»Ich versuche zu verstehen. Es scheint also, daß Tritt mehr von dem Verschmelzen hat als nur die Lust. Und wie steht es mit dir? Was hast du davon?«
Odeen überlegte. »Ich glaube, du weißt das. Eine Art geistige Anregung.«
»Ja, ich weiß, aber ich wollte sicher sein, daß du es verstehst. Ich wollte sichergehen, daß du es nicht vergessen hast. Du hast mir oft gesagt, daß dir nach einer Periode des Verschmelzens, die immer einen seltsamen Zeitverlust bringt — und ich muß zugeben, ich habe dich oft sehr lange nicht gesehen, plötzlich viele Dinge verständlich waren, die du vorher nicht begreifen konntest.«
»Es war, als ob mein Gehirn in der Zwischenzeit aktiv geblieben wäre«, sagte Odeen. »Es war, als gäbe es da eine Zeit, die, obwohl ich ihr Verstreichen nicht bemerkte und ich mir meiner Existenz überhaupt nicht bewußt war, irgendwie lebensnotwendig für mich war; eine Zeit, in der ich klarer und intensiver denken konnte, weil mich die weniger intellektuelle Seite des Lebens nicht ablenken konnte.«
»Ja, und jedesmal hast du in deinem Weltverständnis einen gewaltigen Sprung vorwärts gemacht. Das ist durchaus üblich bei euch Denklingen, obwohl ich zugeben muß, daß du der einzige warst, der seine Fortschritte mit solcher Geschwindigkeit machte. Ich bin ehrlich der Meinung, daß dir kein Denkling das Wasser reichen kann.«
»Wirklich?« fragte Odeen und versuchte nicht ungebührlich erfreut zu erscheinen.
»Andererseits irre ich mich vielleicht.« Losten amüsierte sich über den plötzlichen Lichtverlust des anderen, »aber das ist unwichtig. Es geht darum, daß du und Tritt noch etwas aus dem Verschmelzen gewinnt.«
»Ja. Ganz gewiß.«
»Aber was hat Dua davon?«
Es folgte eine lange Pause. »Ich weiß es nicht«, antwortete Odeen.
»Hast du sie jemals gefragt?«
»Nein.«
»Wenn sie also«, sagte Losten, »aus einem Verschmelzen nur das Lustgefühl mit nach Hause nimmt, und wenn du und Tritt noch etwas Zusätzliches habt — warum sollte sie es dann so gern haben wie ihr?«
»Andere Gefühlslinge brauchen offenbar nicht…« begann Odeen abwehrend.
»Andere Gefühlslinge sind auch nicht wie Dua. Du hast mir das oft genug selbst gesagt und sogar, wie ich glaube, mit Befriedigung.«
Odeen schämte sich. »Ich hatte angenommen, es wäre vielleicht etwas anderes.«
»Und was sollte das sein?«
»Es ist schwer zu erklären. Wir kennen einander in der Triade, wir erspüren einander; in mancher Beziehung sind wir die Teile eines einzigen Individuums — eines nebelhaften Individuums, das daherkommt und wieder geht. Die meiste Zeit ist dieses Wesen nicht bei Bewußtsein. Wenn wir zu konzentriert darüber nachdenken, verlieren wir es aus dem Griff, so daß es keinerlei Klarheit gewinnt. Wir…« Odeen verhedderte sich hoffnungslos. »Es ist sehr schwierig, einem Außenstehenden die Triade zu erklären…«
»Trotzdem versuche ich zu verstehen. Du glaubst, du hast einen Teil von Duas innerem Wesen geschaut; etwas, das sie geheimzuhalten versuchte, meinst du das?«
»Ich bin sicher. Es ist nur ein sehr vager Eindruck, der sich dann und wann in einem Winkel meines Bewußtseins bildet.«
»Nun?«
»Ich glaube manchmal, Dua will gar keinen BabyGefühlsling.«
Losten blickte ihn ernst an. »Ihr habt bisher nur zwei Kinder, richtig? Einen kleinen Linksling und einen kleinen Rechtsling.«
»Ja, nur zwei. Der Gefühlsling ist schwer in Gang zu bringen, das weißt du.«
»Ich weiß.«
»Und Dua macht sich einfach nicht die Mühe, die nötige Energie aufzunehmen. Sie versucht es gar nicht. Sie hat immer wieder Gründe, die ich aber nicht glauben kann. Es will mir scheinen, daß sie aus irgendeinem Grunde einfach keinen Gefühlsling will. Was mich angeht — nun, wenn Dua im Augenblick wirklich noch kein Baby wollte, würde ich sie gewähren lassen. Aber Tritt ist ein Elterling, und er will ein Baby, er muß eins haben, und irgendwie kann ich ihn nicht enttäuschen, nicht einmal, um Dua zu helfen.«
»Wenn Dua aber einen vernünftigen Grund dafür hätte, daß sie keinen Gefühlsling will, würde das für dich einen Unterschied machen?«
»Für mich bestimmt, aber nicht für Tritt. Er versteht so etwas nicht.«
»Aber du würdest dir dann Mühe geben, ihn hinzuhalten?«
»Ja, das würde ich, so lange ich könnte.«
»Ist dir aufgefallen«, fragte Losten, »daß kaum ein Weichwesen« er zögerte, als suchte er nach einem Wort, und benutzte dann doch die übliche Bezeichnung — »weiterzieht, ehe die Kinder geboren sind — alle drei, wobei der Baby-Gefühlsling das letzte ist?«
»Ja, ich weiß.« Odeen fragte sich, wieso ihm Losten eine so elementare Frage stellte.
»Dann ist also die Geburt eines Baby-Gefühlslings ein Zeichen dafür, daß die Zeit zum Weiterziehen reif ist.«
»Aber doch erst, wenn der Gefühlsling alt genug ist…«
»Aber die Zeit zum Weiterziehen würde kommen. Ist es nicht möglich, daß Dua einfach nicht weiterziehen will?«
»Wie kann das sein, Losten? Wenn die Zeit zum Weiterziehen kommt — das ist doch fast genauso, als wenn es wieder Zeit zum Verschmelzen wird. Wie kann man das nicht wollen?« (Die Hartlinge verschmolzen ja nicht; vielleicht verstanden sie das also nicht.)
»Nehmen wir einmal an, daß Dua überhaupt nicht weiterziehen will. Was würdest du dazu sagen?«
»Nun, daß wir eines Tages weiterziehen müssen. Wenn Dua das letzte Baby nur hinauszögern wollte, könnte ich das vielleicht noch akzeptieren und womöglich auch Tritt dazu bringen. Wenn sie es aber überhaupt nicht haben will — das können wir nicht zulassen.«
»Warum nicht?«
Odeen schwieg und dachte darüber nach. »Ich kann es nicht sagen, Losten-Herr, aber ich weiß, wir müssen weiterziehen. Mit jedem Zyklus vertieft sich dieses Wissen, und manchmal meine ich beinahe auch den Grund dafür zu verstehen.«
»Ich glaube fast, du bist ein richtiger Philosoph, Odeen«, sagte Losten trocken. »Denken wir das mal durch. Wenn das dritte Baby kommt und aufwächst, hat Tritt alle seine Kinder zusammen und kann nach einem erfüllten Leben in aller Ruhe weiterziehen. Du selbst hast die Befriedigung einer umfassenden Bildung und kannst ebenfalls auf ein erfülltes Leben zurückschauen. Aber was ist mit Dua?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Odeen elend. »Andere Gefühlslinge hocken ein Lebenlang zusammen und scheinen Spaß daran zu haben, miteinander zu plaudern. Dua mag das nicht.«
»Nun, sie ist ja auch ungewöhnlich. Gibt es denn überhaupt nichts, das ihr Spaß macht?«
»Sie hört mir gern zu, wenn ich von meiner Arbeit spreche«, murmelte Odeen.
»Nun, deswegen brauchst du dich nicht zu schämen, Odeen. Jeder Denkling spricht mit seinem Rechtsling und seinem Mittling über seine Arbeit. Ihr tut nur alle so, als wäre das nicht der Fall, doch es stimmt.«
»Aber Dua hört auch zu, Losten-Herr.«
»Da bin ich ganz sicher. Nicht wie die anderen Gefühlslinge. Und hast du nicht auch die Beobachtung gemacht, daß sie nach einem Verschmelzen viel besser begreift?«
»Ja, das ist mir schon aufgefallen. Ich habe natürlich noch nicht besonders darauf geachtet…«
»Weil du sicher bist, daß Gefühlslinge so etwas gar nicht begreifen. Dua jedoch scheint wirklich viel von einem Denkling zu haben«
(Odeen schaute Losten verblüfft an. Einmal hatte Dua ihm von den Qualen ihrer Kindheit berichtet, nur einmal, von den schrillen Rufen der anderen Gefühlslinge, von dem schlimmen Namen, mit dem sie sie belegt hatten — LinksG. Hatte Losten das irgendwie in Erfahrung gebracht?… Aber er schaute Odeen nur ruhig an.)
»Das habe ich mir manchmal auch eingebildet«, sagte Odeen. Dann brach es aus ihm hervor: »Ich bin deswegen stolz auf sie.«
»Das kannst du auch. Warum sagst du es ihr aber nicht? Und wenn sie ihr Denken anregen möchte, warum läßt du sie nicht gewähren? Laß sie noch intensiver an deinem Wissen teilhaben. Beantworte ihre Fragen. Würde das die Triade in Mißkredit bringen?«
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