»Binde und kneble ihn, Kar Komak!« rief er.
Dann griff er selbst nach den Hebeln, und als die Kabine mit wahnsinniger Geschwindigkeit nach unten sauste, kämpfte der Bogenschütze mit dem Sklaven. Carthoris konnte die Hebel nicht verlassen, um seinem Freund zu helfen, denn wenn sie mit dieser Geschwindigkeit auf den Schachtboden stürzten, dann waren sie sofort alle tot.
Unter ihrer Kabine konnte Carthoris nun das Dach von Astoks Kabine im Parallelschacht sehen. Er reduzierte das Tempo soweit, daß sie auf gleicher Höhe mit der anderen Kabine blieben. Nun begann der Sklave zu schreien.
»Bring ihn zum Schweigen!« rief Carthoris.
Einen Moment später fiel eine schlaffe Gestalt auf den Kabinenboden.
»Er schweigt«, meldete Kar Komak.
In einem der oberen Palaststockwerke brachte Carthoris die Kabine zum Stehen. Er öffnete die Tür, griff nach der Leiche des Sklaven und warf sie hinaus. Dann knallte er die Tür wieder zu und nahm die Fahrt nach unten wieder auf.
Wieder sah er das Kabinendach des Parallelliftes. Dann hielt dieser an, und auch Carthoris brachte seine Kabine zum Stehen.
Er sah die beiden Männer durch eine Tür am Korridor gegenüber verschwinden.
Am Morgen des zweiten Tages ihrer Einkerkerung im Ostturm des Palastes von Astok, Prinz von Dusar erwartete Thuvia ziemlich apathisch die Ankunft ihres Mörders.
Sie hatte sich den Kopf nach einer Fluchtmöglichkeit zermartert und immer wieder alle Fenster und Türen, alle Böden und Wände untersucht.
Die massiven Ersitplatten konnte sie nicht einmal ankrat-zen. Das außerordentlich widerstandsfähige Fensterglas von Bar soom hätte mindestens eines schweren Schmiedehammers in der Hand eines Riesen bedurft. Tür und Schloß waren so stark, daß sie mit ihrem geringen Gewicht gar nichts ausrichten konnte. Eine Fluchtmöglichkeit hatte sich also nicht gefunden.
Und ihre Waffen hatte man ihr genommen, so daß sie ihnen nicht einmal das Vergnügen vergällen konnte, sie zu ermorden, denn sie konnte ihrem Leben selbst kein Ende setzen.
Wann würden sie nun kommen? Würde Astok diese scheußliche Tat mit seinen eigenen Händen verrichten? Sie zweifelte an seinem Mut. Im Herzen war er nämlich ein Feigling, und das hatte sie vom ersten Augenblick an gewußt, als er zu Besuch an den Hof ihres Vaters kam und sie mit allerhand Prahlerei zu beeindrucken und von seinem Wert zu überzeugen suchte.
Sie konnte gar nicht anders, als ihn mit einem anderen zu vergleichen. Mit wem sollte eine Braut einen erfolglosen und abgewiesenen Bewerber vergleichen? Mit ihrem Verlobten? Das wäre sicherlich normal und richtig gewesen. Tat sie das auch?
Verglich Thuvia von Ptarth, den Prinzen Astok von Dusar mit Kulan Tith, Jeddak von Kaol?
Da sie nun doch sterben mußte, konnte sie ihren Gedanken erlauben, dorthin zu schweifen, wo es ihnen gefiel. Zu Kulan Tith schweiften sie jedoch nicht; sie waren weit davon entfernt.
Eher füllte schon die Gestalt des großen, prachtvoll gewachsenen Prinzen von Helium ihren Kopf und verdrängte alle anderen Bilder daraus.
Sie träumte von seinem edlen Gesicht, der ruhigen Würde seines Benehmens, von dem Lächeln, das seine Augen aufleuchten ließ, wenn er sich mit seinen Freunden unterhielt, aber auch von jenem Lächeln, das um seine Lippen lag, wenn er mit seinen Feinden kämpfte. Es war das Kampflächeln seines virginischen Vaters.
Und Thuvia von Ptarth, eine wahre Tochter Barsooms, fand ihren Atem schneller gehen, wenn sie an ein ganz bestimmtes Lächeln dachte, das sie nun niemals mehr sehen sollte. Als sie sich dessen erinnerte, tat ihr Herz einen Satz, und mit einem Seufzer unendlichen Bedauerns ließ sie sich auf die Schlafseiden und Pelze sinken, die sie neben dem Ostfenster aufgehäuft hatte.
Sie legte ihr Gesicht auf die Arme.
Auf dem Korridor vor ihrem Gefängnis standen zwei Männer und stritten heftig miteinander.
»Und ich sage dir noch einmal, Astok«, betonte der eine, »daß ich es nicht tun werde, wenn du nicht im Raum anwesend bist.«
Von dem Respekt, der einem königlichen Prinzen gebührt, war im Ton dieses Mannes nichts zu vernehmen. Der andere bemerkte es und wurde rot.
»Vas Kor, verlaß dich nicht allzu sehr auf meine freundschaftlichen Gefühle für dich«, brüllte der Prinz. »Auch meine Geduld hat einmal ein Ende.«
»Von königlichen Vorrechten kann hier überhaupt nicht die Rede sein«, erwiderte Vas Kor. »Du verlangst von mir, daß ich an deiner Stelle einen Mord ausführen soll, der gegen den ausdrücklichen Befehl deines Jeddaks ist. Astok, du bist nicht in der Lage, mir etwas zu diktieren, sondern du solltest dich gerne bereit erklären, meiner Forderung zu folgen, daß du im Raum anwesend bist und so die Schuld mit mir teilst. Warum soll ich alles allein auf mich nehmen?«
Der junge Mann runzelte zornig die Brauen, aber er ging auf die verschlossene Tür zu und betrat, als sie aufschwang, zusammen mit Vas Kor den Raum.
Das Mädchen, das am Fenster gestanden hatte, erhob sich und sah ihnen entgegen. Unter der weichen Kupfertönung ihrer Haut wurde ihr Gesicht nur eine Spur blasser, aber ihre Augen waren tapfer und gleichmütig, und ihr kleines, festes Kinn sprach deutlich von verächtlicher Ablehnung.
»Ziehst du immer noch den Tod vor?« fragte Astok.
»Dir – ja«, erwiderte das Mädchen kalt.
Der Prinz von Dusar wandte sich zu Vas Kor um und nickte.
Der Edelmann zog sein Kurzschwert und ging quer durch den Raum auf Thuvia zu.
»Knie nieder!« befahl er.
»Ich ziehe es vor, stehend zu sterben«, entgegnete sie.
»Wie du meinst«, erwiderte Vas Kor und prüfte mit dem linken Daumen die Schärfe der Schneide. »Im Namen von Nutus, Jeddak von Dusar!« schrie er und rannte auf sie zu.
»Im Namen von Carthoris Prinz von Helium!« sprach eine tiefe Stimme an der Tür.
Vas Kor wirbelte herum und sah den Panthan, den er im Haus seines Sohnes als Rekrut verpflichtet hatte. Und dieser Bursche rannte in großen Sprüngen auf ihn zu. Er streifte dabei Astok und rief: »Du kommst auch noch an die Reihe, du… Hund!«
Vas Kor stellte sich dem Angreifer.
»Was soll dieser Verrat?« schrie er.
Astok hatte sein Schwert gezogen und eilte zu Vas Kors Hilfe.
Das Schwert des Panthans klirrte an das des Edlen, und schon beim ersten Ausfall wußte Vas Kor, daß er einem Meister der Schwertkunst gegenüberstand.
Ehe er noch begriff, was der Fremde vorhatte, fand er, daß dieser sich zwischen ihn und Thuvia von Ptarth gestellt hatte.
So stand er den Schwertern der beiden Dusarianer gegenüber.
Aber er kämpfte nicht wie ein Mann, der sich verteidigt, sondern immer wie ein wütender Angreifer. Immer gelang es ihm, sein blitzendes Schwert zwischen dem Mädchen und den beiden Männern zu haben, und dabei gelang es ihm auch noch, die beiden im Raum herumzujagen wie es ihm gefiel. Dem Mädchen rief er zu, es solle sich genau hinter ihm halten.
Vas Kor und Astok ahnten lange nicht, was der Fremde vorhatte, und als sie es dann taten, war es schon zu spät für sie. Das war, als der junge Kämpfer mit dem Rücken zur Tür stand; da begriffen sie erst, was seine Absicht gewesen war – sie waren Gefangene in ihrem eigenen Gefängnis. Jetzt konnte der Eindringling mit ihnen tun, was er wollte, denn Thuvia von Ptarth verriegelte auf Geheiß des Mannes die Tür, zog aber zuvor den Schlüssel auf der anderen Seite ab, wo Astok ihn hatte stecken lassen, als sie kamen. Astok, der sah, daß der Fremde sich keineswegs ihren Schwertern ergab, handelte so, wie er es gewohnt war und überließ den Kampf zum größten Teil Vas Kor. Da er jetzt Zeit fand, den Panthan genauer anzusehen, tat er es auch, und seine Augen wurden immer größer. In dem Fremden erkannte er nämlich den Prinzen von Helium. Carthoris drang nun erneut auf Vas Kor ein. Der Edelmann blutete schon aus einem Dutzend Wunden. Astok sah, daß er nicht mehr lange, der meisterhaften Geschicklichkeit dieser schrecklichen Schwerthand standhalten konnte.
Читать дальше