»Unter uns wird sie wieder aufblühen«, sagte Roseph.
»Die Neuigkeit wird sich auf Hoch Kavalaan herumsprechen, und andere werden kommen. Unsere Söhne werden hier geboren werden und in den Würgerwäldern jagen.«
»Ganz wie Ihr wollt«, sagte Janacek. »Das geht mich nichts an. Eisenjade liegt mit Larteyn nicht in Fehde. Ich komme offen zu Euch und bitte Euch, an der Jagd teilnehmen zu dürfen.« Seine Handfläche klatschte auf Dirks Schulter. »Und ich bringe Euch ein Blutgeschenk.«
»Wahr«, sagte Pyr und war für einen Moment still. Dann wandte er sich an die anderen. »Nehmt ihn auf, sage ich.«
»Nein«, widersprach Lorimaar. »Ich traue ihm nicht. Er ist zu begierig.«
»Aus gutem Grund, Lorimaar Hoch-Larteyn«, sagte Janacek. »Große Schande ist über mich und meinen Festhalt gekommen. Ich möchte mich von ihr säubern.«
»Ein Mann muß seinen Stolz bewahren, ganz gleich, wie groß der Schmerz ist«, sagte Roseph nickend. »Das trifft auf jeden zu.« »Laßt ihn jagen«, sagte nun auch Rosephs teyn. »Wir sind zu sechst, und er ist allein. Wie kann er uns etwas anhaben?« »Er ist ein Lügner!«
Lorimaar blieb unbeirrt. »Wie hat er uns hier gefunden?
Fragt Euch das! Und seht nur!« Er deutete auf Janaceks rechten Arm, an dem die Glühsteine wie rote Augen aus ihren Fassungen leuchteten. Nur wenige fehlten.
Mit der Linken fuhr Janacek an sein Messer und zog es aus der Scheide. Dann hielt er Pyr seinen rechten Arm hin. »Helft mir, ihn ruhig zu halten«, sagte er, »und ich werde Jaan Vikarys falsches Feuer herausbrechen. «
Pyr tat wie ihm geheißen. Niemand sprach. Janaceks Hand arbeitete schnell und sicher. Als er fertig war, lagen die Glühsteine im Sand verstreut und glimmten wie Kohlen eines ausgetretenen Feuers. Er bückte sich, hob einen auf, warf ihn leicht hoch und fing ihn wieder, als wollte er sein Gewicht prüfen. Dabei lächelte er die ganze Zeit. Dann riß er den Arm nach hinten und warf kraftvoll. Der Stein wurde weit und hoch hinaufgetragen, bevor er wieder fiel. Am Ende seines Bogens, beim Fallen, sah er beinahe wie eine Sternschnuppe aus. Dirk erwartete beinahe, daß es zischte, wenn der Stein die Wasseroberfläche berührte. Auf diese Entfernung war jedoch nichts zu hören, nicht einmal ein Aufklatschen.
Janacek nahm alle Glühsteine auf, einen nach dem anderen, rollte sie kurz in seiner Handfläche und übergab sie dem See. Als der letzte verschwunden war, wandte er sich wieder den Jägern zu und hielt ihnen den rechten Arm hin. »Leeres Eisen«, sagte er. »Seht her, mein teyn ist tot.« Danach gab es keinen Ärger mehr.
»Die Dämmerung zieht herauf«, sagte Pyr. »Laßt meine Beute frei.« Die Jäger wandten ihre Aufmerksamkeit Dirk zu, und alles lief genauso ab, wie man es ihm erzählt hatte. Sie schnitten ihm die Fesseln durch und gestatteten ihm, sich Hand- und Fußgelenke zu massieren, um das Blut wieder in Bewegung zu setzen.
Dann wurde er gegen einen Gleiter gedrückt, und Roseph und der dicke Saanel hielten ihn fest, während Pyr selbst ihm die Kleider aufschlitzte. Der kahle Jäger ging mit seinem kleinen Messer genauso geschickt um wie mit dem Stock, aber er nahm keine Rücksicht. An der Innenseite von Dirks Schenkel hinterließ er einen langen Schnitt und auf der Brust einen kürzeren, aber dafür tieferen.
Als Pyr ihn verletzte, begann Dirk zu wimmern, raffte sich jedoch nicht zum Widerstand auf. Auch sein Rücken, den die gnadenlosen Braiths zu fest an die kalte Metallflanke des Gleiters preßten, begann zu schmerzen.
Dann war er endlich nackt und zitterte im kühlen Wind.
Plötzlich fiel Pyr etwas auf. »Was ist das?« fragte er und umfaßte das Flüsterjuwel auf Dirks Brust mit seiner kleinen weißen Hand. »Nein«, sagte Dirk.
Pyr zog und zerrte ein paarmal daran. Die dünne Silberkette grub sich schmerzhaft in Dirks Hals, dann brach das Flüsterjuwel aus seiner improvisierten Halterung.
»Nein!« schrie Dirk. Er warf sich plötzlich nach vorn und begann zu kämpfen. Roseph stolperte, mußte seinen Griff um Dirks rechten Arm lockern und ging zu Boden.
Saanel war nicht abzuschütteln. Dirk schlug ihm hart gegen den Hals, direkt unterhalb des fetten Kinns.
Fluchend ließ der dicke Mann los, und Dirk warf sich auf Pyr.
Der hatte jedoch seinen Stock aufgehoben und lächelte.
Mit einem schnellen Schritt war Dirk bei ihm und … hielt inne. Dieses Zögern genügte. Von hinten legte ihm Saanel seinen dicken Arm um den Hals und nahm ihn so fest in den Schwitzkasten, daß ihm die Sinne zu schwinden drohten.
Gelangweilt sah Pyr zu. Er steckte seinen Stock in den Sand und drehte das Flüsterjuwel zwischen Daumen und Zeigefinger. »Spottmenschenschmuck«, stieß er angewidert hervor. Ihm bedeutete er nichts, sein Gehirn war kein Resonanzkörper für die winzigen Espersignale, die der Edelstein ausstrahlte. Vielleicht bemerkte er, wie kalt die kleine Träne in seiner Hand lag, vielleicht auch nicht — aber auf keinen Fall vernahm er das Flüstern. Er rief seinen teyn, der gerade damit beschäftigt war, Sand in das Feuer zu treten. »Hättest du gern ein Geschenk von t’Larien?« Wortlos kam der Mann herüber, nahm das Juwel, musterte es kurz und steckte es dann in seine Jackentasche. Ohne Gefühlsregung wandte er sich ab und umrundete das Lager, wobei er die Handscheinwerfer löschte, die ringförmig im Sand steckten. Als die Lichter ausgingen, sah Dirk, daß es am östlichen Horizont langsam Tag wurde. Pyr zeigte mit dem Stock auf Saanel. »Laß ihn frei«, ordnete er an. Der dicke Mann entließ Dirk aus seinem Würgegriff und trat zurück.
Dirks Hals tat fürchterlich weh, und der trockene Sand unter seinen Füßen war rauh und kalt. Er kam sich entsetzlich schutzlos vor. Ohne das Flüsterjuwel hatte er jetzt Angst. Er sah sich nach Garse Janacek um, aber der Eisenjade befand sich auf der anderen Seite des Lagers und redete hastig auf Lorimaar ein.
»Die Morgendämmerung ist schon heraufgezogen«, sagte Pyr. »Ich kann dich schon jetzt verfolgen, Spottmensch. Lauf!« Dirk warf einen Blick zur Seite.
Roseph sah wütend drein und massierte seine Schulter, als Dirk sich losgerissen hatte, war er hart gefallen.
Saanel lehnte hämisch grinsend am Gleiter. Dirk wich vor ihnen zurück, machte ein paar zögernde Schritte auf den Wald zu. »Komm schon, t’Larien, ich bin sicher, du kannst noch schneller laufen«, rief ihm Pyr zu. »Wenn du schnell genug rennst, bleibst du am Leben. Wir werden auch nur zu Fuß sein, mein teyn, meine Hunde und ich.«
Er zog seine Handfeuerwaffe und warf sie Saanel zu, der sie mit seinen großen, wurstfingerigen Händen fing. »Ich werde keinen Laser tragen, t’Larien«, fuhr Pyr fort. »Es wird eine einfache, saubere Jagd der ältesten Art geben.
Ein Jäger mit Messer und Wurfklinge, eine nackte Beute.
Lauf, t’Larien, lauf!« Sein knochiger, schwarzhaariger Begleiter war herübergekommen, um sich ihm anzuschließen. »Mein teyn«, trug Pyr ihm auf, »binde unsere Hunde los.« Dirk fuhr herum und rannte in Richtung Waldrand davon.
Die Flucht hätte einem Alptraum entsprungen sein können. Er war kaum drei Meter in den Wald eingedrungen, da schlug er sich den Fuß an einem scharfen Stein auf und begann zu humpeln. Aber dieser Stein war nicht der einzige, und alle schienen es ausgerechnet auf seine ungeschützten Füße abgesehen zu haben. Die Stiefel hatten ihm die Jäger abgenommen.
Seine Kleider vermißte er ebenfalls. Im Schutz der Bäume, wo der Wind nicht so eisig pfiff, war es zwar besser, aber er fror immer noch erbärmlich. Eine Zeitlang hatte er Gänsehaut, die dann aber wich. Andere Schmerzen drängten sich in den Vordergrund und ließen die Kälte weniger wichtig erscheinen.
In der Wildnis der Außenwelt war es zu dunkel und zu hell. Zu dunkel, um den Weg zu erkennen. Er stolperte über Wurzeln, schürfte sich Knie und Handflächen auf, trat in Löcher. Aber es war auch zu hell. Die Dämmerung zog zu schnell, viel zu schnell, herauf. Verzweifelt ge-wahrte er das Licht, das die Umrisse der Bäume immer deutlicher hervortreten ließ. Er verlor sein Leuchtfeuer.
Читать дальше