»Das läßt sich nicht ändern«, erwiderte Peter, »denn er hat recht. Die Bären hatten dieses Privileg. Ich weiß nicht, warum gerade dies in Erinnerung blieb, obwohl so vieles andere vergessen wurde.«
»Bitte, Eure Majestät«, mahnte der Bär.
»Es ist dein Recht«, sagte Peter. »Du sollst einer der Kampfrichter sein. Aber du mußt daran denken, daß du nicht an deinen Pfoten saugen darfst.« »Natürlich«, entgegnete der Bär mit empörter Stimme.
»Wieso – du tust es sogar in diesem Augenblick!« schrie Trumpkin.
Der Bär ließ die Pfote aus dem Maul gleiten und tat so, als habe er nichts gehört.
»Sire!« meldete sich eine helle Stimme vom Boden her. »Ach so – Riepischiep!« sagte Peter, nachdem er erst auf und ab und um sich geblickt hatte, wie alle es taten, wenn die Maus sie ansprach.
»Sire«, begann Riepischiep, »mein Leben gehört Euch, aber meine Ehre mir. Sire, unter meinen Leuten befindet sich der einzige Trompeter in der Armee Eurer Majestät. Ich hatte daher angenommen, man werde vielleicht uns mit der Herausforderung entsenden. Sire, meine Leute sind bekümmert. Vielleicht, wenn es Euch gefallen würde, mich zum Kampfrichter zu machen, würde es sie versöhnen.«
Als Riepischiep dies gesagt hatte, tönte von irgendwo oben ein donnerähnlicher Lärm. Der Riese Wetterfest war in eines der nicht so besonders klugen Gelächter ausgebrochen, die für die netten Riesen so bezeichnend sind. Er riß sich sofort zusammen und machte ein todernstes Gesicht, als Riepischiep entdeckt hatte, woher der Lärm kam. »Ich fürchte, das wird nicht gehen«, antwortete Peter sehr ernsthaft. »Manche Menschen sind vor Mäusen ängstlich.« »Das habe ich schon beobachtet, Sire«, sagte Riepischiep. »Und es wäre Miraz gegenüber nicht anständig«, fuhr Peter fort, »ihm etwas vor die Augen zu bringen, was seinen Mut auch nur im geringsten beeinträchtigen könnte.« »Eure Majestät ist der Spiegel der Ehre«, sagte die Maus mit einer ihrer bewunderungswerten Verneigungen, »und wir sind hier der gleichen Meinung... Habe ich nicht eben jemanden lachen hören? Wenn irgendeiner der Anwesenden mich zu verspotten wünscht, so stehe ich durchaus zu seinen Diensten – mit meinem Schwert –, wann es ihm gefällt.« Dieser Bemerkung folgte ein betretenes Schweigen, das durch Peters Worte gebrochen wurde: »Der Riese Wetterfest und der Bär und der Zentaur Talsturm sollen unsere Kampfrichter sein. Der Kampf wird um zwei Uhr nachmittags stattfinden. Das Essen bitte Punkt zwölf.«
»Hör mal«, sagte Edmund beim Fortgehen, »es wird doch wohl alles gutgehen? Ich meine, du kannst ihn doch schlagen?«
»Ich kämpfe gegen ihn, um eben das festzustellen«, entgegnete Peter.
14. Wie alle sehr beschäftigt waren
Etwas vor zwei Uhr saßen Trumpkin und der Dachs mit den anderen Geschöpfen am Saum des Waldes und blickten hinüber nach den schimmernden Reihen von Miraz’ Heer, das etwa zwei Bogenschußweiten entfernt stand. Dazwischen war ein viereckiger Grasplatz für den Zweikampf abgesteckt worden. An den Ecken drüben standen Glozell und Seifenspan mit gezogenen Schwertern. An den Ecken diesseits standen der Riese Wetterfest und der Wohlbeleibte Bär, der trotz allen Warnungen an seinen Pfoten saugte und – ehrlich gestanden – ungewöhnlich dumm aussah. Um dies auszugleichen, hielt sich Talsturm auf der rechten Seite der Schranken stocksteif, außer wenn er gelegentlich mit einem Huf des Hinterfußes auf den Rasen stampfte. Er sah viel eindrucksvoller aus als der ihm links gegenüberstehende Telmarer Baron. Peter hatte soeben Edmund und dem Doktor die Hand geschüttelt und begab sich nun zum Kampf hinunter. Es war wie bei einem Rennen, kurz bevor der Startschuß abgefeuert wird, nur sehr viel schlimmer.
»Wäre doch Aslan erschienen, bevor es soweit kommen mußte«, meinte Trumpkin.
»Ja«, sagte Trüffeljäger, »aber schau hinter dich.« »Krähen und Kraniche«, murmelte der Zwerg, nachdem er sich umgesehen hatte. »Wer ist denn das? Große Leute – schöne Leute – wie Götter und Göttinnnen und Riesen. Hunderte und Tausende schließen sich hinter uns zusammen. Wer sind sie?« »Das sind die Quellweibchen, Waldfeen und Baumgeister«, erwiderte Trüffeljäger. »Aslan hat sie erweckt!« »Soso!« sagte der Zwerg. »Das kann sehr nützlich sein, wenn die Feinde Verrat versuchen. Aber es wird unserem König wenig helfen, falls Miraz mit dem Schwert geschickter sein sollte.«
Der Dachs antwortete nicht, denn eben jetzt betraten von den beiden entgegengesetzten Seiten Peter und Miraz den Kampfplatz, beide zu Fuß, beide mit Kettenpanzern, Helmen und Schilden. Sie schritten vorwärts, bis sie dicht voreinander standen. Beide verneigten sich und schienen etwas zu sagen, aber es war unmöglich zu verstehen, was sie sprachen. Im nächsten Augenblick funkelten die beiden Schwerter im Sonnenlicht. In den ersten Sekunden konnte man noch hören, wie sie zusammenkrachten, aber dann wurde dieses Geräusch sofort übertönt, weil beide Heere, wie Zuschauermassen bei einem Fußballspiel, zu brüllen begannen.
»Gut, Peter, oh, sehr gut«, rief Edmund, als er Miraz einen ganzen Schritt und noch einen halben dazu zurücktaumeln sah. »Nutz es aus, schnell!« Peter tat es, und einige Augenblicke lang sah es so aus, als sei der Kampf gewonnen. Aber dann riß sich Miraz zusammen und machte kräftig Gebrauch von seiner Größe und seinem Gewicht. »Miraz! Miraz! Der König! Der König!« brauste das Gebrüll der Telmarer. Kaspian und Edmund wurden aus bedrückender Angst bleich. »Peter muß einige schreckliche Schläge einstecken«, bemerkte Edmund.
»Hallo?« fragte Kaspian. »Was passiert denn nun?« »Die beiden trennen sich«, erklärte Edmund, »vermutlich ein bißchen angeschlagen. So, jetzt beginnen sie wieder und diesmal etwas kunstvoller. Sie kreisen umeinander und tasten ihre Stärke ab.« »Ich fürchte, dieser Miraz versteht sein Handwerk«, murmelte der Doktor. Aber kaum hatte er das gesagt, als die alten Narnianen begannen, ohrenbetäubend zu klatschen, sich vorzudrängen und ihre Kappen zu schwenken.
»Was war das? Was war das?« fragte der Doktor. »Meine alten Augen sehen nicht gut genug.«
»König Peter hat ihn in die Achselhöhle gestochen«, antwortete Kaspian und klatschte weiter. »Gerade dort, wo man durch das Ärmelloch dringen kann. Das erste Blut.«
»Es sieht trotzdem wieder schlecht aus«, meinte Edmund.
»Peter benutzt seinen Schild nicht richtig. Er muß am linken Arm verwundet sein.«
Das stimmte leider. Alle konnten erkennen, daß Peters Schild schlaff herunterhing. Die Zurufe der Telmarer vervielfachten sich.
»Ihr habt mehr Kämpfe miterlebt als ich«, sagte Kaspian. »Ist noch etwas zu hoffen?«
»Herzlich wenig«, antwortete Edmund. »Vielleicht schafft er es gerade, wenn er Glück hat.«
»Ach, warum ließen wir es überhaupt zu!« rief Kaspian aus. Dann erstarben plötzlich die Rufe auf beiden Seiten. Edmund war für eine kurze Weile unschlüssig, dann sagte er: »Oh, ich verstehe. Sie haben sich geeinigt, eine Ruhepause einzulegen. Kommen Sie, Herr Doktor. Vielleicht können wir beide etwas für unseren König tun.« Sie rannten hinunter an die Schranken, und Peter traf außerhalb der Seile mit ihnen zusammen. Sein Gesicht war gerötet; es triefte von Schweiß, seine Brust atmete schwer. »Bist du am linken Arm verwundet?« fragte Edmund. »Es ist nicht gerade eine Wunde«, antwortete Peter. »Ich bekam das volle Gewicht seiner Schulter auf den Schild – wie eine Ladung von Ziegelsteinen, und dabei bohrte sich die Spitze des Schildes in mein Handgelenk. Ich glaube nicht, daß es gebrochen ist, aber es kann verrenkt sein. Wenn ihr es ganz fest bandagiert, kann ich wohl damit weitermachen.« Während sie das taten, fragte Edmund angstvoll: »Was hältst du von ihm, Peter?«
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