»Ich erinnere mich«, sagte Iwoso.
»Sie hatte soviel Fleisch geschnitten! Die Stangen ihres Transportgestells bogen sich durch!«
»Ja«, sagte Iwoso und blickte hinter sich, als erwartete sie, dort jemanden zu sehen.
»Aber dann war sie ein böses Mädchen«, fuhr Bloketu fort. »Sie war ungehorsam gegenüber einem Sleensoldaten und verlor das ganze Fleisch.«
Iwoso lachte.
»Wie heißt sie doch gleich? Cuwignaka, nicht wahr?«
»Ja«, bestätigte Iwoso.
»Ah, Cuwignaka«, sagte Bloketu, »du kannst dich wirklich glücklich schätzen, nicht die Frau eines Kaiila-Kriegers zu sein. Von ihm hättest du sicher eine schmerzhafte Strafe empfangen.«
»Er ist wieder da«, flüsterte Iwoso ihrer Herrin zu und schaute erneut nach hinten.
»Ach?« Zornig drehte sich Bloketu um.
Hci ritt auf dem Rücken seiner Kaiila herbei; er trug das Haar geflochten und ohne Federschmuck. Stumm schaute er auf die beiden Mädchen hinab.
»Folgst du uns durch das Lager?« fragte Bloketu.
»Es geht das Gerücht, daß wir mit den Gelbmessern vielleicht bald Frieden haben«, sagte Hci.
»Das Gerücht kenne ich«, erwiderte Bloketu.
»Die Gelbmesser sind unsere Feinde.« Hcis Blick fiel auf Iwoso.
»Wenn du Iwoso den Hof machen willst«, sagte Bloketu, »kannst du heute abend zum Bau kommen und dich hinsetzen und die Liebesflöte spielen. Dann entscheide ich, ob ich meiner Zofe gestatte, den Bau zu verlassen.«
»Du hast sie noch immer nicht wie eine Sklavin ausstaffiert.«
»Es ist wirklich überflüssig, Iwoso mit heraushängender Zunge zu folgen«, sagte Bloketu.
»Nicht deshalb folge ich ihr«, erwiderte Hci. »Wenn ich sie wollte, würde ich zu deinem Zelt kommen. Ich würde eine Kaiila für sie bieten und gleich eine Fessel mitbringen.«
»So redet man nicht, auch nicht als Sleensoldat!« rief Bloketu.
»Heute früh«, sagte Hci, »seid ihr beide mit Watonka aus dem Lager der Isanna geritten.«
»Er hat uns bespitzelt!« rief Iwoso.
»Ihr traft euch mit anderen Reitern«, fuhr Hci fort. »Ich habe die Spuren gefunden. Was habt ihr getan?«
»Nichts«, sagte Bloketu.
»Was waren das für andere Reiter?«
»Du bist doch ein erfahrener Spurenleser«, entgegnete das Mädchen. »Sag’s uns! Gewiß hast du im Staub nach Mokassinabdrücken gesucht.«
»Niemand ist abgestiegen«, sagte Hci.
»Es waren Isanna-Jäger«, behauptete Bloketu.
»Heute früh haben keine Jagdgruppen der Isanna das Lager verlassen«, widersprach Hci.
»Oh«, erwiderte Bloketu.
»Das hatte Watonka persönlich angeordnet«, fuhr Hci fort.
»Es waren Wismahi«, sagte Bloketu.
»Nein, Krieger der Gelben Messer. Drei Kämpfer«, widersprach Hci.
»Das kannst du unmöglich wissen!« rief Bloketu unwirsch.
»Und genau zu einem solchen Anlaß würdest du die Gelbmesser-Sklavin mitnehmen«, sagte Hci und schaute auf Iwoso. »Um mit diesen Leuten sprechen zu können.«
»Sklave!« rief Iwoso aufgebracht.
»Ja, Sklave!« sagte Hci.
Bloketu schaute sich um. »Sprich nicht so laut!« sagte sie. »Du hast recht, Hci. Es waren Gelbmesser. Und Iwoso hat uns sehr geholfen. Sie kann mit ihnen sprechen, während wir nur die Zeichensprache beherrschen. Die Krieger der Gelben Messer haben sich mit Watonka in Verbindung gesetzt. Sie wollen mit den Kaiila Frieden schließen.«
»Das ist ja wunderbar!« sagte Cuwignaka.
»Kümmere dich um deine Arbeit, Mädchen«, sagte Hci zu Cuwignaka, »sonst teile ich dich zum Nähen ein.«
Zornig setzte sich Cuwignaka auf die Fersen.
»Dir ist das wahrscheinlich nicht bekannt, Hci«, sagte Bloketu, »aber Mahpiyasapa und die anderen Häuptlinge wissen Bescheid. Wegen dieser Angelegenheit wird eine Ratsversammlung stattfinden.«
»Die Gelbmesser sind unsere Feinde!« sagte Hci. »Mit denen gibt es niemals Frieden. Waren es wirklich die Gelbmesser, die sich zuerst bei Watonka meldeten?«
»Ja«, antwortete das Mädchen.
»Ich kann mir das kaum vorstellen.«
»Warum?«
»Ich kenne den Stamm der Gelben Messer«, sagte Hci, und seine Hand berührte unwillkürlich die lange Narbe an der linken Wange. »Ich habe sie kennengelernt, Lanze gegen Lanze, Knüppel gegen Knüppel, Messer gegen Messer.«
»Im Leben gibt es mehr als das Sammeln von Coups«, sagte Bloketu.
»Da magst du recht haben«, entgegnete Hci und betrachtete Iwoso, die hastig den Kopf senkte. Sie war sehr hübsch. Sie war im Alter von zwölf Jahren von Gelbmessern erbeutet worden und inzwischen alt genug, daß sich Männer für sie interessieren konnten.
»Sei unbesorgt, Hci!« sagte Bloketu lachend. »Es waren nur drei, außerdem haben wir jetzt die Zeit der großen Tänze.«
Während der Sommerfeste, während der Zeit der großen Tänze ruhen gewöhnlich alle Kriege und kämpferischen Auseinandersetzungen auf der Prärie. Es ist eine Zeit des Waffenstillstandes und des Friedens. Der feiernde Stamm enthält sich während dieser Zeit aller kriegerischen Aktivitäten. Entsprechend halten sich verfeindete Gruppen an diese Ruheperiode, vielleicht aufgrund der darin zum Ausdruck kommenden Vereinbarung, daß auch ihre Festzeiten geachtet werden. Für die roten Wilden stellen die Feiern während des Sommers, wann immer sie bei den verschiedenen Stämmen anfallen, im Laufe des Jahres die einzigen Perioden dar, in denen sie politisch und territorial geschützt sind. Ein alles in allem sehr fröhlicher Zeitabschnitt. Es ist ein angenehmes Gefühl, sich in dieser Zeit sicher zu wissen. Schon mehr als eine Kriegergruppe, die beim Vorstoß auf feindliches Land tanzende Gegner vorfand, zog sich höflich zurück. Solche Dinge sind nicht ohne Vorbild. Im alten Griechenland galten gewisse Spiele, zum Beispiel die Olympischen Spiele, als Waffenstillstandsperiode, in der die Auseinandersetzungen zwischen den Städten ruhten. Mannschaften und Zuschauer der verfeindeten poleis konnten dann ungestört zwischen den Stadien reisen. Bei den roten Wilden sprachen zwei weitere Gründe gegen ein aggressives Verhalten in dieser Zeit. Erstens minderte die Größe solcher Zusammenkünfte, die Massierung des Gegners die Nützlichkeit einer Attacke. Sich als einzelne Bande gegen eine ganze Nation zu wenden, war nicht ratsam. Zweitens gilt es als schlechte Medizin, während einer Festlichkeit zu kämpfen.
»Man kann Gelbmessern nicht trauen!« sagte Hci.
»Es ist schon in Ordnung, Hci«, sagte Bloketu. »Wenn du willst, kannst du deinen Vater Mahpiyasapa fragen.«
Hci zuckte ärgerlich die Schultern.
»Wegen dieser Frage wird eine Ratsversammlung zusammentreten«, fuhr Bloketu fort.
Mir erschien das alles durchaus plausibel. Wenn die Gelbmesser einen Frieden anstrebten und sich deswegen mit Watonka in Verbindung gesetzt hatten – oder er sich mit ihnen –, dann war diese Zeit die beste dafür, die Zeit der Tänze und Feiern. Die ideale Gelegenheit für solche Vorstöße und Anfragen und Verhandlungen.
Iwoso hob den Kopf. Hci hatte den Blick noch nicht von ihr abgewendet. Eine solche Musterung wäre natürlich bei einer freien Frau nicht schicklich gewesen.
»Oh!« lachte Bloketu frei heraus, als versuche sie das Thema zu wechseln. »Anscheinend hast du uns doch nicht nachspioniert, Hci. Du hast nur so getan! Du bist ein raffinierter junger Bursche! Du suchtest einen Vorwand, Iwoso zu folgen!«
»Nein!«, sagte Hci, dem solcher Spott ganz und gar nicht behagte.
»Ich weiß, daß du Iwoso attraktiv findest«, ließ Bloketu nicht locker. »Ich bemerke doch deine Blicke.«
»Sie ist eine Gelbmesser-Sklavin, weiter nichts«, sagte er.
»Sie lebt seit ihrem zwölften Lebensjahr bei den Kaiila«, sagte Bloketu. »Sie ist genauso sehr Kaiila wie Gelbmesser.«
»Nein«, widersprach der junge Mann. »Sie ist eine Gelbmesser. Das steckt in ihrem Blut.«
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