Ryld und Valas standen vor der Wand aus umherwirbelnden Klingen und sahen hilflos mit an, wie der Priester unbeirrt weitermachte. Danifae und Quenthel waren weiter entfernt, doch auch sie wußten keinen Rat. Die Entschlossenheit, etwas zu tun, stand im krassen Gegensatz zu ihrer Unfähigkeit zu entscheiden, was sie unternehmen sollten. Halisstra stand da und beobachtete die Szene, doch sie wartete einfach, in welcher Form sie ihr eigenes Ende ereilen würde.
»Tzirik, hört auf!« rief Valas Hune. »Ihr habt uns heute schon genug in Gefahr gebracht, wir werden nicht zulassen, daß Ihr damit weitermacht.«
»Tötet ihn, Valas«, sagte Danifae. »Er wird nicht auf uns hören, und er wird auch nicht aufhören.«
Der Späher stand wie gelähmt da, während der Gesang des Priesters sich den letzten, triumphalen Noten näherte. Er ließ geschlagen die Schultern sinken, dann riß er ohne Vorwarnung den Bogen hoch und schoß.
Der erste Pfeil wurde von einer wirbelnden Klinge abgelenkt, doch der zweite kam durch und durchbohrte Tziriks Hand. Der Priester schrie vor Schmerz auf und ließ die Schriftrolle los, die unverbraucht zu Boden fiel.
Der Jaelre wirbelte zu Valas Hune herum, Haß brannte in seinen Augen, die durch seinen Helm hindurch zu sehen waren. »Seid Ihr noch immer der Laufbursche der Weibsbilder, Valas Hune? Seht Ihr nicht, daß Ihr für sie nur ein wohlerzogener Hund seid? Warum beharrt Ihr darauf, weiter der Spinnenkönigin treu zu sein, wenn Ihr den Maskierten Gott anbeten und wahre Freiheit erfahren könnt?«
»Lolth tut, was sie will«, antwortete Valas. »Ich dagegen bin Bregan D’aerthe treu, und meiner Stadt. Wir können nicht zulassen, daß Ihr oder Euer Gott uns von unserer Suche abbringt.«
Tziriks Miene verfinsterte sich. »Ihr und Eure Gefährten werdet Euch Vhaeraun nicht widersetzen. Das werde ich nicht zulassen.«
Er hockte sich hin und hob seinen Schild, während er die Worte eines anderen göttlichen Zaubers knurrte. Valas Hune schoß wieder, doch diesmal prallten seine Pfeile vom Schild ab. Tzirik vollendete seinen Zauber und preßte die verwundete Hand auf den Boden. Ein gewaltiges Zittern ging durch den Stein und erreichte die Menzoberranzanyr, die wie Marionetten umhergeworfen wurden, in der Ebene aus schwarzem Stein bildeten sich große Risse, die in die absolute Schwärze darunter führten.
Valas taumelte vor und zurück, während er versuchte, das Gleichgewicht zu halten, obwohl die Steine unter ihm barsten und sich aufbäumten. Danifae brachte sich in Position und feuerte ihre Armbrust ab; der Bolzen flog zwischen den Klingen hindurch, traf Tzirik mit großer Wucht am Brustpanzer, zerbrach aber an der Rüstung des Priesters in kleine Stücke.
Quenthel gelang ein verzweifelter Sprung zur Seite, um nicht von dem klaffenden Spalt gleich unter ihr verschluckt zu werden. Sie rollte ungelenk ein Stück weit, und als sie sich wieder aufrichtete, hielt sie eine Eisenrute in der Hand. Die Hohepriesterin stieß einen Befehl aus, und sofort schoß eine weiße Sphäre aus magischer, zähflüssiger Substanz auf den Priester zu. Dessen wirbelnde Klingen jedoch zerfetzten die Kugel, die in einem Regen aus klebrigen Streifen verging.
»Steht auf, Halisstra!« zischte Quenthel. »Eure Schwestern brauchen Euch!«
Kaum hatte sich Halisstra aufgerichtet, wurde sie von dem gewaltigen Beben wieder umgerissen. Sie schüttelte den Kopf und unternahm einen neuen Versuch.
Meine Schwestern brauchen mich? dachte sie. Seltsam, wo doch Lolth offenbar keine Verwendung mehr für jemanden hat, der als ihre Priesterin dient. Wenn Lolth beschließt, sich von mir abzuwenden, um meine Treue und meine Hingabe anzuspornen, kann ich mich wenigstens entsprechend revanchieren.
Ihr Leben lang hatte sich Halisstra bereitwillig mit ihren ärgsten Feinden, ihren erbittertsten Rivalen zusammengetan, wenn eine Bedrohung für die Alleinherrschaft der Dunkelelfen auftauchte, zu denen sie und die anderen Drow gehörten. Beim Blick in die endlose leere Weite des Abgrunds der Dämonennetze stellte sie fest, daß sie nicht einen einzigen Schritt mehr in Lolths Namen machen würde.
»Laßt ihn tun, was er will«, sagte sie zu Quenthel. »Lolth hat mich Gleichgültigkeit gelehrt. Wenn wir es geschafft haben sollten, heute Lolths Existenz zu retten, glaubt Ihr, sie wäre uns dankbar? Wenn ich mir das Herz aus dem Leib risse und es auf den Altar der Spinnenkönigin legte, glaubt Ihr, sie würde sich über mein Opfer freuen?«
Ein verbittertes Lachen entstieg ihrer Kehle, dem sich Halisstra hingab, während die Beben nachließen. In ihrem Herzen fühlte sie Schmerz, der die Welt in Stücke hätte reißen können, doch sie fand nicht die Stimme, die den Schmerz in Worte hätte fassen können.
Quenthel sah sie entsetzt an.
»Gotteslästerung«, flüsterte sie.
Die Herrin Arach-Tiniliths nahm ihre Peitsche und wandte sich Halisstra zu, doch ehe sie zuschlagen konnte, wirkte Tzirik einen neuen Zauber, der die Gruppe unter Schichten aus weißglühenden Flammen begrub, die auf der Steinfläche hin und her schwappten wie Wasser auf einem Teller. Halisstra warf sich zu Boden und schrie vor Schmerz, die anderen fluchten und brüllten etwas, während sie nach einer Deckung suchten, die es nicht gab.
»Laßt mich allein!« befahl Tzirik in seinem Käfig aus wirbelndem Stahl.
Er bückte sich und hob die Schriftrolle auf, gleichzeitig erhoben sich die Menzoberranzanyr von dem qualmenden Stein.
Ryld stand langsam auf, die Haut an seinen Händen und in seinem Gesicht war versengt, und sah zu dem Kleriker, der erneut begann, den Zauber zu wirken. Der Waffenmeister studierte die Klingen, die um den Priester herumwirbelten. Mit der Schnelligkeit einer Raubkatze zog er die Beine an und sprang durch die Barriere, wobei er sich so klein wie nur möglich machte. Blut spritzte umher, als die magischen Klingen die Freiräume zwischen den Einzelteilen seiner Zwergenrüstung trafen – doch dann hatte der Meister Melee-Magtheres die Barriere überwunden.
Mit einem tierischen Schmerzenslaut landete er auf den Füßen. Splitter hielt er ein wenig ungelenk in den zerschnittenen Händen, doch er konnte die Spitze seines Zweihänders tatsächlich gegen Tzirik richten. Wieder war der gezwungen, seine Schriftrolle fallenzulassen. Mit seinem Schild wehrte er den Stich ab, mit dem dornenbewehrten Streitkolben holte er nach Ryld aus.
Ryld wich aus, indem er einen Satz nach hinten machte. Dabei kam er der Barriere so nahe, daß Funken von seinen Schultern flogen, als die Klingen seine Rüstung trafen. Er ging wieder zum Angriff über und schlug mit Splitter nach Tzirik.
Valas Hune, der jenseits der wirbelnden Klingen stand, berührte den neunzackigen Stern auf seiner Brust und verschwand in einem Augenblick, um im nächsten innerhalb der Barriere hinter Tzirik wieder aufzutauchen. Er ließ seinen Bogen fallen und griff nach seinen Kukris, doch Tzirik kam ihm zuvor.
Der Kleriker wandte Ryld abrupt den Rücken zu, machte drei ausholende Schritte und rammte seinen schweren Schild in den Mann von Bregan D’aerthe, als Valas gerade seine Messer umfaßte. Mit einem wütenden Brüllen schob der Jaelre Valas Hune nach hinten gegen den Vorhang aus tödlichen Klingen und drängte den Späher hindurch, der sich drehte und schrie, als der Stahl in sein Fleisch schnitt.
Ryld ließ Tzirik dafür bezahlen, indem er nach vorn jagte, um mit einem kraftvollen, mit beiden Händen geführten Schlag nach dessen Torso auszuholen. Doch Tziriks Brustpanzer hielt dem Treffer stand. Tzirik seinerseits sprang auf Ryld zu, bis er in Reichweite des Kämpfers war, dann ließ er mit seinem Streitkolben eine Salve heftiger Schläge auf ihn niederprasseln, mit der er den Waffenmeister zurückdrängte.
Ryld machte sich für einen neuen Angriff bereit, doch in diesem Augenblick warf sich auch Quenthel durch die Klingen. Eine davon schnitt tief in ihre Wade, so daß sie den Halt verlor und auf einem Knie landete, während sie schmerzhaft nach Luft rang. Tzirik trat zurück, um außerhalb der Reichweite von Quenthels Peitsche zu sein, dann stieß er einen raschen Zauber aus, der Rylds Willen ebenso lähmte wie all seine Muskeln, so daß der Kämpfer reglos stehenblieb.
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