerdings nicht werden. Jagang war nicht nur körperlich kräftig und kampferprobt, er war zudem äußerst gerissen. Manchmal war sie sicher, dass er ihre Gedanken lesen konnte. Da er als Krieger oft ihre nächsten Schritte vorherzusehen vermochte, vermutete sie, dass sie in der Vergangenheit ebenfalls eine Kriegerin gewesen sein musste.
Aufgescheucht vom aufgeregten Getuschel ihrer Kameraden, traten überall im Lager Soldaten aus ihren Zelten, rieben sich den Schlaf aus den Augen und starrten im Nieselregen auf die eilige Prozession in ihrer Mitte. Andere ließen von ihrer Arbeit bei der Versorgung der Tiere ab, um zuzusehen, Reiter verhielten ihre Pferde, um den Kaiser passieren zu lassen, Wagen kamen rumpelnd zum Stillstand.
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