Nimor nickte ihr knapp ein Danke zu, achtete aber darauf, daß sein Blick nicht zu lange auf Aliisza ruhte, solange sie so dicht neben Kaanyr stand. Er bezweifelte, daß sie ihrem Herrn jedes Detail ihres Besuchs in Gracklstugh erzählt hatte, und er wollte dem Halbdämon keinen Anlaß geben, neugierig zu werden und Fragen zu stellen.
»Die Weisheit der Dame Aliisza ist so groß wie ihre Schönheit«, sagte er. »Um einen Streit zu vermeiden, schlage ich folgendes vor: Horgar fallen fünf Zehntel des Vermögens, der Bevölkerung und des Territoriums von Menzoberranzan zu. An Kaanyr gehen drei Zehntel, und zwei Zehntel gehen an mein Haus, aus denen ich die Agrach Dyrr mit abfinden werde. Das alles bedarf natürlich noch gewisser Verhandlungen und Korrekturen, wenn Menzoberranzan in unserer Hand ist.«
»Meine Armee ist mehr als doppelt so groß wie die des Cambion. Wieso bekommt er einen größeren Anteil als die Hälfte des meinen?« fragte Horgar.
»Weil er hier ist«, gab Nimor zurück. »Nehmt Eure Armee und geht wieder nach Hause, wenn Ihr wollt, Horgar. Aber seht Euch um, ehe Ihr aufbrecht. Wir befinden uns am Lustrum, der Mithral-Mine des Hauses Xorlarrin. Menzoberranzan hat die Kontrolle über Dutzende solcher Schätze, und die Burgen und Schluchten sind mit dem Reichtum von fünftausend Jahren gefüllt. Wenn Ihr nicht kämpft, werdet Ihr keinen Anteil bekommen.«
Dies war der andere Grund, warum Nimor das Lustrum als Treffpunkt ausgewählt hatte. Es war ein verlockender Vorgeschmack auf die Beute, die sie erwartete.
Horgars Blick verfinsterte sich, doch der Duergar wandte sich ab und betrachtete die Kluft und die umliegenden klaffenden Stollen. Marschall Borwald beugte sich vor und flüsterte dem Kronprinzen etwas zu, die anderen Gutsherren tuschelten untereinander. Nach einem Moment schob er die dicken Daumen unter den Gürtel, dann räusperte er sich.
»Nun gut. Unter dem Vorbehalt abschließender Verhandlungen sind wir einverstanden. Wie wollt Ihr die Stadt bezwingen?«
»Ihr werdet Menzoberranzan zwischen Euren Armeen aufreiben«, sagte Nimor. »Angesichts Eures Sieges bei den Säulen des Leids werden die Lolthiten Euren Angriff erwarten. Doch wegen dieses Labyrinths aus Gängen rings um die Stadt kann niemand sagen, aus welcher Richtung Ihr angreifen werdet. Das bedeutet, daß die Menzoberranzanyr ihre Armee in der Stadtmitte aufstellen müssen, damit sie sich von dort an den Punkt begeben, an dem die Stadt angegriffen wird. Die Geknechtete Legion wird für diese Bedrohung sorgen, und sobald wir die Lolthiten in diesen Kampf gelockt haben, wird die Armee aus Gracklstugh den zweiten Angriff starten und in die Stadt vordringen.«
»Kein schlechter Plan«, stellte Kaanyr fest. »Doch genau das werden die Menzoberranzanyr unter den momentanen Umständen erwarten. Sie werden sehr vorsichtig sein, ehe sie ihre ganze Kraft einer einzelnen Bedrohung entgegenstellen.«
»Ja«, meinte Horgar. »Wie wollt Ihr sie in die Falle locken, nachdem sie bei den Säulen des Leids schon einmal in eine Falle gegangen sind?«
Nimor lächelte. Es war ihm nicht entgangen, daß Horgar und Kaanyr Vhok mit einem Mal das taktische Problem diskutierten, wie Menzoberranzan zu besiegen war, daß sie aber nicht mehr darüber stritten, welchen Lohn sie für ihre Bemühungen erwarteten.
»Meine Brüder und ich gehen davon aus, daß wir in dieser Hinsicht helfen können«, sagte er. »Wir sind zwar zahlenmäßig klein, aber wir sind bestens plaziert, und, meine Herren, außerdem scheint Ihr vergessen zu haben, daß wir noch Haus Agrach Dyrr haben.«
Prinz Horgar und Kaanyr Vhok nickten und lächelten, als er sie daran erinnerte.
Mach dich auf etwas gefaßt, Menzoberranzan, dachte Nimor. Ich bin auf dem Weg.
»Ich hätte mir im Leben nicht so viele Dämonen vorstellen können«, stöhnte Ryld. Er stützte sich auf Splitter und sah zu, wie eine riesige fledermausähnliche Gestalt kraftlos in die Finsternis trudelte und vergeblich zu fliegen versuchte, nachdem der Zweihänder des Waffenmeisters ihre Flügel zerfetzt hatte. Er richtete sich auf und fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. »Es wird immer wärmer. Ich hoffe, wir sind in der Nähe dessen, was wir suchen.«
Halisstra und die anderen standen in der Nähe, schwankten wegen Schwindels oder zitterten vor Erschöpfung, da diese Umgebung ihnen alles abverlangte. Es kam ihnen vor, als seien sie schon seit Stunden damit beschäftigt, sich ihren Weg am Faden entlang freizukämpfen. Zeitweise konnten sie über viele Kilometer hinweg ungestört absteigen und fanden auf dem Faden allenfalls Leichen vor, doch immer häufiger kamen ihnen Dämonen in die Quere, die sehr lebendig und sehr hungrig waren. Die meisten dieser höllischen Kreaturen stürzten sich kopfüber in die Schlacht, als seien sie von jeglicher Vernunft verlassen, doch einige von ihnen waren immer noch intelligent genug, ihre magischen Fähigkeiten gegen die Eindringlinge zum Einsatz zu bringen.
Mit Fängen, Klauen, Stacheln und unheiliger Hexerei geißelten und bedrängten die Bewohner des Abgrunds der Dämonennetze die Drow-Gruppe. Zusätzlich erschwert wurde den Drow der Weg dadurch, daß Quenthel Pharaun angewiesen hatte, seine Zauber zu sparen, womit sie jeder neuen dämonischen Bedrohung nicht mit Magie, sondern mit Stahl begegnen mußten.
»Spart Euch Eure Worte, Meister Argith«, sagte Quenthel, die sich langsam erhob. An ihrer Peitsche klebte das Blut Dutzender Dämonen. »Wir müssen weiter.«
Die Gruppe hatte kaum mehr als vierzig Schritt zurückgelegt, als ein Schaudern durch den Faden lief. Aus der Tiefe tauchte im nächsten Moment eine unermeßlich große Klauenhand auf.
Was sich ihnen von der unteren Seite des Netzes näherte, die sie von ihrer Position aus nicht sehen konnten, war ein gewaltiger Dämon mit dem Kopf eines Büffels und stinkendem, rauhem Fell, das auf Schultern und Rücken wuchs. Er zog sich auf die obere Seite des Fadens empor und brüllte laut.
»Ein Goristro!« rief Pharaun. »Was bei allen Höllen hat das Ding hier zu suchen?«
»Zweifellos eines von Lolths Schoßtieren, das entkommen ist«, erwiderte Tzirik.
Der vhaeraunitische Priester begann, einen Zauber zu intonieren, während die anderen zur Tat schritten. Noch ehe das Monster sich aufrichten konnte, hatte ihm Valas drei Pfeile in den Leib gejagt. Die schwarzen Geschosse ragten aus seiner Schulter und seinem Hals wie Nadeln aus einem Nadelkissen. Der Goristro schnaubte vor Wut und Schmerz, und mit einer wuchtigen Klauenhand griff er nach dem Kadaver eines kleinen Spinnendämons und schleuderte ihn auf Valas, den er in dem Moment traf, als der Späher in den Köcher griff, um weitere Pfeile vorzuholen. Der Aufprall traf ihn so unerwartet, daß er den Halt verlor und seitlich wegrutschte, während er in mehreren Sprachen laute Flüche ausstieß.
Ryld stürmte los, Splitter hoch erhoben. Quenthel war an seiner Seite, gleichzeitig versuchten Halisstra und Danifae, die Bestie von einer Seite zu umkreisen, was sich auf dem schmalen Faden als schwierig erwies.
Tzirik beendete seinen Zauber und stieß ein tiefes, grollendes magisches Wort aus, woraufhin vor dem Torso des Goristro eine große, sich drehende Scheibe Gestalt annahm, deren Rand mit scharfen Klingen besetzt war. Die Scheibe traf das Monster, Blut spritzte, doch es ließ sich davon nicht beeindrucken.
»Was ist nötig, um dieses Ding aufzuhalten?« rief Halisstra. »Hat es Schwächen?«
»Es ist dumm«, erwiderte Pharaun, »und kaum empfindungsfähig.«
Der Magier gestikulierte und traf das Monster mit einem leuchtend grünen Energiestrahl, der sich in dessen Brust fraß, während Tzirik Ryld und Quenthel folgte, um ihnen gegen den Goristro zu helfen. Der Waffenmeister und die Hohepriesterin schlugen nach dem Rumpf der Kreatur, mußten aber immer wieder den Hieben ihrer gewaltigen Fäuste ausweichen. Quenthel wurde getroffen und landete auf Händen und Knien, doch es gelang ihr, ein Stück wegzukriechen, ehe das Monster ihr den Rest geben konnte.
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