Sie fiel auf Hände und Knie und befand sich inmitten der Gruppe ihrer Gefährten, die von ihr nichts wahrnahmen, sondern selbst nur sprachlos Vhaerauns haßerfüllte Attacke mit ansahen. Ryld kniete neben Splitter, hatte den Blick abgewandt und ließ in stoischer Ruhe einen Schlag nach dem anderen über sich ergehen. Valas tänzelte erregt umher und ruderte mit Armen und Beinen wie eine Spinne, die von einer Nadel durchbohrt worden war. Der Späher wußte nicht, ob er zusehen, fliehen oder sich verstecken sollte und schien zu versuchen, alles gleichzeitig zu tun. Pharaun schwebte ein kleines Stück über dem Boden, um sich vor den Erschütterungen zu schützen, und er hatte sich mit irgendeinem Zauber abgeschirmt, während er von seinen Gefährten zu Vhaeraun, dann zu Tzirik und schließlich zurück zu dem Gott sah. Danifae kauerte in seiner Nähe und schaffte es fast anmutig, sich auf den Beinen zu halten, während sie jeden Schlag beobachtete. Quenthel stand stocksteif da, wurde von jeder Erschütterung durchgerüttelt und hatte ihre Arme so eng um sich gelegt, als wolle sie ihre Pein in Schach halten. Sie verfolgte das Geschehen mit einer kranken Faszination, unfähig, einzugreifen.
Dann endlich löste sich Pharaun aus seiner Unentschlossenheit, ließ sich zu Quenthel treiben und faßte sie am Arm.
»Was geschieht hier?« brüllte der Magier ihr ins Ohr. »Was tut er da?«
Quenthel preßte frustriert die Kiefer zusammen.
»Ich weiß nicht«, räumte sie ein. »Hier stimmt etwas nicht. Es ist falsch, hier sind keine Seelen.«
»Was für Seelen?« fragte der Magier. »Sollen wir eingreifen?«
Ryld und Valas Hune sahen gleichzeitig erschrocken auf.
»Er ist ein Gott«, brachte Ryld heraus und übertönte den ohrenbetäubenden Lärm. »Was schlägst du vor?«
»Na gut. Aber bleiben wir und sehen weiter zu oder gehen wir? Das hier scheint kein sicherer Aufenthaltsort zu sein«, erwiderte Pharaun.
Eine weitere Schockwelle traf die Gruppe, Pharauns Schutzschild flammte hell auf.
»Ich bin nicht sicher, ob wir gehen können, selbst wenn wir es wollen«, hielt Ryld dagegen. Er sah zu Tzirik, der dem Ganzen mit finsterem Vergnügen zuzusehen schien. »Brauchen wir ihn nicht?«
»Sollten wir gehen, auch wenn wir uns selbst damit retten?« fügte Valas Hune an. »Man dürfte uns ... das hier ... vorwerfen.« Der Späher schirmte die Augen ab, um nicht Vhaerauns Treiben weiter zusehen zu müssen. »Was, wenn er in den Tempel gelangt, Herrin? Ist Lolth dort?«
Quenthel stieß einen Verzweiflungsschrei aus.
Danifae fiel Quenthel zu Füßen und fragte: »Herrin, wart Ihr schon einmal hier?«
»Ich weiß es nicht!« brüllte die Herrin Arach-Tiniliths.
Sie entriß Pharaun ihren Arm und rannte zu Tzirik, wobei ihr immer wieder der Boden unter den Füßen förmlich weggezogen wurde. Sie zerrte ihn weg vom Tempel und holte ihn abrupt aus seiner finsteren Bewunderung für Vhaeraun. Mit beiden Händen faßte sie den Brustpanzer seiner Rüstung.
»Was tut er da?« wollte sie wissen. »Was habt Ihr angerichtet?«
Tzirik blinzelte und schüttelte den Kopf, die Augen hinter seiner Maske waren noch vom Glanz seiner Vision erfüllt.
»Wißt Ihr nicht, was Ihr da mit anseht, Priesterin von Lolth?« lachte Tzirik lauthals. »Ihr habt das seltene Glück, bei der Vernichtung Eurer Göttin anwesend zu sein!« Er löste Quenthels Hände von seiner Rüstung und trat einen Schritt zurück, während seine Stimme vor Schadenfreude höher wurde: »Ihr wollt wissen, was hier vorgeht, Lolthitin? Ich will es Euch sagen. Der Maskierte Gott wird Eure Spinnenkönigin vom Thron stürzen und ihrer schwarzen Tyrannei für immer ein Ende setzen! Unser Volk wird endlich von ihrem schädlichen Einfluß befreit werden, und Ihr und der Rest Eurer parasitären Art werdet mit ihr weggespült werden!«
Quenthel knurrte ihn zornig an: »Ihr werdet nicht lange genug leben, um das mit anzusehen!«
Sie holte mit ihrer Peitsche aus, um das triumphierende Grinsen von Tziriks Gesicht zu prügeln. Doch noch ehe sie den Arm nach vorn bewegen konnte, machte Vhaeraun – der einen Pfeilschuß weit entfernt war und mit dem Rücken zu der Gruppe stand, während er unablässig auf den immer größer werdenden Riß im steinernen Gesicht einschlug – mit der linken Hand eine knappe Geste, ohne sich von dem Tor abzuwenden. Unter Quenthels Füßen schoß eine Säule schwarzer Magma in die Höhe, die sie mehrere Meter in die Luft wirbelte. Tzirik, der fast in Reichweite stand, blieb unversehrt, wohingegen die Drow in alle Richtungen davoneilten, um dem Aufprall der großen heißen Brocken aus geschmolzenem Gestein aus dem Weg zu gehen.
Vhaeraun wurde währenddessen in seinem hämmernden Rhythmus nicht für einen Moment langsamer. Er holte immer wieder aus, während Quenthel hinter ihm auf dem Pflaster des Platzes aufschlug und laut schrie, da Stücke des infernalischen Gesteins an ihrer Haut klebten und sich ins Fleisch brannten. Valas Hune und Ryld eilten ihr zu Hilfe. Danifae zuckte zusammen, konnte ihren Blick aber nicht von Vhaeraun abwenden, der in seinem zerstörerischen Bemühen nicht für einen Moment nachließ.
Pharaun betrachtete kopfschüttelnd die Szene und murmelte: »Wahnsinn.«
Mit der Hand beschrieb er eine sonderbare Geste und verschwand, vermutlich, um sich an einen Ort zu teleportieren, der sicherer war als dieser. Halisstra sah ihn verschwinden und starrte einen Moment lang auf die leere Stelle, ehe ein weiterer Treffer von Vhaerauns Schwert sie zu Boden warf. Geschlagen lag sie da, während ein Stück weiter Quenthel vor Schmerz schrie und um sich schlug.
»Ah«, hauchte Vhaeraun. Der Gott trat von dem Gesicht zurück, das durch eine leuchtend grüne Narbe gespalten war, die von der Mitte der Stirn über den Nasenrücken bis zum Kinn verlief. »Hast du noch immer nichts zu sagen? Willst du schweigend sterben?«
Das Gesicht blieb reglos, das wirbelnde Licht in den nach innen gerichteten Augen war unverändert, doch wieder schien etwas von einem schrecklichen Geräusch begleitet an der Struktur des Kosmos zu reißen. In der Luft nahe dem Gesicht entstand eine weitere schwarze Öffnung, aus der ebenfalls eine göttliche Gestalt hervortrat.
Während Vhaeraun schlank und anmutig war, besaß der Neuankömmling ein alptraumhaftes Aussehen. Er war halb Spinne, halb Drow und hielt in seinen sechs sehr muskulösen Armen schlagbereit ein ganzes Waffenarsenal an Schwertern und Streitkolben. Jedes der chitinartigen Beine lief in eine gefährliche scherenartige Klaue aus, nur sein Gesicht war perverserweise das eines attraktiven Drow.
»Geh, Maskierter«, befahl der Spinnengott mit gequälter, brummelnder Stimme. »Es ist dir verboten, hier einzudringen.«
»Wage es nicht, dich zwischen mich und meine Bestimmung zu stellen, Selvetarm!«
Der monströse Spinnengott Selvetarm wartete nicht länger, sondern schoß mit atemberaubender Geschwindigkeit vor, wirbelte alle seine Klingen in einer Angriffswelle, die innerhalb von zwei Herzschlägen ein Dutzend Giganten hätte verstümmeln können.
Vhaeraun wirbelte zur Seite und tänzelte durch den Sturm aus stählernen Klingen, als würde er Selvetarms Waffen nachjagen, nicht umgekehrt. Schläge, denen er nicht ausweichen wollte, blockte er einfach ab und parierte sie mit himmlischer Eleganz. Als die Waffen der Götter aufeinanderprallten, wurde der Grund von Donnerschlägen erschüttert.
Halisstra stemmte sich hoch und beobachtete erstaunt, was sich vor ihren Augen abspielte. Sie hätte die Szene unendlich lange beobachten können, doch Ryld tauchte neben ihr auf.
»Wir brauchen Eure heilenden Gesänge«, zischte er. »Quenthel hat schwere Verbrennungen.«
Was macht das noch? fragte sich Halisstra.
Dennoch erhob sie sich und bahnte sich den Weg zu der gestürzten Priesterin. Quenthel wand sich auf dem Boden und stieß gequält den Atem aus, während sie erfolglos versuchte, den Schmerz zu kontrollieren. Ohne von dem unglaublichen Duell Notiz zu nehmen, das zwischen den beiden Göttern hin und her ging, konzentrierte sich Halisstra auf die Verletzungen der Baenre und schaffte es, zu einem Bae’qeshel- Lied anzusetzen. Sie legte ihre Hände auf Quenthels Verbrennungen und wirkte ihren Zauber, so gut sie konnte, während sie feststellte, daß die Ausübung ihres Talents sie für einen Moment zur Ruhe kommen ließ. Quenthel hörte auf, um sich zu schlagen, und öffnete die Augen. Da sie ihren Zauber gewirkt hatte, ließ Halisstra sich einfach wieder fallen und starrte zu den kämpfenden Göttern.
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