Glücklicherweise kam es darüber nicht zum Duell.«
»Wie, zum Teufel, konntest du nur in eine solche Situation hineingeraten, Gwen?« wollte Dirk wissen. Er hatte Mühe, seine Stimme am Überschlagen zu hindern.
Er war wütend auf sie, fühlte sich mit ihr verletzt und seltsamerweise — doch vielleicht war das gar nicht so seltsam — froh. Alles was ihm Ruark erzählt hatte, war wahr. Der Kimdissi war ihr guter Freund und Vertrauter, kein Wunder, daß sie nach ihm geschickt hatte. Ihr Leben war ein einziger Jammer, sie war eine Sklavin, und nur er konnte das ändern, auf ihn kam es an. »Du hättest dir doch denken können, was dabei herauskommt.«
Sie zuckte mit den Achseln. »Ich habe mir etwas vorgemacht«, sagte sie, »und ich ließ mir von Jaan etwas vormachen, obwohl ich denke, daß er all die Trugbilder, die er mir vorgaukelt, als Realität nimmt. Hätte ich noch einmal die Wahl… Aber ich habe sie nicht. Ich war für ihn bereit, ich brauchte ihn — und ich liebte ihn. Sein Eisen-und-Glühstein war, schon vergeben, deshalb reichte er mir Jade-und-Silber. Und ich nahm es entgegen, ohne auch nur die leiseste Ahnung zu haben, was das bedeutete. Kurz zuvor hatte ich dich verloren.
Mit Jaan sollte es nicht genauso sein. Daher legte ich den hübschen kleinen Armreif um und sagte stolz: ›Ich bin mehr als nur betheyn.‹ Als ob das eine Rolle gespielt hätte. Gib einem Ding einen Namen, und es beginnt zu existieren. Für Garse bin ich Jaans betheyn und seine cro-betheyn, und damit hat es sich. Die Bezeichnungen definieren die Verbindungen und Pflichten. Was konnte es sonst noch geben? Alle Kavalaren leben danach. Wenn ich mich aufraffe und über die Bezeichnung hinauswachse, ist Garse da, der mir wütend betheyn zuruft. Nur Jaan ist da anders, aber manchmal komme ich nicht umhin, mich zu fragen, wie er in Wirklichkeit darüber denkt.«
Ihre Hände erschienen auf dem Tischtuch und ballten sich zu zwei kleinen Fäusten. »Wieder dieselbe dumme Geschichte, Dirk. Du wolltest mich zu deiner Jenny machen, und ich rettete mich, indem ich den Namen zurückwies. Aber wie eine Närrin nahm ich Jade-und-Silber. Und nun bin ich Haltfrau, und alles Lamentieren nützt mir nichts mehr. Dieselbe dumme Geschichte*.«
Ihre Stimme war schrill, die Fäuste hatte sie so krampfhaft geballt, daß die Knöchel weiß hervortraten.
»Wir können es ändern«, sagte Dirk schnell. »Komm zu mir zurück.« Was er sagte, klang hohl, hoffnungsvoll, verzweifelt, triumphierend, besorgt, seine Stimme drückte all dies zugleich aus. Zuerst antwortete Gwen nicht. Sehr langsam, Finger für Finger, öffnete sie die Fäuste und starrte niedergeschlagen auf ihre Hände. Sie atmete tief und inspizierte einmal die Handflächen, dann wieder die Handrücken, als hätte sie fremdartige Artefakte vor sich, die es zu untersuchen galt. Dann legte sie die Hände flach auf den Tisch und stemmte sich hoch.
»Warum?« fragte sie und hatte ihre Stimme wieder völlig in der Gewalt. »Warum, Dirk? Damit du mich wieder zu deiner Jenny machen kannst? Ist das der Grund? Weil ich dich damals liebte, weil davon noch etwas zurückgeblieben sein kann?«
»Ja! Nein, meine ich. Du bringst mich völlig durcheinander.« Auch er erhob sich.
Sie lächelte. »Ja, aber ich habe Jaan auch einmal geliebt, sogar noch nach dir. Und mit ihm kamen andere Bindungen, die Verpflichtungen Jade-und-Silber gegenüber. Zwischen uns beiden gibt es nur Erinnerungen, Dirk.« Gwen stand da und wartete. Als er nicht antwortete, ging sie auf die Tür zu. Er folgte ihr.
Der Robotkellner kam heran und versperrte ihnen den Weg. Sein formloses Gesichtsoval glänzte metallisch.
»Die Rechnung«, sagte er. »Bitte nennen Sie mir die Nummer ihres Festivalkontos.« Gwen zog die Brauen hoch. »Bank von Larteyn, Eisenjade 797-742-677«, fauchte sie. »Bitte alles unter dieser Nummer registrieren.« »Registriert«, verkündete der Roboter und gab den Weg frei. Hinter ihnen gingen im Restaurant die Lichter aus.
Der Wagen wartete noch dort, wo sie ihn verlassen hatten. Gwen bat die Stimme, sie zur Landeschleuse zurückzufahren, und sie fuhren wieder durch Korridore, die plötzlich von frohen Farben und beschwingter Musik erfüllt waren. »Der verdammte Computer hat die Spannung in unseren Stimmen registriert«, sagte sie ein wenig zornig. »Jetzt versucht er uns aufzumuntern.«
»Das macht er aber nicht besonders gut«, sagte Dirk, aber er mußte dabei lachen. »Danke für das Essen. Ich habe vor der Ankunft meine Standards in Festivalgutscheine umgewechselt, aber viel ist dabei nicht herausgekommen, fürchte ich.«
»Eisenjade ist nicht arm«, sagte Gwen. »Und auf Worlorn gibt es ohnehin nicht viel zu bezahlen.«
»Hmm, ja. Ich glaubte bis jetzt, man würde überhaupt nichts los.« »Festivalprogrammierung«, ließ Gwen verlauten. »Dies hier ist die einzige Stadt, die noch nach diesem Prinzip arbeitet. Alle anderen haben den Betrieb eingestellt. Einmal im Jahr schickt pi-Emerel einen Mann, der die Rechnungen bei den Banken einlöst. Bald wird ihn die Fahrt mehr kosten als er einnimmt.«
»Ich bin überrascht, daß das jetzt noch nicht der Fall ist.« »Stimme!« rief sie. »Wie viele Menschen leben heute in Challenge?« Die Wände antworteten.
»Augenblicklich habe ich dreihundertneun legale Bewohner und, Sie eingeschlossen, zweiundvierzig Gäste. Falls Sie den Wunsch haben, können auch Sie legale Bewohner werden. Der Preis hierfür hält sich in Grenzen.«
»Dreihundertneun?« sagte Dirk erstaunt. »Wo sind die alle?« »Challenge wurde für zwanzig Millionen Menschen erbaut«, sagte Gwen. »Du wirst sie hier kaum antreffen, aber sie sind da. Auch in anderen Städten gibt es noch Leute, wenn auch nicht so viele wie in Challenge. Hier lebt es sich am leichtesten. Das Sterben wird auch nicht schwerfallen, falls die Hochleibeigenen von Braith auf die Idee kommen, in den Städten anstatt in der Wildnis zu jagen. Das war schon immer Jaans größte Sorge.
Riesige Energiemengen werden hier verschwendet, einfach vergeudet. Aber darauf lief es bei Challenge und Larteyn und dem ganzen Festival überhaupt hinaus.
Verschwendung, protzige Schau, um zu zeigen, daß der Rand reich ist und mächtig, Verschwendung im großen Maßstab, wie es auf Menschenwelten vorher noch nie der Fall gewesen ist. Ein ganzer Planet wurde jahrelang umgeformt, danach verließ man ihn einfach wieder.
Verstehst du? Was Challenge anbelangt, so ist das Leben dieser Stadt nur noch leere, automatische Bewegung.
Mittels Kernreaktoren hält sie sich selbst in Gang und verpulvert die Energie in Feuerwerken, die kein Mensch sieht. Jeden Tag erntet sie mit ihren riesigen landwirtschaftlichen Maschinen viele Tonnen Nahrungsmittel, viel zuviel für den Bedarf der wenigen Einsiedler, religiösen Kultisten, verlorengegangenen und verwilderten Kinder, eben derjenigen, die als Strandgut des Festivals in die Stadt gespült wurden. Noch immer schickt Challenge jeden Tag ein Boot nach Musquel, um Fisch aufzunehmen. Natürlich gibt es dort gar keine Fische mehr.« »Stellt die Stimme kein neues Programm auf?«
»Ach, das ist ja der Haken an der ganzen Sache. Die Stimme ist ein Idiot. In Wirklichkeit kann sie gar nicht denken oder sich selbst programmieren. Die Emereli wollten eben die Leute beeindrucken, deshalb hört sich die Stimme so gewaltig und omnipotent an. Verglichen mit den Computern der Akademie auf Avalon oder den Künstlichen Intelligenzen auf Alt-Erde ist sie ein Nichts.
Sie denkt nicht und kann sich demnach auch nicht ändern. Sie macht das, womit sie beauftragt wurde, nicht mehr. Und die Emereli befahlen ihr weiterzumachen, so lange wie möglich der Kälte zu widerstehen. Genau das tut sie.«
Sie sah Dirk an. »Sie hat Ähnlichkeit mit dir. Sie macht noch weiter, lange nachdem ihre Hartnäckigkeit Sinn und Bedeutung verloren hat. Sie läßt nicht locker, obwohl es nichts mehr zu gewinnen gibt. Sie wird auch dann nicht aufgeben, wenn alles gestorben ist.« »Aber bis alles tot ist, darf man nicht lockerlassen«, meinte Dirk. »Darauf kommt es an, Gwen. Gibt es denn eine andere Möglichkeit? Ich bewundere die Stadt, auch wenn es sich dabei um einen derart selbstgefälligen Idioten handelt, wie du sagst.« Sie schüttelte den Kopf. »Das sieht dir ähnlich.« »Da ist noch etwas«, sagte er. »Du trägst alles zu früh zu Grabe, Gwen. Worlorn wird sterben, aber noch ist diese Welt nicht tot. Und wir, nun, wir brauchen auch noch nicht tot zu sein. Was du im Restaurant über Jaan und mich gesagt hast, na ja, darüber solltest du einmal nachdenken. Wäge ab, wieviel für mich und für ihn übriggeblieben ist. Wie schwer der Reif an deinem Arm wiegt« — er zeigte dorthin —, »und welchen Namen du am liebsten tragen würdest, oder besser gesagt, wer dir am ehesten deinen eigenen Namen gibt. Verstehst du?
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