Ein Meisterwerk der Strategie. Die Männer meines Herrn waren zahlenmäßig weit unterlegen gewesen – doch am Punkt des Angriffs hatten sie eine überwältigende Übermacht gehabt. Zwanzig Mann können eine Mauer erobern, die von hundert Mann verteidigt wird, wenn die zwanzig an einer Stelle vorgehen, wo nur zwei Verteidiger stehen. In dem großen Durcheinander, das die Aufmerksamkeit der Männer auf etwas ganz anderes lenkte, hatte die Streitmacht meines Herrn zielstrebig und erfolgreich zugeschlagen.
Ich schluckte trocken, als mir bewußt wurde, daß ich nur als Köder zur Ablenkung gedient hatte. Bitterkeit erfüllte mich.
»Aus welcher Stadt kamen die Burschen?« wandte sich der Anführer an einen der verwundeten Männer.
»Keine Ahnung«, antwortete dieser.
Ich hatte gesehen, wie die Kämpfer meines Herrn vor dem Kampf alle Insignien von ihren Tuniken entfernten.
»Wir kennen aber die Fluchtrichtung«, meldete ein Soldat. »Wenn wir schnell handeln, können wir sie vielleicht verfolgen.«
Der Anführer schlug mit der Faust gegen den mächtigen Zeltmast.
»Bewaffnet die Leute!« befahl er. »Gebt Bögen, genug Pfeile und leichte Rationen aus. Alle sind in zehn Ehn marschfertig. Los!«
»Jawohl, Herr«, sagte ein Mann. Soldaten verließen das Zelt. Die beiden Verwundeten wurden fortgetragen.
Dann wandte sich der Anführer in meine Richtung. Ich zuckte zurück. In der Begleitung des Soldaten waren vier Kämpfer, von denen einer mein Handgelenk eisern festhielt.
»Ich möchte zu gern wissen, ob du frei bist, mein schönes Kind«, sagte er und ging um mich herum. Ich hatte das Gefühl, daß er mich unter den Roben nackt sah.
»Bist du frei, schönes Mädchen?« fragte er. Er zog sein Schwert. Ich erschauderte. »Bist du frei?« wiederholte er. Er legte die Schwertspitze an mein linkes Fußgelenk und begann neugierig die Roben der Verhüllung anzuheben. »Ich hoffe um deinetwillen, daß du frei bist. Bist du es nicht, dann mach dich auf einiges gefaßt.«
Ich spürte die Klinge an meinem Bein; langsam wurde der Saum immer höher gehoben. Der Mann konnte bereits mein Knie sehen.
»Zieh dir die Schuhe aus«, sagte er.
Zitternd gehorchte ich ihm.
»Herr«, sagte eine Stimme von draußen. »Die Männer sind bereit.«
»Sofort!« rief der Anführer und hob das Schwert. Ich spürte den Stahl an meiner Hüfte.
Die im Zelt versammelten Männer stießen einen Wutschrei aus. Die Sklavinnen hielten hörbar den Atem an.
»Hab ich’s mir doch gedacht!« sagte der Anführer der Soldaten und trat zurück. Sein Schwert steckte er nicht fort.
»Ich gebe dir zwanzig Ehn Zeit, die Kleidung einer freien Frau auszuziehen!«
Schluchzend zerrte ich mir die schweren Gewänder vom Leib und warf mich nackt vor ihm zu Füßen. Hob er schon das Schwert, um mir den Kopf abzuschlagen? Meine Kehle schnürte sich zusammen.
Der Soldat wechselte hastige Worte mit zwei anderen Männern. Dann wandte er sich mit einem Befehl an eine Sklavin, die gleich darauf das Zelt verließ.
Ich hörte die Männer draußen herumlaufen. Waffen rasselten.
Das Mädchen, das vorhin ausgepeitscht und am Wagenrad festgebunden worden war, wurde ins Zelt geführt. Sie warf mir einen kurzen Blick zu und hockte sich niedergeschlagen in eine Ecke. Das andere Mädchen kehrte ebenfalls ins Zelt zurück.
Der Anführer machte Anstalten, uns zu verlassen, um das Kommando über seine Männer zu übernehmen. Er warf mir einen letzten Blick zu. »Mit dir rede ich später, hübsche Kajira«, sagte er drohend. »Fesselt sie«, fügte er hinzu, setzte den Helm auf und verließ das Zelt.
Der Befehl wurde befolgt. Die anderen Sklavinnen sahen mich zornig an. Eine rieb sich die Prellung an ihrer Schulter. »Kajira!« fauchte sie.
Ich wandte mich zur Seite und begann zu weinen.
Verschwunden war die Romantik des Sklavendaseins. Man hatte mich als Köder benutzt, um die Feinde abzulenken. Ich war ein einfacher, unwichtiger Spielstein gewesen. Man hatte mich der Gefahr ausgesetzt – wie es jeder gewöhnlichen Sklavin passieren konnte. Soviel also war ich meinem Herrn wert. Er erwiderte die Gefühle nicht, die ich für ihn hegte. Ich schluchzte laut.
Kurze Zeit später war zu hören, wie die Männer das Lager verließen.
Nur die Verwundeten und die Sklavinnen blieben zurück.
»Dina«, sagte das verwundete Mädchen zu mir – nach meinem Brandzeichen. Aber so wie sie den Namen verwendete, war er als Beleidigung gedacht. Sie kam näher und versetzte mir einen Tritt. Dann kehrte sie zu den anderen Mädchen zurück. »Unsere arme Herrin!« rief sie.
Außerhalb des Zelts waren die Geräusche der Nacht zu hören, Insekten, die Rufe von Fliehern. Unauffällig versuchte ich Handgelenke und Füße zu bewegen, aber die Fesseln waren zu eng. Ein goreanischer Krie ger hatte mich gebunden.
Wieder ertönten die Schreie von Flieher-Vögeln. Im nächsten Augenblick schrien die Mädchen auf. Ich fuhr hoch.
Schwerter lagen an den Hälsen der Sklavinnen. Mein Herr stand im Zelt, seinen Männern durch die zerrissene Seidenplane folgend.
»Herr!« rief ich erfreut und versuchte mich aufzurichten. Er ging neben mir in die Hocke und durchtrennte meine Lederfesseln mit dem Schwert. Ich warf mich ihm zu Füßen. »Herr!« schluchzte ich voller Freude. Er war zurückgekehrt! Er hatte mich nicht im Stich gelassen! Doch er wich vor mir zurück und gab seinen Männern Befehle. Die vier Sklavinnen duckten sich verängstigt zusammen. Einige Männer verließen das Zelt.
»Niederknien! Ihr kommt an die Kette«, sagte einer der Männer. Die Mädchen gehorchten; sie knieten hintereinander nieder. An der Kette, die ins Zelt gebracht wurde, befanden sich sechs Armreifen. Das Mädchen, das von Lady Sabina ausgepeitscht worden war, wurde als erste angeschlossen – nicht aber an die erste Armschelle, sondern an die zweite; auf diese Weise blieb, als die vier Mädchen gesichert worden waren, vorn und hinten je ein Armreif unbenutzt.
Die Geräusche von draußen verrieten mir, daß Bosk vor die Wagen gespannt wurden. Den anderen Bosk wurden die Fesseln zerschnitten, dann wurden sie in den Wald getrieben.
Ich fragte mich, ob mein Herr das Lager in Brand stecken würde. Vermutlich nicht; der Schein der brennenden Planen und Wagen mochte die Soldaten des Lagers zu früh zurückrufen. Eine deutliche Spur war für sie hinterlassen worden; die Männer meines Herrn waren dann in großem Bogen zum Lager zurückgekehrt. Sicher wurde ihre Spur mit der Zeit immer undeutlicher, um zuletzt ganz zu verschwinden. Die Soldaten aus dem Lager harten keine gezähmten Sleen als Fährtensucher bei sich. Während die Fremden der falschen Spur folgten, waren unsere Kämpfer ins Lager zurückgekehrt, von wo aus sie nun in eine andere Richtung endgültig verschwinden würden. Mein Herr machte Anstalten, das Zelt zu verlassen. Ich wäre am liebsten an seine Seite geeilt, doch er wollte mir das nicht gestatten und schob mich zurück. Ich blieb im Zelt.
Der Mann, der die Mädchen angekettet hatte, trat einen Schritt zurück und betrachtete sein Werk.
»Darf ich sprechen?« fragte das erste Mädchen an der Kette, das von Lady Sabina ausgepeitscht worden war. Der Mann nickte. »Ich hasse meine Herrin!« rief die Sklavin. »Ich bin bereit, dich zu lieben, Herr!«
»Hast du keine Freude daran, im Eigentum einer Frau zu stehen?« fragte er.
»Ich möchte einen Mann lieben!« schluchzte sie.
»Schamlose Sklavin!« rief das letzte Mädchen an der Kette, das mich ›Dina‹ gerufen und mich getreten hatte.
»Ich bin eine Frau!« rief die erste.
»Keine Angst, Sklavin«, sagte der Mann, der sie angekettet hatte grinsend. »Man wird dich nicht übergehen. Du sollst dein Vergnügen haben. Ich versprech’s dir.«
»Danke, Herr«, sagte sie.
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