Tessa warf einen Blick auf den Eimer. Aus irgendeinem Grund wollten ihre Hände den Henkel nicht freigeben. »Was ist hier eigentlich drin? Ich meine, was genau habe ich dir gebracht?«, erkundigte sie sich.
»Das hat man dir nicht gesagt?«, fragte er verwundert. »Das ist Weihwasser. Um das herauszuspülen, was ich in mir habe.«
Nun starrte Tessa ihn verwundert an. »Was meinst du ...?«
»Ich vergesse immer wieder, wie vieles du noch nicht weißt«, sagte Will. »Erinnerst du dich, wie ich heute Abend de Quincey in den Arm gebissen habe? Nun ja, dabei habe ich auch ein paar Tropfen seines Bluts geschluckt. Keine großen Mengen, aber dazu bedarf es auch nicht viel.«
»Wozu?«
»Es bedarf nicht viel, mich in einen Vampir zu verwandeln.«
Bei diesen Worten ließ Tessa beinahe den Kübel fallen. »Du verwandelst dich in einen Vampir?«, stammelte sie.
Will grinste breit und stützte sich auf seinen Ellbogen. »Kein Grund zur Panik. Es dauert Tage, bevor dieser Prozess einsetzt, und selbst dann müsste ich erst einmal sterben, ehe die Verwandlung sich manifestieren könnte. Allerdings bewirkt de Quinceys Blut, dass ich mich unwiderstehlich zu Vampiren hingezogen fühle — in der Hoffnung, dass sie mich zu einem der ihren machen. Genau wie ihre Domestiken.«
»Und das Weihwasser ...«
»Neutralisiert die Wirkung des Bluts. Das bedeutet, dass ich es konstant trinken muss. Natürlich bereitet es mir Übelkeit ... und sorgt dafür, dass ich das Vampirblut und alles andere in mir hervorwürge, bis nichts davon mehr übrig ist.«
»Gütiger Gott.« Bestürzt streckte Tessa ihm den Kübel entgegen. »Dann sollte ich es dir wohl besser schnellstmöglich geben.«
»Ja, das solltest du wohl.« Will setzte sich auf, nahm den Eimer entgegen, warf einen finsteren Blick auf den Inhalt und hob den Kübel schließlich widerwillig an die Lippen. Nachdem er mehrere Schlucke getrunken hatte, verzog er angewidert das Gesicht, goss sich das restliche Wasser kurzerhand über den Kopf und schleuderte den leeren Eimer beiseite.
»Und das hilft?«, fragte Tessa mit aufrichtigem Interesse. »Sich das Wasser einfach so über den Kopf zu gießen?«
Will stieß ein unterdrücktes Geräusch hervor, das nur teilweise nach einem Lachen klang. »Du stellst Fragen ...« Er schüttelte den Kopf, sodass mehrere Wassertropfen von seinen Haaren auf Tessas Kleidung flogen. Das Wasser hatte den Kragen und die Front seines weißen Hemdes völlig durchweicht, wodurch das Gewebe nun transparent wirkte. Es klebte an seiner nackten Haut und ließ die Konturen seines Körpers deutlich hervortreten — die Rippen seiner harten Muskulatur, die scharfe Linie des Schlüsselbeins und die Runenmale, die sich wie schwarze Flammen durch den Stoff zu brennen schienen. Der Anblick erinnerte Tessa an eine Maltechnik, bei der man ein hauchdünnes Blatt Papier über eine Messing-Gravurplatte legte und mit Zeichenkohle darüberstrich, um die Konturen hervorzuholen. Sie musste kurz schlucken.
»Das Blut erzeugt einen Fieberanfall, der die Haut förmlich glühen lässt«, erklärte Will schließlich. »Es gelingt mir nicht, meine Temperatur zu senken. Und deshalb hilft das Wasser auch auf diesem Weg.«
Tessa starrte ihn stumm an. Als er im Dunklen Haus in ihr Zimmer eingedrungen war, hatte sie ihn für den attraktivsten jungen Mann gehalten, dem sie je begegnet war. Doch nun schaute sie ihn an, sah ihn auf eine Weise, wie sie noch nie einen Mann betrachtet hatte — auf eine Weise, die ihr das Blut in die Wangen schießen ließ und ihr die Kehle zuschnürte. Und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als ihn zu berühren, seine feuchten Haare zu berühren und seine muskulösen Arme ... um zu fühlen, ob sie wirklich so kräftig und hart waren, wie sie wirkten, und ob seine schwieligen Handflächen wirklich so rau waren. Und dann wollte sie ihre Wange an seine legen und spüren, wie seine Wimpern über ihre Haut streiften. Seine langen Wimpern ...
»Will«, brachte sie mühsam hervor, wobei ihre Stimme selbst in ihren eigenen Ohren dünn klang.
»Will, ich möchte dich etwas fragen ...«
Er schaute zu ihr hoch. Das Wasser ließ seine Wimpern zusammenkleben, sodass sie sternenförmige kleine Spitzen bildeten. »Ja?«
»Du verhältst dich oft so, als wäre dir alles egal«, fuhr Tessa atemlos fort. Sie hatte das Gefühl, als wäre sie einen steilen Berg hinaufgeklettert und würde nun auf der anderen Seite bergab stürmen, gegen ihren Willen und ohne Verschnaufpause — die Schwerkraft zog sie mit sich und es gab kein Halten mehr. »Aber ... ein jeder hat doch irgendetwas, das ihm nicht gleichgültig ist ... das ihm etwas bedeutet, oder?«
»Oder?«, wiederholte Will leise. Als sie nicht reagierte, stützte er sich mit den Händen auf dem Boden hinter ihm ab. »Tess«, sagte er. »Komm her und setz dich zu mir.«
Tessa tat wie ihr geheißen. Der Boden war feucht und kalt, aber sie ließ sich auf den unebenen Dielen nieder und raffte ihre Röcke so um sich, dass nur noch ihre Schuhspitzen unter dem Saum hervorschauten. Dann sah sie Will an — sie saßen einander nun direkt gegenüber. Im grauen Morgenlicht erschien sein Profil kalt und hart; lediglich seine Lippen wirkten weicher.
»Du lachst nie«, stellte Tessa fest. »Du tust immer so, als wenn für dich alles ein Witz wäre, aber du lachst nie. Nur manchmal, wenn du dich unbeobachtet fühlst, lächelst du vor dich hin.«
Will schwieg einen Moment und setzte dann fast widerstrebend an: »Du ... du bringst mich zum Lachen. Vom ersten Moment an ... als du mich mit dieser Flasche geschlagen hast.«
»Das war ein Krug«, berichtigte Tessa automatisch. Wills Mundwinkel zuckten. »Zum Beispiel mit deiner Eigenart, mich ständig zu korrigieren ... mit diesem seltsamen Ausdruck im Gesicht. Oder als du Gabriel Lightwood angefahren hast. Und sogar, als du de Quincey in seine Schranken verwiesen hast. Du bringst mich zum ...« Er verstummte und schaute sie an und Tessa fragte sich, ob sie wohl so aussah, wie sie sich fühlte — vollkommen sprach- und atemlos.
»Lass mich mal deine Hände sehen, Tessa«, forderte er sie plötzlich auf.
Tessa hielt ihm ihre Hände entgegen, die Handflächen nach oben.
Dabei warf sie selbst kaum einen Blick darauf — sie konnte sich einfach nicht von seinem Gesicht losreißen.
»Da klebt ja noch Blut«, konstatierte Will. »Hier, an den Handschuhen.«
Tessa schaute nach unten: Er hatte recht. Sie trug noch immer Camilles weiße Lederhandschuhe, die jedoch mit Blut und Asche beschmiert waren und an den Fingerspitzen eingerissen — eine Folge ihrer vergeblichen Bemühungen, Nates Handfesseln zu lösen.
»Oh«, sagte sie leise und versuchte, ihre Hände zurückzuziehen, um die Handschuhe abzustreifen. Doch Will gab nur ihre linke Hand frei; die rechte hielt er weiterhin leicht am Handgelenk fest. An seinem rechten Zeigefinger steckte ein schwerer Silberring mit einer kunstvollen Gravur — Vögel, die hoch in den Lüften schwebten. Er hatte den Kopf gesenkt, sodass seine feuchten schwarzen Haare nach vorn fielen und sein Gesicht verdeckten. Behutsam strich er mit den Fingerspitzen über den Handschuh, der am Gelenk mit vier Perlmuttknöpfen geschlossen war. Als er seine Finger darübergleiten ließ, sprangen sie auf und die Kuppe seines Daumens streifte über die nackte Haut an Tessas Handwurzel, unter der ihre blauen Adern schimmerten.
Die Berührung ließ Tessa heftig zusammenzucken.
»Will.«
»Tessa«, sagte er leise. »Was willst du von mir?«, murmelte er. Dann streichelte er erneut die Innenseite ihres Handgelenks, was seltsame, elektrisierende, wundervolle Impulse durch ihre Haut und Nerven jagte.
»Ich ... ich möchte dich verstehen«, erwiderte Tessa mit zittriger Stimme.
Er hob den Kopf und betrachtete sie durch seine langen Wimpern. »Ist das wirklich erforderlich?«
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