Die Besatzung gewöhnte sich an die Arbeit in den stählernen „Skeletten“ und ertrug die fast dreifache Schwerkraft nach und nach etwas leichter. Auch die unerträglichen Schmerzen in allen Knochen, die jedes Besatzungsmitglied unmittelbar nach der Landung gespürt hatte, ließen allmählich nach.
Nach einigen Erdentagen auf dem finsteren Planeten, während derer das geheimnisvolle „Nichts“ sich nicht gezeigt hatte, begann die Außentemperatur auf einmal zu fallen. Ein orkanartiger Wind kam auf, der von Stunde zu Stunde stärker wurde. Der Untergang der schwarzen Sonne stand bevor — der Planet drehte sich, und das Festland, auf dem die Sternenschiffe standen, erreichte die Nachtseite. Die Abkühlung war dank der Konvektionsströme, der Wärmeabgabe des Ozeans und der dicken Atmosphärenhülle zunächst nicht allzu stark, aber mitten in der Planetennacht setzte starker Frost ein. Die Heizung der Raumanzüge wurde eingeschaltet und die Arbeit fortgesetzt. Der erste Container war gerade aus der Parus geholt und zur Tantra gebracht worden, als ein neuer Orkan aufbrauste, der bei Weitem stärker war als der vorangegangene. Die Temperatur stieg rasch über null, die dichten Luftströme führten eine große Menge an Feuchtigkeit mit sich, und Blitze durchzuckten den Himmel. Der Orkan wurde derart stark, dass das Sternenschiff unter dem Druck des fürchterlichen Windes zu beben begann. Alle Anstrengungen der Besatzung waren auf die Verankerung der Container unter dem Kiel der Tantra gerichtet. Das furchterregende Tosen des Orkans wuchs weiter an. Über die Hochebene brausten gefährliche säulenförmige Wirbelwinde hinweg, die irdischen Tornados zum Verwechseln ähnlich waren. Im Lichtkegel der Scheinwerfer schoss eine riesige Windhose aus Schnee und Staub empor, deren Trichterspitze das fleckige, dunkle und niedrige Himmelsgewölbe berührte. Unter ihrem Druck rissen die Hochspannungsleitungen, bläuliche Funken, die von Kurzschlüssen rührten, zuckten zischend entlang der sich zusammenringelnden Drähte. Das gelbliche Licht des Scheinwerfers neben der Parus erlosch unvermittelt, als hätte der Wind es ausgeblasen.
Erg Noor erteilte den Befehl, die Arbeit einzustellen und im Schiff Schutz zu suchen.
„Aber drüben ist noch ein Beobachter!“, rief Bina Led und zeigte auf das schwache Licht des Silikobortürmchens.
„Ich weiß, Nisa hält dort Wache“, antwortete der Expeditionsleiter. „Ich werde zu ihr gehen.“
„Aber der Strom ist ausgefallen, das ›Nichts‹ hat seine Herrschaft angetreten“, entgegnete Bina mit ernstem Ton.
„Wenn der Orkan so tobt, dass wir unsere Arbeit ruhen lassen müssen, dann wirkt er zweifellos auch auf das ›Nichts‹ so heftig. Ich bin überzeugt, solange der Sturm nicht nachlässt, droht uns keine Gefahr. Die Schwerkraft macht mich so schwer, dass mich der Wind nicht wegblasen kann, wenn ich dicht am Boden entlangkrieche. Außerdem wollte ich schon längst mal vom Turm aus nach diesem ›Nichts‹ Ausschau halten!“
„Darf ich mitkommen?“, fragte der in seinem „Skelett“ zum Kommandanten hüpfende Biologe.
„Gut, gehen wir! Aber nur Sie — sonst niemand!“
Die beiden Männer krochen lange dahin, hielten sich an Unebenheiten und Steinspalten fest und versuchten den Wirbelwinden auszuweichen. Der Orkan tat sein Bestes, um sie vom Boden aufzuwirbeln, sie umzudrehen und fortzurollen. Einmal verlor Eon den Halt und wäre fast weggefegt worden, aber Erg Noor bekam ihn im letzten Moment zu fassen, warf sich auf ihn und hielt sich mit seinen Krallenhandschuhen an einem großen Stein fest.
Nisa öffnete die Luke ihres Türmchens, und die beiden Männer zwängten sich einer nach dem anderen hinein. Hier war es warm und ruhig, das Türmchen stand fest und sicher — in weiser Voraussicht der Stürme war es fest verankert worden.
Die rotlockige Astronavigatorin ärgerte und freute sich zugleich über die Ankunft ihrer Gefährten. Sie gab ehrlich zu, dass es ihr unangenehm wäre, eine so stürmische Nacht allein in dem Wachturm auf einem fremden Planeten zu verbringen.
Erg Noor meldete der Tantra ihre wohlbehaltene Ankunft, und der Scheinwerfer des Schiffs erlosch. Nun brannte in dem Reich der Finsternis nur das schwache Licht im Inneren des Türmchens. Der Boden erzitterte unter den Sturmböen, den Blitzschlägen und den darüberrasenden Wirbelwinden. Nisa saß auf dem Drehstuhl, mit dem Rücken gegen einen Spannungsteiler gelehnt. Der Kommandant und der Biologe setzten sich ihr zu Füßen auf den ringförmigen Vorsprung des Turmfundaments. Sie waren in ihren Raumanzügen so dick, dass sie beinahe den gesamten Platz einnahmen.
„Ich schlage vor, wir schlafen“, ertönte Erg Noors Stimme in den Kopfhörern. „Es sind noch gute zwölf Stunden bis zum Aufgang der schwarzen Sonne — vorher wird der Orkan sicher nicht nachlassen.“
Seine Gefährten stimmten zu. Und so schliefen die drei von der ungewohnten Schwerkraft niedergedrückten Menschen in ihren Raumanzügen mit den harten Gestellen in dem unter dem Sturm bebenden Türmchen ein — dank der ungeheuren Anpassungsfähigkeit des menschlichen Organismus und der in ihm steckenden Widerstandskräfte.
Von Zeit zu Zeit erwachte Nisa und machte eine Kontrollmeldung an den Diensthabenden auf der Tantra, ehe sie wieder einschlummerte. Der Orkan ließ merklich nach, der Boden hörte auf zu beben. Von nun an mussten sie auch mit dem „Nichts“ rechnen, es konnte jeden Augenblick in Erscheinung treten. Die Beobachter im Turm nahmen WT — Wachhaltetabletten — ein, um ihr müdes Nervensystem in Schwung zu bringen.
„Das fremde Sternenschiff lässt mir keine Ruhe“, gestand Nisa. „Ich möchte zu gerne wissen, woher es stammt und wie es hierher gekommen ist…“
„Ich auch“, antwortete Erg Noor. „Über den Großen Ring werden bereits seit Langem Berichte über Eisensterne und deren Planetenfallen gesendet. In den dichter besiedelten Gegenden der Galaxis, wo häufig Schiffe fliegen, gibt es etliche Planeten mit gestrandeten Sternenschiffen. Viele Schiffe, vor allem ältere Typen, konnten sich nicht mehr von den Planeten losreißen, blieben quasi kleben. Die vielen erschütternden Geschichten haben inzwischen schon legendären Charakter, schließlich veranschaulichen sie, wie mühsam die Eroberung des Kosmos sich gestaltet. Vielleicht gibt es auf diesem Planeten sogar noch Sternenschiffe aus älteren Zeiten, obwohl ein Zusammentreffen dreier Schiffe in einem so schwach besiedelten Gebiet wie diesem an sich schon eine große Seltenheit ist. In der Umgebung unserer Sonne war bis jetzt kein einziger Eisenstern bekannt, wir haben den ersten entdeckt.“
„Denken Sie an eine Untersuchung des Tellerschiffs?“, fragte der Biologe.
„Unbedingt! Welcher Wissenschaftler könnte sich eine solche Gelegenheit entgehen lassen! Tellerschiffe sind in den uns benachbarten besiedelten Gebieten unbekannt. Das muss ein Schiff sein, das von sehr weit her kommt. Vielleicht ist es einige Jahrtausende durch die Galaxis geirrt, nachdem die Besatzung umgekommen oder ein irreparabler Schaden aufgetreten war. Vielleicht können wir mit dem Fundmaterial von diesem Schiff endlich jene Botschaften über den Großen Ring verstehen, deren Inhalt uns bisher verschlossen ist. Jedenfalls hat es eine merkwürdige Form — diese scheibenförmige Spirale mit stark vorstehenden Rippen an der Oberfläche. Sobald wir die Parus entladen haben, werden wir uns mit diesem Fremdling befassen — aber im Augenblick können wir niemanden entbehren.“
„Aber für die Untersuchung der Parus haben wir doch nur ein paar Stunden gebraucht…“
„Ich habe mir die Scheibe unter dem Stereoteleskop angesehen. Sie ist fest verschlossen, keine einzige Öffnung ist zu erkennen. Es ist sehr schwierig, in ein kosmisches Schiff einzudringen, dessen Abwehrkräfte um ein Vielfaches stärker sind als alle irdischen Naturgewalten. Versuchen Sie einmal, in die geschlossene Tantra einzudringen — durch ihre Panzerung aus Metall mit umkristallisierter Struktur, durch die obere Verkleidung aus Bor — das ist schwieriger, als eine Festung zu erobern. Und ich nehme an, noch schwieriger ist es bei einem vollkommen fremden Schiff mit unbekannten Konstruktionsprinzipien. Aber wir werden herauszufinden versuchen, was es ist.“
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