Als ich die Daddys rausnahm, merkte ich, daß ich mich diesen schrecklichen Gefühlszuständen nicht entzogen hatte, sondern daß ich sie nur verschoben hatte. Mit einemmal waren meine Gefühle und meine Gehirnwindungen ein einziges, unentwirrbares Knäuel. Ich konnte die einzelnen Gefühlsstränge nicht aufdröseln: Da gab es das blanke Entsetzen, das die Daddys ein paar Stunden lang unterdrückt hatten. Dann die plötzliche Wut, die sich gegen Khan richtete, weil er eine solch teuflische Methode gewählt hatte, um sein Geheimnis zu wahren und weil er mich Zeuge seiner ruchlosen Taten werden ließ. Und der körperliche Schmerz und die totale Erschöpfung, als die allmählich in meinen Muskeln freiwerdenden Gifte mich beinahe hilflos machten (der Daddy hatte mein Hirn und den organischen Teil von mir angewiesen, Verletzungen und Müdigkeit zu ignorieren, nun bekam ich beides zu spüren). Ich merkte, wie schrecklich durstig und hungrig ich war. Und meine Blase, die die Daddys von meinem restlichen Körper isoliert hatten, war am Zerplatzen. ACTH wurde in meinen Blutkreislauf gepumpt und machte mich nur noch aufgeregter. Sämtliche Reaktionen, die sich normalerweise über einen Zeitraum von drei oder vier Stunden verteilt hätten, stürzten nun als einziger, massiver, lähmender Gefühlsorkan über mich herein.
Ich steckte die Daddys wieder rein, so schnell ich konnte, und die Welt hörte auf zu taumeln. Innerhalb einer Minute war wieder alles unter Kontrolle. Meine Atmung normalisierte sich, der Herzschlag verlangsamte sich. Hunger und Durst, Haß, Müdigkeit und das Druckgefühl in der Blase verschwanden. Ich war dankbar, aber ich wußte, daß ich die Quittung nur gestundet bekam. Wenn alles vorbei war und das hier über mich hereinbrechen würde, würde mir der schlimmste Drogenkater wie ein Küßchen im Dunklen vorkommen. Quittungen, ils sont un motherfucker, n'est-ce pas, monsieur?
Ich würde dem zustimmen.
Auf dem Weg zurück in die Lobby und zu Trudi hörte ich, wie jemand meinen Namen rief. Ich war froh, daß ich die Daddys wieder drinhatte. Ich konnte es so schon nicht leiden, wenn jemand meinen Namen in der Öffentlichkeit rief. Vor allem, wenn ich versucht hatte, mich zu tarnen. »Monsieur Audran?«
Ich drehte mich um und sah den Hotelangestellten kühl an. »Ja?« »Eine Nachricht für Sie, Monsieur. Sie wurde in Ihrem Fach hinterlegt.« Offensichtlich kam er mit meiner Gallebeya und der Keffiya nicht klar. Er schien der Meinung zu sein, nur Europäer hielten sich in seinem hübschen, sauberen Hotel auf. Es war aus zwei Gründen nahezu unmöglich, daß irgend jemand eine Nachricht für mich hinterlassen hatte. Zum einen wußte niemand, daß ich hier war, und zum anderen hatte ich mich unter einem falschen Namen angemeldet. Ich wollte wissen, was für ein blöder Fehler da passiert war, und ihn dann dem arroganten Hotelklüngel um die Ohren schlagen. Ich nahm die Nachricht.
Computerpapier, stimmt's?
AUDRAN:
HABE DICH IN SEIPOLTS VILLA GESEHEN, ABER DER ZEITPUNKT PASSTE NICHT.
SCHADE.
ICH WILL DICH GANZ FÜR MICH HABEN, GANZ ALLEIN, IN ALLER RUHE.
ICH WOLLTE NICHT, DASS MAN GLAUBT, DU HÄTTEST WIE DIE ANDEREN NICHTS MIT DER SACHE ZU TUN.
WENN SIE DEINE LEICHE FINDEN, SOLLEN SIE WISSEN, DASS ICH MICH DIR GANZ BESONDERS GEWIDMET HABE.
KHAN.
Meine Knie wurden windelweich, meine Gehirnimplantate ebenfalls. Ich faltete den Zettel und steckte ihn in meine Schultertasche.
»Ist alles in Ordnung, Monsieur?« fragte der Hotelangestellte.
»Die Höhe«, sagte ich. »Es dauert immer etwas, bis ich mich daran gewöhnt habe.«
»Aber wir sind nicht hoch«, antwortete er verwirrt.
»Genau das meine ich.« Ich ging zurück zu Trudi.
Sie lächelte mir zu, als wäre alle Farbe aus ihrem Leben gewichen, während ich weg war. Ich fragte mich, was sie sich wohl insgeheim dachte. Ganz allein, in aller Ruhe. Es zog mir alles zusammen.
»Es tut mir leid, daß ich so lange weg war«, murmelte ich. Ich verbeugte mich leicht und setzte mich in den Stuhl neben sie.
»Das macht nichts«, sagte sie, entwirrte gelassen ihre endlos langen Beine und schlug sie anders herum übereinander. Was niemandem zwischen hier und Osaka entgehen konnte. »Haben Sie mit Lutz gesprochen?«
»Ja. Er war zwar da, aber er mußte noch etwas Wichtiges erledigen. Mit Kommissar Okking.«
»Kommissar?«
»Seine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, daß im Budayin nichts Unerlaubtes geschieht. Haben Sie von diesem Teil unserer Stadt schon gehört?«
Sie nickte. »Aber warum sollte der Kommissar mit Lutz sprechen wollen? Lutz hat nichts mit dem Budayin zu tun, oder?«
Ich lächelte. »Entschuldigen Sie, meine Liebe, aber Sie klingen etwas naiv. Unser Freund ist ein sehr geschäftstüchtiger, unternehmungslustiger Mann. Ich bezweifle, daß irgend etwas in der Stadt passiert, von dem Lutz Seipolt nichts weiß.«
»Das mag sein.«
Das war alles Schwachsinn. Seipolt war mittleres Management, höchstenfalls. Mit Sicherheit war er kein Friedlander Bei. »Sie schicken uns ein Auto, so können wir uns wie geplant treffen. Dann besprechen wir, was wir mit dem restlichen Abend anfangen.«
Sie strahlte wieder. Das neue Kleid und die Einladung würden ihr also doch nicht entgehen.
»Haben Sie etwas gegen einen Drink einzuwenden, um uns die Wartezeit zu verkürzen?« fragte ich. So verbrachten wir die Zeit, bis ein paar als Zivilisten verkleidete Bullen über den dicken blauen Teppich auf uns zu schlurften. Ich stand auf, stellte die Herren Trudi vor und umgekehrt, und wir alle verließen die Hotellobby als die besten Freunde. Wir unterbrachen unser nettes Gespräch nicht, bis wir an der Polizeiwache ankamen. Wir gingen die Treppe hinauf, aber ich wurde von Inspektor Hajjar aufgehalten. Die zwei Hilfssheriffs in Zivil begleiteten Trudi zu Okking.
»Was ist passiert?« fuhr mich Hajjar an. Nun war er wohl ganz Polizist. Nur um mir zu zeigen, daß er es noch voll drauf hatte.
»Was glauben Sie, ist passiert? Xarghis Khan, der für Seipolt und Ihren Boss arbeitete, hat noch ein paar Spuren verwischt. Der Kerl ist sehr gründlich. An Okkings Stelle ginge mir der Arsch auf Grundeis. Der Kommissar ist schließlich selbst eine erstklassige Spur, die einem geradezu in die Augen springt.«
»Das weiß er. Ich habe ihn noch nie so verstört gesehen. Ich habe ihm dreißig oder vierzig Paxium geschenkt. Einen Packen davon hat er zum Mittagessen geschluckt.« Hajjar grinste.
Einer der Bullen in Uniform kam aus Okkings Büro. »Audran«, rief er mich ins Büro. Ich gehörte zum Team, sie respektierten mich alle.
»Einen Augenblick.« Ich wandte mich Hajjar zu. »Hören Sie mal«, sagte ich, »ich möchte alles sehen, was ihr aus Seipolts Schreibtisch und Aktenschränken rausholt.«
»Das dachte ich mir schon«, erwiderte Hajjar. »Der Kommissar hat dafür keine Zeit, deshalb soll ich mich darum kümmern. Ich sorge dafür, daß Sie als erster an das Zeug rankommen.«
»In Ordnung. Es ist wichtig, hoffe ich wenigstens.« Ich betrat Okkings ringsum eingeglaste Zufluchtsstätte, als die beiden Blaujacken Trudi herausführten. Sie lächelte mich an und sagte »Marhaba«. Da kam mir die Idee, daß sie vielleicht doch Arabisch sprach.
»Nehmen Sie Platz, Audran«, sagte Okking. Seine Stimme klang heiser.
Ich setzte mich. »Wohin geht sie?«
»Wir befragen sie nur etwas eingehender. Wir durchforsten ihr Gehirn gründlich. Dann lassen wir sie nach Hause gehen, wo immer das ist.«
Hörte sich nach ordentlicher Polizeiarbeit an. Ich fragte mich bloß, ob Trudis Verfassung ausreichen würde, um sich auf den Beinen zu halten. Sie benutzten bestimmt Hypnose und Drogen und elektrische Gehirnstimulation. Hinterher fühlte man sich, als wäre man durch den Fleischwolf gedreht. Hatte man mir zumindest erzählt.
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