Edgar Burroughs - Die Götter des Mars
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Schließlich gelangten wir an eine große, mit Schnitzwerk versehene Tür. Carthoris rannte einen Fuß vor mir hinein. Hier bot sich uns ein Anblick, wie ich ihn schon einmal im Tempel vor Augen gehabt hatte – der Thron von Issus mit den halb liegenden Sklaven, und ringsherum die Reihen der Soldaten.
Wir gaben den Männern nicht einmal eine Chance, das Schwert zu ziehen, so schnell fielen wir über sie her. Mit einem einzigen Hieb streckte ich zwei in der vordersten Reihe zu Boden. Dann stürmte ich durch das bloße Gewicht und den Schwung meines Körpers durch die restlichen zwei Reihen und sprang auf das Podest neben den geschnitzten Sorapusthron.
Die widerliche Kreatur, die angsterfüllt dort hockte, versuchte, mir zu entrinnen und durch die Falltür hinter ihr zu verschwinden. Diesmal fiel ich jedoch nicht auf diese List herein. Noch ehe sie sich halb erhoben hatte, packte ich sie beim Arm, und als ich sah, daß die Wache Anstalten machte, von allen Seiten über mich herzufallen, zückte ich den Dolch, hielt ihn dem Scheusal an die Brust und gebot ihnen, stehenzubleiben.
»Zurück!« sagte ich. »Zurück! Sobald einer von euch Schwarzen auch nur den Fuß auf diesen Podest setzt, fährt mein Dolch Issus ins Herz.«
Sie zögerten einen Augenblick. Dann rief ein Offizier sie zurück, während vom Korridor draußen, meiner kleinen Schar Überlebender auf den Fersen folgend, volle eintausend rote Männer unter Kantos Kan, Hor Vastus und Xodar in den Thronsaal stürmten.
»Wo ist Dejah Thoris?« fragte ich die Kreatur in meiner Hand.
Einen Augenblick rollten ihre Augen wild umher und erfaßten die Szene unter ihr. Ich glaube, es brauchte eine Weile, ehe sie die wirkliche Lage richtig erfaßte – zuerst konnte sie gar nicht wahrhaben, daß der Tempel unter dem Ansturm der Männer der Außenwelt gefallen war. Als sie dies erkannte, dämmerte ihr wohl auch die schreckliche Ahnung dessen, was dies für sie bedeutete – den Verlust der Macht, Demütigung und Bloßstellen ihres betrügerischen Verhaltens und des Schwindels, den sie so lange ihrem eigenen Volk gegenüber aufrechterhalten hatte.
Es bedurfte nur noch einer Sache, um die Realität des Bildes zu vollenden, das sie vor sich sah, und diese wurde durch den höchsten Edlen ihres Reiches – den Hohenpriester ihrer Religion, den Premierminister ihrer Regierung geliefert.
»Issus, Göttin des Todes und des Ewigen Lebens, erhebe dich in der Macht deines gerechten Zorns und streckte deine gotteslästerlichen Feinde mit einer einzigen Bewegung deiner allmächtigen Hand zu Boden!« sagte er. »Laß keinen entkommen, Issus, dein Volk verläßt sich auf dich! Tochter des Kleineren Mondes, nur du bist allmächtig.«
»Du als Einzige kannst dein Volk retten. Ich habe zu Ende gesprochen. Wir erwarten deinen Willen. Schlage zu!«
Da verfiel sie in Wahnsinn. Eine schreiende, geifernde Irre wand sich in meinem Griff. Sie biß und kratzte in ohnmächtiger Wut. Dann stieß sie ein unheimliches und grauenvolles Gelächter aus, daß einem das Blut in den Adern erstarrte. Die Sklavinnen auf dem Podest schrien auf und duckten sich. Die widerliche Kreatur sprang zu ihnen, knirschte mit den Zähnen und spie sie mit schaumbedeckten Lippen an. Mein Gott, was für ein entsetzlicher Anblick!
Schließlich schüttelte ich sie in der Hoffnung, sie für einen Augenblick zu klarem Denken zu bringen.
»Wo ist Dejah Thoris?« fragte ich abermals.
Das gräßliche Geschöpf murmelte undeutlich etwas vor sich hin, dann trat auf einmal ein tückischer Glanz in die häßlichen, engstehenden Augen.
»Dejah Thoris? Dejah Thoris?« Dann schlug uns wieder ihr schrilles, unnatürliches Lachen ins Ohr.
»Ja, Dejah Thoris – ich weiß. Und Thuvia, und Phaidor, Tochter des Matai Shang. Sie alle lieben John Carter. Haha! Das ist schon spaßig. Ein Jahr lang werden sie zusammen im Tempel der Sonne meditieren, doch noch ehe das Jahr vergangen ist, wird es keine Nahrung mehr für sie geben. Hoho! Welch göttliche Zerstreuung.« Damit leckte sie sich den Schaum von den grausamen Lippen. »Es wird keine Nahrung mehr geben – außer einander. Haha! Haha!«
Die grauenhafte Offenbarung lähmte mich nahezu. Zu diesem Schicksal hatte die Kreatur, die in meiner Macht war, meine Prinzessin verurteilt. Ich zitterte vor unbändiger Wut. Wie ein Hund eine Ratte schüttelt, so verfuhr ich mit Issus, der Göttin des Ewigen Lebens.
»Widerrufe deine Befehle!« sagte ich. »Ruf die Verurteilten zurück. Beeile dich, oder du stirbst!«
»Es ist zu spät. Haha! Haha!« Damit begann sie wieder zu schnattern und zu schreien.
Wie aus eigenem Antrieb schnellte mein Dolch über das Herz dieses widerlichen Wesens. Etwas ließ meine Hand jedoch verharren, und ich bin jetzt froh, daß es so war. Es wäre eine furchtbare Sache gewesen, eine Frau mit eigenen Händen zu töten. Da fiel mir ein angemesseneres Schicksal für diese falsche Göttin ein.
»Erstgeborene«, rief ich, an diejenigen gewandt, die sich mit im Raum befanden. »Ihr habt heute die Ohnmacht von Issus mit angesehen – die Götter sind allmächtig, Issus ist keine Göttin. Sie ist eine grausame und böse alte Frau, die euch jahrhundertelang getäuscht und mit euch gespielt hat. Nehmt sie. John Carter, Prinz von Helium, möchte seine Hände nicht mit ihrem Blut beflecken.« Damit stieß ich die wütende Bestie, die noch vor einer knappen halben Stunde von der ganzen Welt als göttlich verehrt worden war, von dem Podest ihres Thrones in die lauernden Krallen ihres verratenen und rachedurstigen Volkes.
Ich entdeckte Xodar unter den Offizieren der roten Männer und bat ihn, mich schnell zum Tempel der Sonne zu führen. Ohne zu warten, um in Erfahrung zu bringen, welches Schicksal die Erstgeborenen ihrer Göttin zuteil werden ließen, verließ ich eilends mit Xodar, Carthoris, Hor Vastus, Kantos Kan und einer Schar anderer roter Edler den Raum.
Der Schwarze führte uns rasch durch die inneren Gemächer des Tempels, bis wir auf dem zentralen Hof standen – einer großen, kreisrunden Fläche, die mit durchsichtigem Marmor von ausgesuchtem Weiß gepflastert war. Vor uns erhob sich ein goldener Tempel, der mit höchst wunderbaren und phantasiereichen Mustern verziert war. Sie waren mit Diamanten, Rubinen, Saphiren, Türkisen, Smaragden und den tausend anderen namenlosen Edelsteinen des Mars versehen, welche die meisten Edelsteine der Erde an Pracht und Reinheit übertreffen.
»Hierhin«, sagte Xodar und führte uns zum Eingang in einen Tunnel, der in den Hof neben dem Tempel mündete. Gerade als wir im Begriff waren, hinabzusteigen, hörten wir ein tiefes Dröhnen aus dem Tempel von Issus aufsteigen, den wir soeben verlassen hatten, und dann kam ein roter Mann, Djor Kantos, Padwar des fünften Utan, aus einem Tor in der Näher herbeigestürzt und rief uns zu, wir sollten umkehren.
»Die Schwarzen haben den Tempel in Brand gesetzt. Er brennt an tausend Stellen. Eilt in die äußeren Gärten, oder ihr seid verloren.«
Noch während er redete, sahen wir Rauch aus mehreren Fenstern aufsteigen, die in den Hof des Tempels der Sonne blickten, und hoch über dem höchsten Minarett von Issus hing eine ständig größer werdende Rauchwolke.
»Zurück! Zurück!« rief ich denen zu, die mich begleitet hatten. »Weise mir den Weg, Xodar. Weise mir den Weg und verlaß mich. Noch kann ich meine Prinzessin erreichen.«
»Folge mir, John Carter«, erwiderte Xodar und stürmte in den Tunnel zu unserer Rechten, ohne auf meine Antwort zu warten. Ihm dicht auf den Fersen stürmte ich durch ein halbes Dutzend Reihen von Galerien, bis er mich schließlich über einen Gang entlangführte, an dessen Ende ich ein kleines Zimmer sah.
Massive Stangen verwehrten uns das weitere Vorankommen, doch dahinter erblickte ich sie – meine unvergleichliche Prinzessin. Thuvia und Phaidor waren bei ihr. Als sie mich sah, stürzte sie zu dem Gitter, das uns trennte. Der Raum hatte sich auf seinem langsamem Weg schon so weit gedreht, daß nur noch ein Teil der Öffnung in der Tempelwand sich gegenüber dem vergitterten Ende des Korridors befand. Langsam schloß sich die Öffnung, und bald würde nur noch ein winziger Spalt klaffen, dann würde auch dieser geschlossen werden. Der Raum würde sich dann gemächlich ein langes Barsoomisches Jahr lang drehen, bis die Öffnung in der Wand wieder einen kurzen Tag lang am Ende des Ganges vorüberglitt.
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