Als Narla und ich in das Lokal gebracht wurden, stand als erstes ein gründliches Bad auf dem Programm, das uns von Schmutz und Läusen befreien sollte. Selten habe ich ein Bad so genossen.
»Paga!« rief ein Mann.
»Ich sage einem anderen Mädchen Bescheid, Herr«, rief ich im Vorbeigehen. Ich war unterwegs zum zweiten Balkon.
Auf der Rampe kam mir Narla entgegen. Ich gab ihr die Bestellung weiter.
Gleich darauf erreichte ich mein Ziel. Ich kniete vor dem Tisch auf dem zweiten Balkon nieder, stellte das Tablett auf dem Boden ab und arrangierte Fleisch und Käse auf dem Tisch, dazu Saucen und Früchte, Weine und Nüsse.
»Wünschen die Herren noch etwas von Yata?« fragte ich.
»Laß uns allein, Sklavin«, antwortete die freie Frau, die mit ihrer Eskorte am Tisch saß. Manchmal suchten freie Frauen die Taverne auf. Ihre Stimme klang nicht besonders freundlich.
»Ja, Herrin«, flüsterte ich, nahm das Tablett und zog mich mit gesenktem Kopf zurück.
Freie Frauen kamen manchmal in Begleitung in die Taverne. Ohne sie wären die Männer ihrer Eskorte sicher nicht abgeneigt gewesen, sich näher mit Yata zu befassen.
Ich trat an das Balkongeländer und blickte nach unten. Ich befand mich gut fünfundzwanzig Fuß über dem Holzboden des Innenhofes.
Gäste kamen und gingen. Ich stand auf dem höchsten Balkon, das Tablett unter dem Arm, und betrachtete die Szene.
Man hatte immer noch nicht Kontakt mit mir aufgenommen. Ich wußte nicht, warum. Nach außen hin war ich ein unwichtiges Pagamädchen, weiter nichts. Ich bediente die Gäste wie alle anderen.
Ich ließ meinen Blick über die Einrichtung der Taverne gleiten, die an die Ebenen Turias erinnern sollte, an die Länder der Wagenvölker. Bilder zeigten Jagdszenen, Überfälle auf Karawanen, die Unterwerfung von Mädchen. Hier bewegten sich riesige Boskherden über die Ebene, dort war eine lange Wagenkolonne der ungezähmten Nomaden zu sehen. Ein Bild zeigte die Mauern und Türme Turias und etliche Reiter der Wagenvölker, die auf die Stadt blickten. Kleidung und Kostüme der Pagamädchen war den Gewändern der Sklavinnen nachempfunden, die den Lanzenreitern auf dem Rücken der seidigen Kaiila dienten. Diese Kleidung gab keinem Mädchen Gelegenheit, eine Waffe zu verbergen, geschweige denn ihre Reize.
Unter mir im Hof begannen zwei Männer miteinander zu raufen. Offenbar waren sie sich nicht einig, wer das Vorrecht auf eine Sklavin hatte. Das Mädchen, eine hübsche kleine Blonde aus Teletus, wich erschrocken zurück. Aurelion, Besitzer des ›Chatka und Curla‹, gab seinem Rausschmeißer Strabo ein Zeichen. Dieser warf sich zwischen die beiden Kampfhähne. Diese aber stürzten sich nun auf ihn. Ich hörte Stoff reißen. Ein anderer Mann, der in der Taverne alle möglichen Arbeiten verrichtete – ähnlich wie Bran Loort im ›Glockenkragen‹ von Ar –, stürzte sich in den Kampf. Zwei weitere Gäste machten mit.
»Ein Kampf!« riefen andere Gäste. Ein Mädchen schrie auf.
Zu Anfang meiner Tätigkeit als Pagasklavin hatte ich überlegt, ob ein solches Durcheinander nicht Gele genheit bot, aus der Taverne zu fliehen. Aber das war eine Illusion. Die meisten Lokale sind zwar offen und unbewacht, doch sollte ein Mädchen wirklich fliehen können, besteht kaum eine Chance, daß sie frei bleibt. Sie trägt einen Kragen und befindet sich in einer Gesellschaft, die sie dem Eigentümer prompt zurückgibt, wenn der Finder es nicht vorzieht, sie selbst zu behalten. Flucht ist kein realistischer Ausweg für eine Skla vin auf Gor. So kommt es, daß Sklavinnen oft ohne Aufsicht in die Stadt geschickt werden, um Aufträge zu erledigen. Sie kehren zu ihren Herren zurück, weil es für sie kein anderes Ziel gibt.
Das ›Chatka und Curla‹ allerdings war nicht unbewacht. Hier war es den Sklavinnen nicht erlaubt, mal einen Augenblick ins Freie zu treten und Luft zu schnappen. Das Lokal verfügte über doppelte Eisentore, die nur die Freien nach Belieben passieren können. Ein weiterer Aspekt, der die Sklavinnen von der Flucht abhält, sind natürlich die schweren Strafen.
In diesem Augenblick spürte ich eine feste Hand an meinem linken Arm.
»Herr«, sagte ich.
Es war der Mann, der mich auf der Rampe angehalten und geküßt hatte. Es mißfiel mir nicht, von ihm beansprucht zu werden.
»Komm in die Nische«, sagte er.
Ich legte das Tablett auf ein Gestell. Der Kampf unten ging weiter. Der Mann zog mich zur Rückwand des oberen Balkons. Von unten war Gebrüll zu hören. Weitere Männer hatten in den Kampf eingegriffen. Auf Aurelions Befehl begannen die Musiker zu spielen, um die Menge zu beruhigen. Vermutlich war eine Tänzerin zwischen die Tische geschickt worden. Die Ablenkung schien aber nicht zu wirken. Ich hörte Glas splittern.
»Hier«, sagte der Mann und deutete auf eine Wandöffnung.
Er ließ mich los und trat hinter mich. Ich erstieg die fünf Stufen, die zu der Nische führten, und kroch hinein.
Dabei fiel mir ein, daß niemand von den Umstehenden bemerkt hatte, wie er mich fortgeführt hatte. Alle Anwesenden verfolgten den Kampf unten im Lokal.
Ich kroch in den hinteren Teil der Nische und drehte mich um. Er wandte mir den Rücken zu und schnallte den Ledervorhang zu, damit wir nicht gestört wurden.
Dann gab er mir Zeichen, meine Kleidung auszuzie hen. Anschließend winkte er mich heran und ließ mich mit dem Rücken zu sich hinhocken. Ich gehorchte.
Er fesselte mir die Hände auf dem Rücken. Welch ein seltsames Gehabe. Aber wir waren Perversionen gewöhnt.
»Bleib ruhig sitzen«, befahl er.
Ich hörte, wie er etwas aus einer Tunika zog. Plötzlich spürte ich den Knebel im Mund, und schon stülpte er mir eine graue Sklavenhaube über den Kopf und band sie unter dem Kinn zu. Er ließ mich zur Seite sinken und schob meine Füße in einen Sklavensack, den er an meinem Körper hochzog und über meinem Kopf schloß.
Zu meiner Verblüffung hörte ich dann eine Tür gehen. Offensichtlich befand sie sich hinter den Wandbehängen an der Rückseite der Nische. Ich wurde durch die Öffnung geschoben und dann in dem Sack einen Korridor entlanggezerrt. Schließlich warf sich der Mann die Last mühelos über die Schulter und begann eine Treppe hinabzusteigen.
Ich wand mich im Sack, vergeblich. Der Bursche war sehr kräftig.
Ich kniete, spürte Hände, die meine Fuß- und Handfesseln lösten.
Die Sklavenhaube wurde aufgemacht und mir vom Kopf gezogen. Ich konnte wieder sehen. Zwei Männer hockten neben mir, zwei weitere standen in der Nähe. Die Männer links und rechts von mir faßten mich an den Handgelenken, zerrten mich hoch und führten mich auf eine große weiße Tür zu.
Zwei behelmte Wächter bewachten den Durchgang. Zu beiden Seiten des Tors hingen Schilde und gekreuzte Speere.
Ich hatte große Angst, wußte ich doch, daß dies die Männer sein mußten, die mit Lady Elicia aus Ar verschworen waren. Sie meinten, daß ich eine Nachricht für sie hatte, was aber nicht zutraf. Sie würden enttäuscht sein. Goreanische Männer haben keine große Geduld mit Sklavinnen, die ihnen mißfallen. Ich wollte nicht entstellt oder gefoltert oder gar getötet werden! Ich war unschuldig! Ich wollte meine Unschuld beteuern! Vielleicht gaben sie sich dann damit zufrieden, mich nur auszupeitschen.
Die Türen wurden aufgestoßen. Vor mir erstreckte sich ein wunderbar ausgestatteter Raum, der palastartige Dimensionen hatte. Purpurschimmernde Kacheln bedeckten den Boden. Hohe weiße Säulen standen vor goldenen Wandbehängen. Ich wurde zu einer Empore geführt, auf der ein korpulenter Mann saß, eine wahrhaft massige Gestalt, die sich auf Kissen stützte. Er trug weiße weinbefleckte Roben, unter denen sich seine unförmigen Fettpolster abzeichneten. Das Gesicht war schwabbelig, die Stirn hoch. Auf dem Kopf trug er eine Krone aus Weinlaub – die berühmten Trauben der Cos-Berge. Ich spürte in diesem Mann Intelligenz, Eitelkeit, Reichtum, Grausamkeit und Macht.
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