Nadia schottete ihren Geist von deren Gerede ab und konzentrierte sich auf das Problem der Pipeline. Als sie wieder in die reale Zeit zurückkehrte, stellte sie fest, dass jeder Roboter, den sie finden konnte, mit der Wiederherstellung der Städte beschäftigt war. Und die Fabriken lieferten noch mehr Bulldozer, Planierraupen, Abraumlaster, Frontlader, Dampfwalzen Schweißgeräte, Zementmischer, Kunststoffbereiter, kurzum alles. Das System war in voller Fahrt, und es gab für sie nicht mehr genug zu tun. So sagte sie den anderen, dass sie wieder aufbrechen wolle. Ann, Simon, Yeli und Sasha beschlossen, sie zu begleiten. Aber Angela und Sam hatten in South Fossa Freunde gewonnen und wollten bleiben.
Also stiegen die fünf in ihre Flugzeuge und hoben wieder ab. So pflegte es überall zu gehen, wie Yeli versicherte. Wenn Mitglieder der Ersten Hundert zusammentrafen, würden sie sich nicht trennen.
Sie wandten sich nach Süden auf Hellas zu. Als sie über Tyrrhena Mohole kamen, nahe bei Hadriaca Pater a, landeten sie kurz. Die Mohole-Stadt hatte ein Loch bekommen und brauchte Hilfe zum Wiederaufbau. Es waren keine Roboter verfügbar; aber Nadia hatte die Erfahrung gemacht, dass sie Maßnahmen ergreifen konnte mit lediglich ihren Programmen, einem Computer und einer Luftverwertungsanlage als Ausgangsbasis. Diese Art von spontaner Erzeugung von Maschinen war ein weiterer Aspekt ihrer Möglichkeiten. Der Start verlief zweifellos langsam. Aber im Verlauf eines Monats würden diese drei Komponenten zusammen folgsame Tiere aus dem Sand geschaffen haben. Erst die Fabriken, dann die Montagewerke und danach die Bauroboter selbst, Vehikel so groß und gegliedert wie Häuserblocks in der Stadt, die in ihrer Abwesenheit ihre Arbeit verrichteten. Ihre neue Kraft war erstaunlich.
Und dennoch war all dies nichts angesichts der menschlichen Zerstörungswut. Die fünf Reisenden flogen von Ruine zu Ruine und wurden taub gegenüber dem Schaden und den Toten. Nicht dass sie sich nicht ihrer eigenen Gefahr bewusst gewesen wären. Nachdem sie im Flugkorridor Hellas-Elysium an einer Anzahl abgeschossener Flugzeuge vorbeigekommen waren, gingen sie zu Nachtflügen über. Die waren in vielfacher Hinsicht gefährlicher als Flüge bei Tag, aber Yeli fühlte sich dabei wohler. Die 16Ds waren für Radar fast unsichtbar und würden auf den stärksten Infrarotdetektoren mit enger Bündelung nur sehr schwache Spuren hinterlassen. Sie waren alle gewillt, diese minimale Blöße zu wagen. Nadia war es gleichgültig. Sie wäre gern bei Tag geflogen. Sie lebte so sehr im Augenblick, wie sie konnte; aber ihre Gedanken bewegten sich in Kreisen, wenn sie sich ständig bemühte, sie in die Gegenwart zurückzuführen. Benommen durch das Ausmaß der Zerstörungen wurde sie von ihren Emotionen abgeschnitten. Sie wollte lediglich arbeiten.
Und Ann ging es noch schlechter, wie ein Teil von Nadia bemerkte. Natürlich musste sie sich um Peter Sorgen machen. Und dann auch noch alle diese Zerstörungen — für Ann waren das weniger die Bauten und Konstruktionen, sondern das Land selbst, die Fluten, die Massenverluste, der Schnee und die Strahlung. Und sie hatte keine Arbeit, um sich abzulenken. Ihre Aufgabe wäre gewesen, den Schaden zu untersuchen. Und so tat sie nichts oder suchte, Nadia zu helfen, wenn sie konnte. Sie bewegte sich wie ein Automat, Tag für Tag arbeitete sie, um die Reparatur der einen oder anderen beschädigten Struktur in Gang zu setzen, einer Brücke, einer Pipeline, eines Brunnens, eines Kraftwerks, einer Piste, einer Stadt. Sie lebten in etwas, das Yeli eine Waldo-Welt nannte. Sie scheuchten Roboter mit Befehlen herum, als wären sie Sklavenhalter, Zauberer oder Götter. Und die Maschinen gingen an die Arbeit, versuchten, den Film der Zeit rückwärts laufen zu lassen und zerbrochene Dinge wieder zusammenzusetzen. Bei dem Luxus der Eile konnten sie nachlässig sein; und es war unglaublich, wie schnell sie einen Wiederaufbau starten und dann weiterfliegen konnten. »Im Anfang war das Wort«, sagte Simon müde eines Abends und drückte auf sein Armband. Ein Brückenkran schwenkte über die untergehende Sonne. Und dann waren sie wieder unterwegs.
Sie starteten Dämmungs- und Eingrabungsprogramme für drei explodierte Reaktoren. Dabei blieben sie in Sicherheit hinter dem Horizont und arbeiteten mit Teleoperating. Während er die Arbeiten überwachte, wechselte Yeli manchmal die Kanäle und warf einen Blick auf die Nachrichten. Ein Bild kam aus dem Orbit. Eine Aufnahme der Tharsis-Hemisphäre, welche die ganze Sichel außer den Westrand bei Tageslicht zeigte. Aus dieser Höhe konnten sie kein Anzeichen der Ausflüsse erkennen. Aber die Stimme aus dem Off erklärte, dass diese in allen alten Flussbetten stattgefunden hätten, die von Marineris nach Norden zu Chryse verliefen. Und das Bild sprang zu einem teleskopischen Bild, das in jener Region rötlich weiße Bänder zeigte. Also jetzt wirkliche Kanäle.
Nadia ging nach dem Fernsehbericht gleich wieder an ihre Arbeit. So viel zerstört, so viele Menschen getötet, Menschen, die tausend Jahre hätten leben können, und natürlich kein Wort von Arkady. Es waren jetzt zwanzig Tage. Manche sagten, er konnte gezwungen worden sein, ganz unterzutauchen, um nicht durch einen Schlag aus dem Orbit getötet zu werden. Aber Nadia glaubte das nicht mehr länger, außer in Momenten extremer Sehnsucht und Schmerzes, den beiden Emotionen, die durch die besessene Arbeitsweise in einer brandneuen Mischung aufwallten zu einem neuen Gefühl, das sie hasste und fürchtete. Sehnsucht bewirkte Schmerz, und Schmerz bewirkte Sehnsucht — ein heißes wildes Verlangen, dass die Dinge nicht so sein sollten, wie sie waren. Wie quälend ein solches Verlangen war! Aber wenn sie hart genug arbeitete, gab es keine Zeit dafür. Keine Zeit zu denken oder zu fühlen.
Sie flogen über die Brücke, die an der Ostgrenze von Hellas Harmakhis Vallis überspannt hatte. Sie war hinuntergebrochen. Instandsetzungsroboter waren bei allen großen Brücken in Nischen versteckt; und sie konnten zur völligen Rekonstruktion der Spannweite programmiert werden, obwohl sie dabei langsam sein würden. Die Reisenden brachten sie in Gang; und nachdem sie die letzten Programme installiert hatten, setzten sie sich in den Kabinen der Flugzeuge zu in Mikrowellen erhitzten Spaghetti hin, und Yeli stellte wieder den Kanal des Fernsehens von der Erde ein. Es gab nur Statik und ein wackelndes, miserables Bild. Er versuchte es mit Kanalwechsel, aber es war überall dasselbe. Starke, brummende Störungen.
Ann sagte: »Haben sie etwa die Erde in die Luft gejagt?«
»Nein, nein«, meinte Yeli. »Da stört jemand. Die Sonne steht in diesen Tagen zwischen uns und der Erde. Man braucht nur mit ein paar Relais-Satelliten dazwischenzufunken, um den Kontakt ganz abzuschneiden.«
Sie starrten finster auf den sprühenden Schirm. In den letzten Tagen waren die asynchronen Nachrichtensatelliten links und rechts abgestürzt — abgeschossen oder durch Sabotage, das war unmöglich zu sagen. Jetzt, ohne die Nachrichten von der Erde, würden sie wirklich im Finstern sitzen. Radiosignale von Oberfläche zu Oberfläche waren sehr begrenzt in Anbetracht des nahen Horizonts und des Fehlens einer Ionosphäre. Kaum größere Reichweite als mit Handsprechgeräten. Yeli versuchte es mit mannigfaltigen stochastischen Resonanzmustern, um zu sehen, ob er die Blockade durchdringen könnte. Die Signale waren hoffnungslos verzerrt und überlagert. Er gab knurrend auf und tastete ein Suchprogramm ein. Das Radio oszillierte durch die Frequenzen hinauf und herunter, erwischte Statik und hielt bei der gelegentlichen schwachen Hervorhebung an. Codiertes Knacken, unwiederbringliche Musikfetzen. Geisterstimmen plapperten in unverständlichen Sprachen, als ob Yeli dort Erfolg gehabt hätte, wo das SETI-Programm der Suche nach extraterrestrischer Intelligenz versagt hatte. Als ob jetzt, da es sinnlos war, Botschaften von den Sternen eingetroffen wären. Wahrscheinlich nur irgendwelches Zeug von den Bergwerksleuten auf Asteroiden. Auf jeden Fall unverständlich und nutzlos. Sie waren auf der Oberfläche des Mars allein, fünf Personen in zwei kleinen Flugzeugen.
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