In diesem Moment entdeckten uns die Frauen; eine stieg hastig die Leiter herab und lief auf die ferne Palisade zu. Die andere kam in unsere Richtung.
»Fort!« brüllte sie.
Ich schaute in den Himmel. »Wir sollten im Mais Deckung suchen«, sagte ich.
»Ihr werdet hier nicht willkommen sein«, sagte das Mädchen, das neben uns herlief. »Alle werden fortgeschickt.«
»Dieser Mann braucht dringend Hilfe.«
»Das ist egal. Tut mir leid.«
»Ist dies nicht Garten Elf, ein Waniyanpi-Gehege im Besitz des Kaiila-Stammes?« fragte ich.
»Wir gehören jetzt den Gelbmessern«, sagte die Waniyanpi. »Soldaten haben uns das gesagt.«
»Ihr steht noch immer im Besitz von Kaiila!« rief Cuwignaka ärgerlich. »Ihr werdet uns Unterkunft und Essen geben.«
»Wir haben Angst«, sagte sie.
»Es kommt jemand«, sagte ich.
Eine Gruppe von etwa fünfzehn Frauen und Männern eilte am Rain des Maisfeldes auf uns zu. Sie alle trugen die langweilige Einheitsuniform der Waniyanpi, ein langes, lose herabhängendes Gewand.
»Rübchen!« rief die Frau an der Spitze zornig. »Was tust du?«
»Diese Leute suchen Unterkunft, Radieschen«, sagte das Mädchen.
Ich verschränkte die Arme und musterte die aufgebrachte Waniyanpi-Frau.
»Verschwindet!« sagte Radieschen zornig. »Hier ist kein Platz für euch!«
»Ich möchte lieber mit einem Mann sprechen«, sagte ich. »Wer hat hier das Kommando?«
Radieschen zuckte zusammen, als hätte sie eine Ohrfeige bekommen. »Ich spreche für uns alle«, sagte sie.
»Kürbis?« fragte ich. »Bist du das dahinten? Bist du hier der Anführer?«
»Nein, nein«, sagte Kürbis hastig und senkte den Kopf. »Es gibt hier keinen Anführer. Wir sind Gleiche. Wir sind alle gleich. Es gibt keine Führer. Frieden und Licht und Gelassenheit und Güte seien mit dir.«
»Friede sei mit dir«, sagte Karotte in der Gruppe.
»Friede sei mit dir«, sagte auch Kohlkopf neben ihm.
»Ist diese Frau womöglich euer Anführer?« fragte ich.
»Vielleicht«, sagte Radieschen lächelnd.
»Radieschen ist energisch und willensstark«, sagte Karotte.
»Wir haben hier einen Schwerverwundeten!« rief ich und deutete auf Hci. »Wir benötigen Nahrung und Unterkunft.«
»Die müßt ihr euch woanders suchen«, sagte Radieschen.
Ich schaute in die Runde, und Karotte senkte beschämt den Kopf.
»Es ist nicht nur wegen dir«, sagte Kohlkopf. »Gestern hat Radieschen sogar zwei junge Leute aus dem Gehege verbannt, einen Jungen und ein Mädchen. Sie hatte gemerkt, daß sie sich insgeheim berührten.«
»Schrecklich!« sagte eine der Waniyanpi-Frauen, obwohl ihre Worte nicht sehr überzeugend klangen.
»Fort mit euch!« wiederholte Radieschen. »Hier findet ihr keine Hilfe.«
Ich schaute die Waniyanpi-Männer an. »Ihr seid üble Heuchler«, sagte ich verbittert. »Ihr habt eure Männlichkeit der sinnlosen Gleichheitstheorie der Waniyanpi geopfert!«
»Gehen wir, Tatankasa«, sagte Cuwignaka. »Mitakola.«
Mein Blick fiel auf Kürbis, an den sich meine Hoffnungen klammerten. Doch er ließ den Kopf hängen wie alle anderen.
»Komm, Rübchen!« sagte Radieschen zornig.
»O nein!« antwortete das Mädchen und kniete vor mir nieder. »Ich knie vor dir, Herr und neige den Kopf vor dir als Sklavin!«
»Du beschämst uns!« kreischte Radieschen. »Steh auf!«
Aber Rübchen verneigte sich nur noch tiefer vor mir.
»Du bist ausgestoßen!« schrie Radieschen. »Du gehörst nicht mehr zu unserem Gehege!«
Rübchen achtete nicht mehr auf sie. Lächelnd blickte sie zu mir auf. Sie stand auf und streifte das weite Gewand der Waniyanpi ab. Darunter war sie splitternackt. Mit Ausnahme Radieschens warfen ihr die Frauen bewundernde Blicke zu. Die Männer wandten beschämt die Blicke ab.
»Mit dem Recht des Kaiilakriegers über jede Sklavin in den Waniyanpi-Gehegen seines Stammes nehme ich diese Frau hiermit zur persönlichen Sklavin!« sagte Cuwignaka laut. »Und überantworte sie ihm.« Und Cuwignaka deutete auf mich.
»Ja, Herr!« sagte sie fröhlich und schaute mich an. »Ich weiß schon seit langem, daß ich nichts anders als eine Sklavin bin, das lehrte mich die Peitsche und das Joch der roten Krieger, ehe ich dieses Gehege erreichte. Aber vor allem wurde es mir hier klar, in den langen Stunden des Nachdenkens, auf den Feldern und in den Hütten. Ich habe keinen Zweifel mehr. Ich bin zur Sklavin geboren!«
Die Frauen der Waniyanpi erschauderten sichtlich; nur Radieschen blieb ungerührt.
»Vor langer Zeit, als ich noch Lady Mira war und du deine Freiheit hattest, wurde ich zum Aufenthalt in einem Waniyanpi-Gehege verurteilt, und du weigertest dich, mich zu deiner Sklavin zu machen. Doch inzwischen habe ich mich verändert, und die Gründe, die du damals hattest, gelten vielleicht nicht mehr.«
»Du scheinst wirklich eine andere Frau geworden zu sein«, sagte ich.
»Mir ist klar geworden, daß ich eine Sklavin bin, Herr«, sagte sie.
»Ich liebe es, das Transportgestell mit dir zu ziehen, Herr«, sagte sie.
»Ich selbst wünschte mir, vier oder fünf Sklavinnen für diese Arbeit zu haben«, antwortete ich.
»Ja, Herr«, erwiderte sie und senkte den Kopf. »Herr?« fragte sie einige Zeit später.
»Ja?«
»Ich habe noch keinen Namen. Ich hätte gern einen.«
»Wie wär’s mit ›Rübchen‹?«
»Oh, bitte, Herr, nicht diesen Namen!« sagte sie lachend. »Der erinnert mich so sehr an die Waniyanpi.«
»Dein Leben hat sich grundlegend verändert, das wirst du bald erfahren«, sagte ich. »Da würde der Name tatsächlich nicht mehr zu dir passen.«
»Das freut mich zu hören.«
»Vielleicht sollte ich dich ›Wowiyutanye‹ nennen.«
»Und was bedeutet das?«
»Versuchung.«
»Der Herr schmeichelt mir«, sagte sie lächelnd.
»Ah, jetzt habe ich einen Namen für dich«, sagte ich, »einen sehr einfachen, sehr passenden Namen für eine Sklavin.«
»Ja, Herr.« Welchen Namen ich ihr auch aussuchte, sie würde ihn akzeptieren müssen.
»Ich taufe dich …«
»Ja, Herr?«
»Ich taufe dich ›Mira‹«, sagte ich.
»Ich danke dir, Herr!« sagte sie. »Mein Herr weiß eine Sklavin zu beschämen. Dieser Name wurde vor langer Zeit von einer Sklavin getragen, die von ihrer Sklaverei nichts wußte. Nun ist der Name nicht nur der Name einer Sklavin, sondern auch ein Sklavinnenname!«
»Ob du wohl eine zufriedenstellende Sklavin sein wirst?« fragte ich.
»Ich werde dir mit ganzem Herzen dienen, Herr«, sagte sie.
»Dann zieh, Sklave!«
»Ja, Herr!«
»Das Lager«, sagte Cuwignaka, »liegt hinter der Anhöhe dort.«
Cuwignaka und ich trotteten hangaufwärts durch das hohe Gras. Es war später Nachmittag.
Hinter uns, etwa fünfzig Meter entfernt, kam das Transportgestell, gezogen von drei Personen. Unterwegs waren wir dem jungen Mann und dem Mädchen begegnet, die von den Waniyanpi verstoßen worden waren. Sie hatten schon viel von ihrer Verklemmung verloren und waren sich in ehrlicher Zuneigung nähergekommen – wobei das Mädchen die Rolle der Sklavin als völlig naturgegeben empfand. Er hatte darauf bestanden, beim Ziehen des Gestells zu helfen; so wurde er nun von Sklavinnen flankiert – links von Mira, rechts von seiner blonden Schönheit. Er hatte seiner Sklavin aus dem Waniyanpi-Gewand eine attraktive Tunika gemacht, in der sie sich frei bewegen konnte. Mira dagegen hatte von mir noch keine Bekleidung erhalten. Darüber wollte ich später entscheiden. Sie hatte früher als Agentin der Kurii gearbeitet; um so intensiver sollte sie ihr Sklavendasein zu spüren bekommen.
»Dort!« rief Cuwignaka, der im hohen Gras auf dem Kamm des kleinen Hügels stand. »Dort liegt das Lager, unter uns, zwischen den Bäumen, an dem kleinen Bach. Man kann einige Zelte erkennen.«
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