»Nun, Nadia, es ist ein Schock, plötzlich ohne Kuppel zu sein. Sie mussten sich erst vergewissern, dass das Gebäude sicher war.«
»Scheint so.«
Aber unter ihnen waren sehr wenige Ingenieure oder Baufachleute. Sie waren zumeist Areologen, Spezialisten für Böschungen oder Bergwerksleute. Der Bau von Basen war etwas für Roboter, so schienen sie jedenfalls zu denken. Es war schwer zu sagen, wie lange sie gebraucht hätten, um selbst an den Wiederaufbau zu gehen; aber mit Nadia, die zeigte, was getan werden konnte, die sie mit einem kurzen Wutausbruch über ihre Untätigkeit auf Trab brachte, waren sie bald am Werk. Nadia arbeitete jeden Tag achtzehn bis zwanzig Stunden lang. Sie ließ eine Grundmauer errichten und setzte Kräne ein zum Bau der Kuppel. Danach war es nur noch eine Sache der Aufsicht. Nadia fragte ihre Gefährten aus Laßwitz unentwegt, ob sie wieder mit ihr in die Flugzeuge steigen würden. Sie sagten zu, und so starteten sie etwa eine Woche nach ihrer Ankunft wieder, wobei Ann und Simon sie in Angela und Sams Flugzeug begleiteten.
Während sie nach Süden flogen, den Abhang von Isidis hinab auf Burroughs zu, knisterte plötzlich eine codierte Mitteilung über ihre Lautsprecher. Nadia wühlte in ihrem Gepäck und fand einiges Zeug, das Arkady ihr gegeben harte. Sie fand, was sie suchte, und stöpselte es in die KI des Flugzeugs ein. Einige Sekunden nachdem die Mitteilung Arkadys Entschlüsselungsprogramm durchlaufen hatte, sprach das Gerät monoton:
»UNOMA in Besitz von Burroughs. Hält jeden fest, der dorthin kommt.«
In beiden Flugzeugen herrschte Schweigen, während sie durch den leeren rosa Himmel südwärts strebten. Unter ihnen senkte sich die Ebene von Isidis nach links.
»Lasst uns jedenfalls hingehen«, schlug Ann vor. »Wir können ihnen persönlich sagen, dass sie die Angriffe einstellen sollen.«
»Nein«, entgegnete Nadia. »Ich will imstande sein zu arbeiten. Und wenn sie uns einsperren … Außerdem, warum denkst du, dass sie sich anhören werden, was wir über die Angriffe sagen?«
Keine Antwort von Ann.
»Können wir es bis Elysium schaffen?« fragte Yeli.
»Ja«, erwiderte Nadia.
Also wandten sie sich nach Osten und ignorierten Beschwerden seitens der Flugüberwachung von Burroughs. »Sie werden nicht hinter uns herkommen«, sagte Yeli zuversichtlich. »Schaut, das Satellitenradar zeigt, dass viele Flugzeuge hier herum in der Luft sind, zu viele, um alle zu verfolgen. Und es wäre auf jeden Fall eine Zeitverschwendung, weil ich den Verdacht habe, dass einige davon Köder sind. Da hat jemand eine Menge Drohnen hochgeschickt, was die Sache hübsch verwirrend macht, was uns betrifft.«
»Dabei hat sich jemand wirklich viel Mühe gegeben«, flüsterte Nadia, während sie das Radarbild betrachtete. Fünf oder sechs Objekte glühten im Südquadranten. »Bist du das gewesen, Arkady? Hast du so viel vor mir verheimlicht?«
Sie dachte an seinen Radiosender, auf den sie gerade in ihrem Gepäck gestoßen war. »Oder vielleicht war es gar nicht versteckt. Vielleicht habe ich es bloß nicht sehen wollen.«
Sie flogen nach Elysium und landeten dicht bei South Fossa, dem größten überdachten Canyon von allen. Sie stellten fest, dass das Dach noch da war, aber, wie sich herausstellte, nur deshalb, weil der Druck aus der Stadt abgelassen worden war, ehe sie leck wurde. Daher waren die Einwohner in vielen intakten Gebäuden gefangen und hatten versucht, die Farm in Gang zu halten. Es hatte in der Versorgungszentrale eine Explosion gegeben und mehrere weitere in der Stadt selbst. Also gab es hier viel Arbeit; aber man hatte eine gute Grundlage für einen raschen Wiederaufbau; und die Bevölkerung war unternehmenslustiger als in Peridier. Also machte Nadia sich wie zuvor ans Werk und beschloss, jeden wachen Augenblick mit Arbeit auszufüllen. Sie hielt es nicht aus, müßig zu sein. Die alten Jazzmelodien gingen ihr durch den Kopf — nichts Passendes; es gab keinen hierfür geeigneten Jazz oder Blues. Alles war völlig inhomogen. ›On the Sunny Side of the Street‹, ›Pennies from Heaven‹, ›A Kiss to Build a Dream On‹ …
Und in diesen hektischen Tagen in Elysium wurde ihr langsam klar, wie viel Kraft die Roboter besaßen. Sie hatte nie versucht, diese Möglichkeiten voll auszunutzen. Das war einfach nicht nötig gewesen. Aber jetzt mussten Hunderte von Aufgaben erledigt werden, mehr als selbst mit einer totalen Anstrengung geschafft werden konnten. Daher beanspruchte sie das System bis an die Halskrause, wie die Programmierer sagen würden, und sah zu, wie viel dabei herauszuholen war, obwohl sie immer noch mehr zu erzielen hoffte. Sie hatte das Teleoperating immer für eine im Grunde lokale Prozedur gehalten. Aber das war nicht notwendigerweise so. Mit Hilfe eines Relais-Satelliten konnte sie einen Bulldozer auf der anderen Hemisphäre des Planeten steuern. Und das tat sie jetzt, wann immer sie eine gute Verbindung herstellen konnte. Sie hörte nicht eine einzige ihrer wachen Sekunden auf zu arbeiten. Sie arbeitete beim Essen und las Berichte und Programme im Bad. Sie schlief nur dann, wenn Erschöpfung sie umhaute. In diesem zeitlosen Zustand sagte sie jedem ihrer Mitarbeiter, was zu tun war — ohne Rücksicht auf deren Meinung oder Bequemlichkeit. Und angesichts ihrer monomanen Konzentration und Autorität in der Beurteilung der Lage gehorchten ihr die Leute.
Trotz all dieser Anstrengungen konnte sie nicht genug tun. Alles fiel auf sie zurück; und sie allein verlieh in den schlaflosen Stunden dem System vollen Schwung, immer an der Grenze des Möglichen. Elysium hatte schon eine große Menge von Baurobotern fertig gestellt, so dass es möglich war, die allerdringendsten Probleme sofort in Angriff zu nehmen. Bei den meisten davon ging es um die Canyons am Westhang von Elysium. Alle überdachten Canyons waren mehr oder weniger aufgebrochen worden, aber die meisten ihrer Versorgungszentralen waren nicht betroffen, und es gab eine große Anzahl Überlebender, die in einzelnen Gebäuden hockten, welche Notgeneratoren hatten wie die in South Fossa. Nachdem South Fossa wieder überdacht, beheizt und unter Druck gesetzt war, schickte sie Teams aus, um alle Überlebenden auf dem Westhang ausfindig zu machen. Diese wurden aus den anderen Canyons herausgeholt und nach Süden geschafft und dann mit Arbeitsaufgaben wieder zurückgeschickt. Die an den Kuppeln tätigen Mannschaften zogen von einem Canyon zum andern; und deren frühere Bewohner gingen darunter ans Werk und bereiteten das Wiederaufpumpen vor. Als es so weit war, richtete Nadia ihr Augenmerk auf andere Dinge. Sie programmierte Werkzeugmacher und setzte Roboter als Streckenarbeiter längs der unterbrochenen Pipelines von Chasma Borealis in Marsch. »Wer hat nur das alles getan?« sagte sie wütend, als sie eines Abends im Fernsehen geborstene Wasserleitungen anschaute.
Diese Frage war ihr herausgerutscht. In Wirklichkeit wollte sie es gar nicht wissen. Sie wollte nicht über das größere Bild nachdenken, über irgend etwas außer der Pipeline hier, die zerstört auf den Dunen lag. Aber Yeli nahm sie beim Wort und sagte: »Das ist schwer zu sagen. Die terrestrischen Nachrichten berichten jetzt ausschließlich von der Erde. Es gibt nur gelegentlich eine Kurzmeldung von hier; und sie wissen auch nicht, was sie daraus machen sollen. Offenbar werden die nächsten Fähren UN-Truppen hier herbringen, die die Ordnung wiederherstellen sollen. Aber die meisten Nachrichten von der Erde betreffen den Krieg im Mittleren Osten, das Schwarze Meer und Afrika. Viele vom Südlichen Club bombardieren Länder mit Gefälligkeitsflaggen; und die Gruppe der Sieben hat erklärt, diese verteidigen zu wollen. Und dann treibt sich in Kanada und Skandinavien ein biologischer Saboteur herum …«
»Und hier vielleicht auch«, unterbrach Sasha. »Habt ihr dies Bild von Acheron gesehen? Da ist etwas passiert. Alle Fenster des Habitats sind herausgeflogen, und der Boden unter der Finne ist mit diesen Gewächsen von Gott weiß was bedeckt. Niemand traut sich nahe genug heran, um das heraus zu finden …«
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