»Es fühlt sich aber so an, als ob du ihn nicht magst.«
»Oh, ganz und gar nicht, Tritt. Es ist nur, weil ich irgendwie… irgendwie…« Odeen lachte. »Ich bin eifersüchtig. Hartlinge sind so intelligent, daß wir daneben völlig unbedeutend erscheinen, aber ich hatte mich daran gewöhnt, weil Losten mir immer sagte, wie klug ich wäre — für ein Weichwesen. Aber da kommt dieser Estwald, und sogar Losten scheint in Bewunderung versunken, und ich bin wirklich nur noch ein Niemand.«
Tritt ließ seine Vorderseite ausschwingen, so daß sie Odeen leicht berührte, der jetzt aufblickte und lächelte. »Aber das ist nur dumm von mir. Wer schert sich schon darum, wie klug ein Hartling ist? Keiner von ihnen hat einen Tritt!«
Daraufhin begannen sie nun doch nach Dua zu suchen. Erstaunlicherweise hatte sie ihre Wanderung schon beendet und war auf dem Wege nach unten. Es war ein sehr gutes Verschmelzen, obwohl es nur etwa einen Tag dauerte. Tritt begann sich wegen des Verschmelzens Sorgen zu machen. Annis war noch so klein, und da war auch eine kurze Abwesenheit ein Risiko, obwohl sich immer andere Elterlinge fanden, die auf ihn achten wollten.
Danach erwähnte Odeen Estwald noch mehrere Male. Er nannte ihn immer den »Neuen« — auch später noch, als bereits einige Zeit verstrichen war. Noch immer hatte er ihn nicht zu Gesicht bekommen. »Ich glaube, ich gehe ihm unwillkürlich aus dem Weg«, hatte er einmal gesagt, als Dua dabei war, »weil er soviel über die neue Anlage weiß. Ich möchte das noch nicht so schnell herausfinden, denn das Lernen macht soviel Spaß.«
»Die Positronenpumpe?« hatte Dua gefragt.
Und das war auch seltsam an Dua, fand Tritt. Es ärgerte ihn. Sie konnte die schwierigen Worte fast so gut aussprechen wie Odeen. Und das war für einen Gefühlsling nicht normal.
So entschloß sich Tritt, Estwald zu fragen, weil Odeen gesagt hatte, er wäre so klug. Außerdem kannte ihn Odeen noch nicht. Estwald konnte also nicht sagen: »Ich habe mit Odeen darüber gesprochen, Tritt, und du darfst dir keine Gedanken machen.«
Alle Hartlinge meinten, wenn sie mit dem Denkling sprachen, so würden sie mit der ganzen Triade sprechen. Niemand achtete auf die Elterlinge. Nun, diesmal kamen sie nicht darum herum. Er war jetzt hier in den Hart-Höhlen, wo alles verändert schien. Die Umgebung war ihm völlig fremd und unverständlich, irgendwie nicht richtig. Es war beängstigend. Doch er hatte sich auf sein Gespräch mit Estwald so versteift, daß er seine Angst unterdrückte. Er sagte sich: »Ich will meinen BabyMitt.« Das gab ihm den Mut zum Weitergehen.
Er erblickte schließlich einen Hartling. Er war allein und tat etwas, beugte sich über etwas, hantierte an etwas. Odeen hatte ihm einmal gesagt, die Hartlinge arbeiteten immer an ihren… was immer das war. Tritt erinnerte sich nicht daran, und es war ihm auch gleichgültig.
Leise näherte er sich dem Hartling und blieb stehen. »HartHerr«, sagte er.
Der Hartling blickte auf, und die Luft vibrierte um ihn, wie sie es nach Odeens Worten immer tat, wenn zwei Hartlinge miteinander sprachen. Nun schien ihn der Hartling erst wirklich wahrzunehmen. Er sagte: »Na, das ist ja ein Rechtsling. Was suchst du denn hier? Hast du deinen kleinen Linksling bei dir? Fängt denn heute ein neues Semester an?«
Tritt hörte nicht zu. Er fragte: »Wo finde ich Estwald, Herr?«
»Wen?«
»Estwald.«
Der Hartling schwieg eine lange Zeit. Dann fragte er: »Was hast du denn mit Estwald zu schaffen, Rechtsling?«
Tritt war widerspenstig: »Es ist wichtig, daß ich mit ihm spreche. Bist du Estwald, Hart-Herr?«
»Nein, nein… Wie heißt du, Rechtsling?«
»Tritt, Hart-Herr.«
»Ich verstehe. Du bist der Rechtsling aus Odeens Triade, nicht wahr?«
»Ja.«
Die Stimme des Hartlings schien weicher zu werden. »Ich fürchte, du kannst Estwald im Augenblick nicht sprechen. Er ist nicht hier. Wenn ich dir sonstwie helfen kann…«
Tritt wußte nicht, was er sagen sollte. Er stand einfach nur da.
»Geh jetzt nach Hause«, fuhr der Hartling fort. »Sprich mit Odeen darüber. Er wird dir schon helfen. Ja? Geh nach Hause, Rechtsling.«
Der Hartling wandte sich ab. Er schien sehr mit anderen Dingen beschäftigt, und Tritt stand noch immer am gleichen Fleck. Dann bewegte er sich lautlos in einen anderen Gang. Der Hartling blickte nicht auf.
Tritt wußte nicht sofort, warum er diese Richtung eingeschlagen hatte. Zuerst hielt er es einfach für richtig. Dann wurde ihm klar, daß er die dünne Wärme von Nahrung verspürte und davon kostete.
Er hatte gar nicht gewußt, daß er hungrig war; jetzt genoß er die Speise.
Die Sonne war nicht da. Instinktiv blickte er auf, doch natürlich war er in einer Höhle. Trotzdem war die Nahrung besser, als er es jemals an der Oberfläche empfunden hatte. Er sah sich verwundert um. Vor allen Dingen verwunderte es ihn, daß er sich wunderte.
Er hatte Odeen manchmal angefahren, weil sich Odeen über so viele Dinge verwunderte, die ihm, Tritt, nicht wichtig waren. Jetzt wunderte er sich ebenfalls — er, Tritt! Und das, worüber er sich da wunderte, war wichtig! Plötzlich erkannte er, wie wichtig es war. Stechend heiß durchfuhr ihn die Erkenntnis, daß er sich wunderte, weil etwas in ihm anzeigte, daß seine Beobachtung wichtig war.
Er handelte schnell, erstaunt über seinen Mut. Nach einer Weile kehrte er um. Dabei kam er auch an dem Hartling vorbei, mit dem er vorhin gesprochen hatte. Er sagte: »Ich gehe jetzt nach Hause, Hart-Herr.«
Der Hartling murmelte nur etwas Unverständliches.
Er war immer noch beschäftigt, beugte sich über irgend etwas, machte irgendwelche dummen Dinge und erkannte das Wichtige nicht.
Wenn die Hartlinge so großartig und mächtig und klug waren, überlegte Tritt, wie konnten sie dann zugleich so dumm sein?
Dua befand sich auf dem Wege in die Hart-Höhlen. Sie trieb sich hier herum, weil die Sonne untergegangen war und sie irgend etwas tun mußte, etwas, das ihre Heimkehr noch hinausschob, das verhinderte, daß sie sich die Vorhaltungen Tritts und die halb verlegenen, halb resignierten Vorschläge Odeens anhören mußte. Aber sie war auch hier, weil die Höhlen selbst eine Anziehung auf sie ausübten.
Schon lange hatte sie diese Verlockung gespürt, tatsächlich schon seit ihrer Kindheit, und hatte längst aufgegeben, sie vor sich selbst zu verleugnen. Gefühlslinge durften solche Empfindungen eigentlich nicht kennen. Bei sehr kleinen Gefühlslingen war das manchmal der Fall — Dua war alt und erfahren genug, um das zu wissen, aber das ließ schnell nach oder wurde den Kleinen schleunigst ausgetrieben, wenn es nicht schnell genug nachließ.
Aber schon als Kind hatte ihr nachdrückliches Interesse an der Welt, an der Sonne und den Höhlen und überhaupt allen Dingen nicht nachgelassen — bis der Elterling ihr sagte: »Du bist richtig absonderlich, Dua, mein Liebling. Du bist ein seltsamer kleiner Mittling. Was soll nur aus dir werden?«
Sie hatte nicht die geringste Ahnung, was an ihrem Wissensdrang so absonderlich war. Sie fand schnell heraus, daß ihr Elterling diese Frage auch nicht beantworten konnte. Daraufhin versuchte sie es bei ihrem Links-Vater, der jedoch die sanfte Ratlosigkeit des Rechts-Vaters vermissen ließ. Er schnappte: »Warum fragst du, Dua?« und sein Blick schien drohend in sie zu dringen.
Erschreckt lief sie davon und fragte ihn nicht wieder. Doch eines Tages hatte ein anderer Gefühlsling ihres Alters »LinksG« hinter ihr hergeschrien, nachdem sie gesagt hatte, sie… Sie wußte es nicht mehr — es war jedenfalls etwas, das ihr damals ganz natürlich vorgekommen war. Dua war fassungslos gewesen, ohne zu wissen, warum, und hatte ihren sehr viel älteren Links-Bruder gefragt, was ein LinksG wäre. Er war verlegen zurückgewichen — eindeutig verlegen — und hatte gemurmelt: »Ich weiß es nicht.« Dabei war ganz klar gewesen, daß er es wußte.
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